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Fast jeder kann Richter werden

Ehrenamt mit Macht: Warum die Schöffenwahl so wichtig ist

Ravensburg / Lesedauer: 8 min

Schöffen urteilen im Gericht als Laien, ihr Ehrenamt ist mit großer Verantwortung verbunden. Warum es immer wieder zu Problemen durch extremistische Strömungen kommt.
Veröffentlicht:26.05.2023, 05:00

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Der Ablauf ist immer gleich, wenn ein Urteil gesprochen wird. Egal in welchem Gericht in Deutschland; sogar in fiktiven Gerichtssälen wie dem des TV–Richters Alexander Hold. Der Richter betritt den Saal, alle stehen auf, er ergreift das Wort und spricht den entscheidenden Satz: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil“. Erst danach folgt die Urteilsverkündung.

Aber wer ist das Volk, das am Richterspruch so entscheidend mitgewirkt haben soll, dass in seinem Namen geurteilt werden darf? Die Repräsentanten des Volkes stehen meist links und rechts vom Richter, auch in schwarzen Roben, oftmals ganz unscheinbar, aber doch von enormer Bedeutung. Es sind die Schöffen — ehrenamtliche Richter, die das Volk im Gerichtssaal abbilden. Schöffen sind keine Juristen, sondern Laien aus der Mitte der Gesellschaft.

Das ist die Aufgabe der Schöffen

Insgesamt gibt es bundesweit rund 60.000 Schöffen, etwas mehr als die Hälfte sind als Hauptschöffen tätig, der Rest wird als Ersatz– und Ergänzungsschöffe hin und wieder im Gericht gebraucht. Die meisten Laien werden bei den Strafgerichten eingesetzt.

Einer von ihnen ist Mathias Schultz, seit Beginn der vergangenen Amtsperiode im Jahr 2019 als Schöffe im Amtsgericht Bad Saulgau tätig. Für den 51–Jährigen bedeutet sein Ehrenamt eine große Verantwortung: „Wir sind so eine Art Verknüpfung zwischen der institutionalisierten Gerichtsbarkeit und dem wahren Leben.

Darum haben Schöffen eine große Macht

Die Schöffen bringen für den Richter eine völlig unvoreingenommene Sichtweise bei einem Fall ein.“ Und das kann große Auswirkungen haben, denn ein Schöffe hat das gleiche Stimmrecht wie der Berufsrichter — die beiden Schöffen könnten also beispielsweise eine Verurteilung eines Angeklagten verhindern, ohne sie wird die nötige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht.

Oftmals stimmt man dem Richter zu, aber ich habe es auch schon einige Male anders gesehen und dem Richter meine Ansicht erklärt

Mathias Schultz

Dass es Meinungsverschiedenheiten zwischen Richtern und Schöffen gibt, komme tatsächlich immer wieder vor, meint Mathias Schulz. „Oftmals stimmt man dem Richter zu, aber ich habe es auch schon einige Male anders gesehen und dem Richter meine Ansicht erklärt“, sagt er.

In solchen Fällen diskutiere der Jurist mit den Schöffen hinter verschlossener Tür — „und dann kam es bei mir schon auch einige Male vor, dass der Richter seine Meinung beziehungsweise Entscheidung angepasst hat.“ Was allerdings genau im Hinterzimmer besprochen wird, bevor das Urteil fällt, darüber müssen alle Beteiligten schweigen.

Die neue Schöffen–Wahl steht an

Schultz selbst hatte vor seiner Wahl zum Schöffen — bis auf ein paar wirtschaftrechtliche Berührungspunkte in seinem BWL–Studium — kaum Vorkenntnisse im Rechtsbereich, „aber das ist auch der Sinn am Schöffenamt, dass eben Menschen aus dem Leben das Ehrenamt ausfüllen und nicht Menschen mit abgeschlossenem Jura–Studium.“

In diesem Jahr steht wieder die Schöffen–Wahl an, denn die Amtsperiode der Schöffen endet 2023. Die neue Amtszeit beginnt mit dem Jahreswechsel. 

