Todesflug
Dima will fliegen – auch nach dem Todesflug seiner Mutter
Owingen / Lesedauer: 4 min

Wenn Dima Bagin einen Wunsch frei hätte, dann diesen: „Dass alles klappt, wie ich es mir vorstelle. Vor allem das Fliegen.“ Für den 21-Jährigen, der beim Flugzeugabsturz von Überlingen seine Mutter verlor, hat die Luftfahrt nichts an Faszination eingebüßt. „Seit ich denken kann, wollte ich Pilot werden“, sagt er. Der Flughafen von Ufa war ihm eine zweite Heimat. Alle Türen standen ihm offen, wenn seine Mutter - sie war Stewardess - ihn dorthin mitgenommen hat. Durch ihren Tod ist er zur Waise geworden. Die Familie des Kriminalbeamten Reinhard Martin, der als einer der ersten in jener Nacht am Unglücksort des Absturzes war, hat ihn als Pflegesohn aufgenommen. Seit neun Jahren lebt er bei ihr im Hinterland des Bodensees.
Gerade steckt Dima mitten in den Prüfungen zum Abschluss seiner Flugzeugmechanikerlehre in München. In seiner Freizeit macht er den Pilotenschein. Die Lizenz 1 hat er bereits in der Tasche. Damit darf er einmotorige Maschinen fliegen, wie zum Beispiel eine viersitzige Cessna. Wenn er weiterhin büffelt und Flugstunden nimmt, dann kann er in einem Jahr die Prüfung zum Fahrverkehrspiloten machen. „Damit kann ich alles fliegen“, sagt er. Bei jeder Airline auf der ganzen Welt. „Vorausgesetzt, ich werde genommen.“ Sein Kindheitstraum ist in greifbare Nähe gerückt. Bis es soweit ist, will er als Mechaniker arbeiten. „Ich habe einige Sachen in Aussicht.“
Zurückhaltend und höflich wirkt der junge Mann. Sehr beherrscht. Doch bei diesem Thema wird er lebhaft. Was fasziniert ihn am Fliegen? Dima: „Die technischen Vorgänge, aber auch die Schönheit der Sonnenauf- und untergänge in dieser Höhe.“ Seine Ausbildung zum Piloten finanziert er selbst. Er verwendet die Entschädigung dafür, die Skyguide nach dem Tod seiner Mutter an ihn ausbezahlt hat. „Die Menschen, die selbst fliegen und in diesem Bereich arbeiten, verstehen das“, ist Dima überzeugt.
„Ich wollte nicht nach Deutschland“
„Nach all dem Unglück ist für mich das Beste passiert, das geschehen konnte“, sagt er heute. Momentan ist er auf Heimatbesuch in Hohenbodman bei seinen Pflegeeltern. „Er kommt öfter nach Hause als unsere leiblichen Söhne“, sagt Pflegemutter Dorothea Martin . Dankbar ist Dima, dass sie ihn damals aufgenommen haben. Und auch dafür, dass sie es geschafft haben, zu ihm durchzudringen. „Ich wollte nicht nach Deutschland“, erinnert er sich. Er kannte das Land nicht, die Kultur, beherrschte die Sprache nicht. „Ich war bockig und stur, wollte in Ruhe gelassen werden.“
„Es ist schon irre, was der Junge damals alles bewältigen musste“, sagt Pflegevater Reinhard Martin. Wenn es arg schwierig wurde und sich Dima zu sehr verkrochen hat, dann haben ihn seine Brüder David und Aljoscha aus seinem Kokon geholt. „Gebalgt haben sie sich wie junge Hunde“, erinnert sich Dorothea Martin. Nach und nach habe er wieder zum Lachen zurückgefunden. Mit Maria Martin – nicht mit der Familie verwandt – hatte sie vor allem im ersten Jahr eine unschätzbare Hilfe. Die Deutsch-Russin, die sich im Verein „Brücke nach Ufa“ engagiert, habe sich oft zu Dima gesetzt und mit ihm geredet. „Auf russisch und wohl auch Klartext“, fügt Dorothea Martin lachend hinzu.
Seine Verbindungen nach Ufa pflegt er
Deutschland ist Dima heute ebenso Heimat wie Baschkirien. Die Martins sind seine Familie geworden. Selbstbewusst fordert er seine Rechte ein und bringt sich ebenso selbstlos ein. Reinhard Martin: „Wir haben nie Unterschiede zwischen unseren Kindern gemacht.“ Drei weitere Pflegekinder leben mittlerweile bei den Martins. Auch die Verbindungen nach Ufa pflegt Dima weiter. Er hat auch Kontakt zu anderen Angehörigen der Absturzopfer. „Die meisten haben wieder Familien gegründet und wieder Kinder bekommen“, sagt er.
Der frühe Verlust von Mutter und Großmutter hat ihn verändert, wie er sagt. „Auf jeden Fall. Man entwickelt sich weiter. Wird schneller erwachsen.“ Er macht keinen Hehl daraus – aber auf nette Weise – dass er das Interesse an seiner Person im besten Falle ermüdend findet. Am liebsten möchte er in Ruhe gelassen werden. Das hat er auch an seinem Aufwachsen in Hohenbodman geschätzt: „Einige wenige Mitschüler kannten meine Geschichte. Die meisten nicht.“
Dima ist technikbegeistert. Er fährt Motorrad und bastelt an seinem Volvo. Ein weiteres Hobby ist E-Gitarrenspielen. Das Kind, das damals mit seiner Festplatte unter dem Arm nach Deutschland gekommen ist, ist auch heute noch Fan moderner Kommunikationsmittel - und von Computerspielen. Am Flugsimulator im Internet hat er viele, viele Stunden verbracht. Man kann dabei abstürzen. Ist ihm auch schon passiert.