Schäfer in Sorge

Nach Wolfssichtung im Südwesten: So reagieren Experten

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Das Auftauchen der Fähe könnte zu einem ersten Rudel in Baden-Württemberg führen. Während Tierschützer erfreut sind, blicken Nutztierhalter mit Sorge in die Zukunft.
Veröffentlicht:31.01.2023, 01:00

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  • Author ImageStefan Fuchs
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Zum ersten Mal ist in Baden-Württemberg ein weiblicher Wolf, eine sogenannte Fähe, genetisch nachgewiesen worden. Das hat das Umweltministerium des Landes mitgeteilt. Ein DNA-Abgleich brachte nach dem Tod von Ziegen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald Gewissheit. Weil im Südwesten ein erstes Rudel entstehen könnte, reagieren Nutztierhalter mit Sorge. Tierschützer sind dagegen erfreut.

Abstriche der am 6. und 9. Januar in der Gemeinde Münstertal getöteten Ziegen wurden laut Mitteilung am hessischen Senckenberg-Zentrum für Wildtiergenetik untersucht. Zuvor waren der Forstlichen Versuchungs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg insgesamt sieben tote Ziegen gemeldet worden.

Die Abgleiche ergaben einen Treffer: Die Fähe mit der wissenschaftlichen Bezeichnung GW2407f war bereits in der länderübergreifenden Datenbank am Senckenberg-Zentrum registriert.

Momentaner Aufenthaltsort unbekannt

Das Tier sei vermutlich 2021 in Billenhagen in Mecklenburg-Vorpommern auf die Welt gekommen, heißt es weiter. Ob sich die Fähe noch im Breisgau-Hochschwarzwald aufhält oder schon weitergezogen ist, ist aktuell nicht bekannt. Sicherheit darüber könnten nur weitere Untersuchungen von Kotspuren oder an gerissenen Tieren bringen.

Derzeit gibt es im Südschwarzwald laut Umweltministerium zwei sesshafte Rüden. Sollte die Fähe tatsächlich noch weiter in der Region sein, könne sich ein Paar bilden und Nachwuchs anstehen.

Vom Ministerium heißt es, dass bereits im Frühsommer erste Jungtiere geboren werden könnten. Das wäre die Grundlage für eine erste Rudelbildung im Südschwarzwald.

Nutztiere vor Wölfen schützen

Der Wolf gilt in Deutschland weiterhin als gefährdete und geschützte Tierart, allerdings ist seine Ansiedlung umstritten. Während viele Tierschützer die Ausbreitung der früher heimischen Art begrüßen, fürchten vor allem Nutztierhalter Verluste durch das Raubtier. Um alle Interessen zu berücksichtigen, haben viele Länder wie Baden-Württemberg ein Wolfsmanagement eingerichtet.

Einhundert prozentige Sicherheit können sie nie garantieren.

Anette Wohlfarth vom Landesschafzuchtverband über Zäune

Das Risiko von Übergriffen auf Nutztiere hängt laut Umweltministerium weniger von der Anzahl von Wölfen in einer Region ab, als vielmehr davon, wie konsequent die Herdenschutzmaßnahmen umgesetzt werden. Das Ministerium empfiehlt den Einsatz von wolfsabweisenden Schutzzäunen im gesamten Schwarzwald – ganz unabhängig davon, ob tatsächlich ein Rudel entstehen sollte. Die Zäune werden vom Land gefördert. Die Nutztierverbände sowie die Wildtierbeauftragten der Region seien über das Auftauchen der Fähe informiert.

Schäfer in Sorge

Für Anette Wohlfarth vom Landesschafzuchtverband Baden-Württemberg sind solche Herdenschutzmaßnahmen allerdings nicht immer ausreichend. „Einhundert prozentige Sicherheit können sie nie garantieren‟, sagt sie. Besonders auf unwegsamem Gelände – wie im Südschwarzwald durchaus üblich – sei das Errichten der Zäune schwer.