So viele Schöffen braucht Baden–Württemberg

Claudia Kitzig, Landesvorsitzende der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DVS) in Baden–Württemberg erklärt, wie es nach der Bewerbung weiter geht: „Die Präsidenten der Landgerichte bestimmen die Zahl der Haupt– und Ersatzschöffen für die Strafkammern und die Schöffengerichte“. Für jede Kommune wird je nach Einwohnerzahl eine Zahl an Schöffen errechnet. In der Gemeinderatssitzung wird über die Vorschlagslisten beraten — auf der müssen immer doppelt so viele Namen stehen, wie letztlich Schöffen gebraucht werden. Auf der Grundlage der Bewerbungen erstellen die Kommunen ihre Vorschlagslisten.

Kommt nicht die nötige Anzahl von Freiwilligen zusammen, können Behörden die Bürger nach einem Zufallsprinzip anschreiben und sie auffordern, sich als Schöffe zur Verfügung zu stellen. Wer ausgewählt wurde, ist grundsätzlich dazu verpflichtet, das Ehrenamt anzunehmen, eine Ablehnung ist nur schwer möglich.

Anschließend legen die Kommunen die Vorschlagsliste dem Wahlausschuss der Gerichte vor, der wiederum die Hälfte aussortiert. Schöffen müssen an den im Schnitt zwölf Sitzungstagen vom Arbeitgeber für die Zeit freigestellt werden und erhalten eine Entschädigung für den Verdienstausfall sowie für die Fahrtkosten. Für die Verhandlung selbst gibt es kein Geld.

Im Südwesten braucht man für die kommende Wahlperiode rund 7.000 ehrenamtliche Richter. Die Landesvorsitzende Kitzig ist optimistisch, dass alle Stellen von Freiwilligen besetzt werden. „Aufgrund der breit angelegten Werbekampagne durch den Bundesverband wurde ein großes Interesse in der Bevölkerung geweckt“, sagt sie.

Probleme durch rechten Strömungen

Der Verband habe online Info–Veranstaltungen angeboten, die gut besucht wurden. „An unseren vier Online–Veranstaltungen hatten über 2.700 Personen teilgenommen“, berichtet Kitzig. Die baden–württembergische Justizministerin Marion Gentges ist ähnlich positiv gestimmt. „Bisher haben wir von keiner Kommune in Baden–Württemberg Probleme signalisiert bekommen, ausreichend motivierte Freiwillige zu finden. Ich gehe deshalb davon aus, dass das Interesse an dieser Aufgabe wie bereits in der Vergangenheit auch bei der diesjährigen Wahl groß ist“, sagte die CDU–Politikerin der „Schwäbischen Zeitung“.

Unter keinen Umständen dürfen wir zulassen, dass Extremisten in unserem Land Recht sprechen

Marco Buschmann

Der immense Einfluss des Ehrenamtes kann aber zum Problem werden — etwa wenn sich Extremisten, die die freiheitlich–demokratische Grundordnung ablehnen, in solchen Ämtern wiederfinden. Vor allem rechtsextreme Strömungen versuchen schon seit vielen Jahren, das Schöffenamt zu unterwandern und ihr extremes Gedankengut in den Gerichtssälen zu verbreiten — wie beispielsweise der „Deutschlandfunk“ berichtet.

Deren Recherchen haben im Januar diesen Jahres einen Telegram–Kanal aufgedeckt, in dem die rechtsextreme Regionalpartei Freie Sachsen in einem Chat mit 150.000 Abonnenten dazu aufgerufen hatte, an den diesjährigen Schöffenwahlen teilzunehmen.Das Problem ist seit Jahren vor allem aufgrund der rechtsorientierten Parteien bekannt, welche durch die Besetzung des Amtes beabsichtigen, ihr Gedankengut in den Gerichtssälen zu verbreiten“, sagt die Landesvorsitzende Kitzig. Deswegen sei es wichtig, dass schon die Kommunen ein wachsames Auge bei der Vorauswahl der Bewerber haben.

Neues Gesetz gegen Verfassungsfeinde im Schöffenamt

Um zu verhindern, dass demokratiefeindliche Personen in dieses Ehrenamt gelangen, will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Verfassungstreue als Voraussetzung für die Berufung in ein Schöffenamt gesetzlich festschreiben. „Unter keinen Umständen dürfen wir zulassen, dass Extremisten in unserem Land Recht sprechen“, betont der FDP–Politiker.

