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Erster Weltkrieg

Der Männerfresser im Elsass

Baden-Württemberg / Lesedauer: 6 min

Im Ersten Weltkrieg wurde auf dem Hartmannsweilerkopf um jeden Meter gerungen - 30 000 Soldaten starben bei den Kämpfen
Veröffentlicht:13.05.2014, 18:46

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Knapp 100 Jahre hat das verrostete Ding im Boden des Hartmannsweilerkopfes gesteckt. Trotzdem reicht ein Blick und man weiß, um was es sich handelt: eine leichte Artillerie-Granate. „Immer noch explosiv“, sagt Didier Schahl , drahtiger Chef eines elsässischen Bombenräumkommandos. „Mit dem Hammer sollte man nicht draufschlagen.“

Gefunden wurde die Granate Stunden zuvor, an einem kalten, regnerischen Morgen Anfang dieser Woche. Sie ist von französischer Artillerie abgefeuert worden – irgendwann zwischen Ende 1914 und 1918. Seinerzeit machte der Erste Weltkrieg auch den Hartmannsweilerkopf zur Hölle, eine eigentlich unbedeutende, knapp 1000 Meter hohe Vogesenkuppe im südlichen Elsass . Männerfresser wurde sie von den Deutschen genannt. Rund 30000 Soldaten starben, als sich ihre Truppen hier mit den Franzosen erbitterte Schlachten um einige Meter Bodengewinn lieferten.

Die Granate ist eine Erinnerung daran, dass der Tod auf der Kuppe noch immer präsent ist. Weshalb auch Touristen davor gewarnt werden, die Wege zu verlassen. „Mindestens 20 solcher Geschosse jeglicher Größe werden jährlich aus der Erde geholt“, berichtet Bombenräumer Schahl. Meist geschehe dies bei Erhaltungsarbeiten auf dem Schlachtfeld. So war es auch dieses Mal. Das Geschoss steckte in einem deutschen Schützengraben, der gegenwärtig für Besucher gesichert wird.

Im Trichter begraben

Manchmal sind die Funde weniger brisant, dafür umso makaberer: Knochen, Schädelteile – Überreste von Gefallenen, die während des Trommelfeuers in den tiefen Trichtern der explodierenden Granaten verschwanden und deshalb nie auf den umliegenden Soldatenfriedhöfen bestattet werden konnten.

Wie so etwas geschieht, beschreibt der deutsche Leutnant Hans Killian in seinen Erinnerungen an den Hartmannsweilerkopf: „Da sehe ich die beiden (französischen) Alpenjäger mit einem riesigen, verzweifelten Satz aus dem Blockhaus stürzen – zu spät. In der gleichen Sekunde schlägt das mächtige Geschoss ein. Urgewaltig ist die Detonation, sie zerfetzt das Blockhaus vollkommen ... Im Qualm, der durch den Niederwald schwelt, sind beide Männer verschwunden. Es herrscht Totenstille. Arme Teufel – es würgt mich im Hals.“

Artilleriegeschosse haben die Kuppe umgewühlt, verbrannte Erde aus dem Hartmannsweilerkopf gemacht. Selbst die Natur hat mit ihren neuen Bäumen die Wunden nicht heilen können. Überall sind Einschlagtrichter zu sehen – ebenso die Versuche der Soldaten, sich gegen den Beschuss zu schützen. Beide Seiten gruben sich ein. Ein 90 Kilometer langes Grabensystem entstand. Dazu 6000 Bunker und Unterstände. Ein unglaublicher Materialaufwand wurde wegen des Hartmannsweilerkopfes betrieben. Die Franzosen bauten für den Nachschub Kriegswege in die Südvogesen. Seilbahnen aus der Ebene des Oberrheins zum Berg versorgten das deutsche Militär.

Oben brachten sich die Gegner mit allem um, was zur Hand war: mit Messern, Spaten, Knüppeln – oder mit den Entwicklungen der damaligen Kriegstechnik. „In scharfem Strahl wirft unser Flammenwerfer seine feurige Flüssigkeit gegen die gegnerische Stellungen“, notiert Oberjäger Baldus in seinem Tagebuch. „Am Folgetag setzten die Franzosen mit Handgranatschleudern Gasbomben gegen unseren Graben ein“, steht in einer anderen Erinnerung.