„Dazu kommt die Belastung für die Betriebe, wenn ein Wolf in der Region ist. Das Material für die Zäune und ein Anteil des Aufwands wird zwar vom Land übernommen, aber das kann nie alles aufwiegen – gerade die psychische Belastung lässt sich nicht kompensieren.‟

Die Aussicht auf eine mögliche Rudelbildung sähen die Schäfer im Land daher mit kritischem Blick und Sorge, sagt Wohlfarth. Man wünsche sich, dass deshalb Wölfe, die den Herdenschutz umgehen und Nutztiere töten, „schnell und unbürokratisch‟ entnommen – also notfalls geschossen – werden.

„Dass nun auch eine Wolfsfähe im Schwarzwald gesichtet wurde und zugleich mehre Nutztierrisse auf ihr Konto gehen, ist eine sehr Besorgnis erregende Entwicklung für die Weidetierhalter im Schwarzwald‟, sagt Padraig Elsner vom Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (blhv). Er befürchtet, dass Jungtiere „von ihren Eltern lernen könnten, sich auf die Jagd von Nutztieren zu spezialisieren.‟

Wölfe reagieren in der Regel scheu auf Menschen

NABU-Landesvorsitzender Johannes Enssle sieht das Land hingegen auch auf die Bildung von Rudeln gut vorbereitet. „Für den Naturschutz ist die Rückkehr ausgerotteter Tierarten, wie beim Wolf, ein großer Erfolg. Für Weidetierhaltende ist es eine Herausforderung, die sie mit Hilfe des Landes und der Gesellschaft schaffen können‟, sagt er. Forderungen nach einem Abschuss oder der Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht seien deplatziert und würden nicht weiterhelfen.

Von gesunden Wölfen geht nach Einschätzung von Experten keine Gefahr für den Menschen aus, sie reagieren auf Begegnungen demnach normalerweise mit Vorsicht und nicht aggressiv. Das Umweltministerium empfiehlt, Abstand zu halten und die Tiere nicht zu bedrängen. Spaziergänger sollen sich durch Reden, Rufen oder Klatschen bemerkbar machen und sich unter lautem Reden entfernen, wenn der Wolf stehen bleibt. Hunde sollten an der Leine geführt werden.

Beweis durch Kamerafallen

Insgesamt leben im Schwarzwald derzeit drei sesshafte Wolfsrüden. Auch in anderen Regionen im Südwesten kam es zuletzt immer wieder zu echten oder vermeintlichen Wolfssichtungen.

Im Alb-Donau-Kreis bestätigten DNA-Tests an einem gerissenen Lamm und einem toten Reh im vergangenen Frühsommer die Anwesenheit eines Wolfs. In Reutlingen, in Oberschwaben und im Allgäu führten Fotos von Wildkameras und gerissene Nutztiere ebenfalls auf die Spur von Canis Lupus. DNA-Nachweise stehen allerdings in diesen Fällen noch aus.

Dennoch gehen Experten davon aus, dass ein oder mehrere Wölfe zumindest Abstecher in diese Regionen unternommen haben. Wölfe legen auf der Suche nach Revieren oft Hunderte Kilometer zurück und durchstreifen dabei große Gebiete.

Geschützte, aber umstrittene Art

In Deutschland galt der Wolf 200 Jahre lang als ausgerottet. Im Jahr 2000 gründeten aus Polen eingewanderte Tiere auf dem sächsischen Truppenübungsplatz Oberlausitz ein erstes Rudel.

In ganz Deutschland leben mittlerweile (Stand November 2022) nach Angaben der Beratungsstelle des Bundes für den Wolf (DBBW) 161 bestätigte Rudel, 43 Paare und 21 Einzeltiere.

Die Zahl der Funde toter Tiere stieg zuletzt an. Gemessen wird dabei immer von 1. Mai bis 30. April des Folgejahres. Wurden 2020/2021 noch 138 tote Tiere aufgefunden, waren es 2021/2022 148. Davon starben 102 Tiere durch Verkehrsunfälle, allerdings kommen auch illegale Tötungen vor.

Eventuelle Beobachtungen mit Verdacht auf Wolf sollten umgehend der FVA in Freiburg gemeldet werden: [email protected] oder 0761 / 40 18 274.