Verfassungsfeinde — egal ob von rechts oder links — können nicht richten.

Marion Gentges

Ein entsprechender Gesetzesentwurf sieht vor, dass bei jeglichen Zweifeln am Bestehen der Verfassungstreue sowohl der Gemeinderat als auch der Wahlausschuss der Gerichte zwingend eine Berufung der Person ins Schöffenamt ausschließen müssen. Zudem soll auch geregelt werden, dass Schöffen immer abberufen werden können, falls Zweifel aufkommen.

Außerdem wird auch über eine bundesweite freiwillige Überprüfung der Bewerber durch den Verfassungsschutz diskutiert. Angehende Schöffen werden beispielsweise in Niedersachsen heute schon bei der Bewerbung gefragt, ob der Verfassungsschutz ein Auge auf ihren Lebenslauf werfen darf.

Gentges befürwortet neuen Vorschlag

Baden–Württembergs Justizministerin Gentges hält das für eine gute Idee: „Verfassungsfeinde — egal ob von rechts oder links — können nicht richten. Deshalb setzen wir uns auf Bundesebene schon seit Längerem dafür ein, dass die Pflicht der ehrenamtlichen Richter zur Verfassungstreue gesetzlich verankert wird.“

Allerdings stellt sie für den Südwesten auch klar, dass „wir bei der vergangenen Wahl im Jahr 2018 keine Hinweise darauf hatten, dass Bewerber aus extremistischen beziehungsweise verfassungsfeindlichen Gruppen versuchten, die Wahl zu unterwandern.“ Ziel der Gesetzesänderung sei es, Verfassungsfeinde abzuschrecken und das Vertrauen ins Schöffenamt zu stärken.

Das sieht auch Julia Reznitcaia so. „Ich habe die gleichen Rechte wie Berufsrichter und entscheide über das Schicksal von einem Menschen — und was aus dem Leben danach wird“, sagt sie. Die 37–Jährige ist seit 2019 Schöffin am Landgericht Stuttgart und hat sich für die kommende Periode wieder beworben. Allerdings wünscht sie sich auch Anreize, das Schöffenamt attraktiver zu machen.

Mehr Planungssicherheit gewünscht

Viele hätten die Sorge, dass mit dem Ehrenamt die zeitliche Flexibilität endet, meint Reznitcaia. Außerdem „ist es bei vielen Arbeitgebern nicht gut angesehen, wenn man während der Arbeitszeit für ein Ehrenamt fehlt. Da müsste sich die Einstellung bei vielen Arbeitgebern ändern“, erklärt sie, „und besser über das Schöffenamt informiert werden.“

Auch die Verhandlungstermine sollten weiter im Voraus geplant werden, denn zu oft seien diese sehr kurzfristig angelegt. „Dann ist es schwer im Privaten den Urlaub oder andere Dinge zu planen“, sagt sie.

Mit mehr Planungssicherheit würden sich vielleicht mehr Menschen auf das Ehrenamt bewerben, das Reznitcaia so erfüllt. „Ich kann meine persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen als Schöffin einbringen und es gibt eine Vielfalt an Themen, die man bearbeitet. Insofern ist es eine Bereicherung für jeden selber“, sagt sie.

Sicherheit in der eigenen Hand

Allerdings werden gerade im Landgericht Mord oder Sexualstraftaten bearbeitet — beides hat Reznitcaia in ihrer ersten Amtszeit noch nicht erlebt. Aber sie sieht die Gefahr, dass einzelne Fälle psychisch belasten können. Letztlich „muss das jeder mit sich selbst ausmachen“, sagt sie. Solche Straftaten gehörten zu diesem verantwortungsvollen Ehrenamt dazu. Außerdem „bin ich mit verantwortlich dafür, meine Stadt sicherer zu gestalten — das finde ich schon sehr spannend“, so Reznitcaia.

Ihr Schöffenkollege Mathias Schultz stimmt zu: „Die Fälle spielen ja auch immer in der eigenen Region — zum Beispiel der Diebstahl im Supermarkt im Nachbarort. Man ist sozusagen selber mitverantwortlich, dass es sicher ist vor der eigenen Haustür“, sagt er.