Warum all das? Vor 1914 war der Hartmannsweilerkopf der Gemeindewald eines kleinen Dorfes am Fuß des Berges gewesen. Nach Kriegsausbruch wollten die Franzosen jedoch ins Elsass vorstoßen. Die seit Jahrhunderten umstrittene Grenzregion zwischen Oberrhein und Vogesen gehörte damals zum Deutschen Reich. Der französische Angriff konnte zurückgeschlagen werden. Einige Vogesenberge blieben jedoch in gegnerischer Hand. Von hier aus versuchten die Franzosen den Gebirgsrand an der Oberrheinebene zu erobern. Sie hätten dann alles beobachten und direkt beschießen können, was sich dort unten bewegte. Das wollten wiederum die Deutschen verhindern.

Irsinniges Kämpfen

Meist herrschte Stellungskampf. Immer mal wieder versuchte die eine oder andere Seite, das Blatt auf dem Hartmannsweilerkopf für sich zu wenden. Dann wogen die Kämpfe hin und her. „Die französischen Abwehrgeschütze eröffneten ein mörderisches Feuer. Schuss auf Schuss direkt in unsere Sturmstellungen hinein. Ein mittelgroßes Geschoss schlägt in den vollbesetzten Graben und tötet Leutnant Wilde und eine große Anzahl Jäger“, kann in einer Regimentsgeschichte nachgelesen werden.

Weder Deutschen noch Franzosen gelang ein entscheidender Erfolg. Wie irrsinnig sich die Situation entwickelte, lässt sich beim flachen Gipfel des Hartmannsweilerkopfes besichtigen. Die gegnerischen Linien lagen gerade einmal 20 Schritt auseinander. Stacheldrahtverhaue schützten die Gräben vor Überraschungsangriffen. Ihre verrosteten Reste taugen immer noch dazu, sich an Stiefeln und Hosen zu verwickeln.

Wer bei der Gipfelkuppe nach Süden schaut, blickt auf den französischen Frontgraben. Er ist restauriert worden. Die Franzosen hatten ihre Gräben vor allem mit Holz ausgeschachtet. Als es mit der Zeit verrottete, sind sie in sich zusammengefallen. Meist können deshalb im französischen Stellungssystem nur noch Bodenwellen festgestellt werden.

Anders bei den Deutschen. In ihrem Bereich ist viel erhalten. Der Grund:„Immer mehr wurde der Hartmannsweilerkopf zu einer wahren Festung ausgebaut“, heißt es im Bericht eines deutschen Soldaten. Mauern, Beton und Stahl kamen zum Einsatz, gleich zu sehen beim ersten Bunker, Dora genannt, einem tückisch aussehenden Klotz mit dunk-len Schießscharten.

Den Deutschen ging es darum, durch bessere Stellungen eigenes Blut zu sparen. Deshalb gingen sie auch in die Tiefe. Stollen um Stollen, Felskaverne um Felskaverne wurde aus dem Hartmannsweilerkopf herausgeschlagen, herausgebohrt, herausgesprengt. Sie unterhöhlten den Berg. Die unterirdischen Räume dienten als Quartiere, als Lager. Über Stollen konnten die Kampfstellungen erreicht werden.

Eine dieser ausgedehnten Unterwelten liegt unter dem sogenannten Aussichtsfelsen. Ein enger Abstieg führt hinein. Schnell spendet nur noch die Taschenlampe Licht. Die Luft ist feucht, die Atmosphäre bedrückend, der Fels droht zu bröckeln. Diverse Stollenabzweigungen sind eingestürzt – wie inzwischen viele der längst völlig ausgeräumten unterirdischen Räume.

Während des Krieges hatten sich die Deutschen dort aufwändig eingerichtet – bis hin zu einer Strom- und Wasserversorgung. Aber selbst die Kavernen konnten zu tödlichen Fallen werden, geschehen gerade unter dem besagten Aussichtsfelsen. Am 23. Februar 1918 brach in einem Maschinenraum ein Feuer aus. Qualm und Flammen zogen durch die Stollen wie durch einen Kamin. Gelagerte Munition explodierte. Neun Soldaten starben. Es waren Angehörige eines württembergischen Landwehrregiments gewesen. In dessen Chronik wurde notiert: „Erst nach zwei Tagen ist der Brand erloschen und der Fels so weit abgekühlt, dass man die Leichen bergen kann.“

Fast glaubt man, den Schrecken in den finsteren Gängen noch spüren zu können. Dieses Gefühl von Tod und Verderben begleitet einen aber überall auf dem Schlachtfeld, selbst das frisch sprießende Grün des Grases und der Bäume verdrängt es nicht, ebenso wenig die zeitliche Distanz von 100 Jahren. Dies macht sich auch bei anderen Besuchern bemerkbar. So ist oben bei der Gipfelstellung eine Klasse deutscher Gymnasiasten aus dem nahen Baden schnell ruhig geworden. Gabriele Schulz, eine der Schülerinnen, meint nur: „Fürchterlich. So viele Tote. Und das für nichts.“