StartseiteRegionalBaden-WürttembergWalter Riester über Kritik und schlechten Ruf seiner Riester-Rente

Umstrittene Altersvorsorge

Walter Riester über Kritik und schlechten Ruf seiner Riester-Rente 

Isny / Lesedauer: 8 min

Der ehemalige Bundesarbeitsminister äußert sich zu der umstrittenen Altersvorsorge. Warum sie trotz Abratens seinen Namen trägt und was er selbst im Rückblick kritisch sieht.
Veröffentlicht:25.09.2023, 18:14

Von:
  • Ulrich Mendelin
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16 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Riester-Rente. Walter Riester hat keine. Der Mann, mit dessen Namen Banken, Versicherungen und Fonds für den Abschluss einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge werben, durfte selber nicht riestern.

Minister zahlen, wie Abgeordnete und viele Selbstständige, nicht in die Gesetzliche Rentenversicherung und erfüllen damit ‐ zu Riesters Bedauern ‐ nicht die Zulassungsvoraussetzungen dafür.

Walter Riester, SPD-Politiker und Bundesminister für Arbeit und Soziales im ersten rot-grünen Kabinett unter Kanzler Gerhard Schröder von 1998 bis 2002, ist inzwischen selbst Ruheständler, an diesem Mittwoch wird er 80 Jahre alt. Der gebürtige Kaufbeurer hat sich in Isny im Württembergischen Allgäu niedergelassen.

Canale Grande und eine Karikatur

Das Arbeitszimmer im Obergeschoss eines Neubauhauses wird dominiert von einer Fotografie des Canale Grande in Venedig, außerdem hängen Zeichnungen an den Wänden, darunter eine Karikatur aus dem „Stern“.

„Bündnis für Arbeit, erste Sitzung“, steht darunter. Die Zeichnung zeigt Riester in dem Bemühen, eine Herrenrunde mit nicht wenigen Selbstdarstellern zur Arbeit zu bewegen. Durchs Fenster blickt man auf den alten Baumbestand eines ehemaligen Parks und auf das Nachbarhaus, in dem sein Sohn wohnt.

Vom Schreibtisch greift Riester einen Stapel Papier, die Vorschläge einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Reform der privaten Altersvorsorge. Im Juli hat die Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse vorgelegt. „Der Kern: Die Riester-Rente soll weg“, fasste die Deutsche Presse-Agentur anschließend zusammen. Andere schrieben zumindest von grundlegenden Reformen.

Mehr Rendite, mehr Risiko

Denkt man an die Reformen der Ära Schröder zurück, sind da im Bereich Arbeit und Soziales vor allem die Agenda 2010 mit den Hartz-Reformen ‐ und die Riester-Rente. An Hartz IV hatte die SPD lange zu knabbern, inzwischen haben sich die Genossen von der Arbeitsmarktreform, die in den Augen ihrer Kritiker vor allem für Sozialabbau steht, maximal distanziert. Kommt nun der Abschied von der Riester-Rente?

Walter Riester denkt nach, bevor er zu einer Antwort ansetzt. „Darüber kann man reden“, sagt er zu den Vorschlägen, die bei privater Altersvorsorge unter anderem mehr Rendite ermöglichen sollen, bei gleichzeitig erhöhtem Risiko.

Bisher ist das eingezahlte Geld zu 100 Prozent abgesichert ‐ was die Rendite schmälert. Allerdings, sagt Riester: „Dass die Riester-Rente neu diskutiert werden soll, das schwingt schon mehrere Regierungen durch und niemand konnte bislang deutlich machen, wie.“

Die Rente ist sicher ‐ aber auch ausreichend?

Denn das Grundproblem bleibt ja ungelöst. „Die Rente ist sicher“, hatte Riesters Amtsvorgänger Norbert Blüm von der CDU einst postuliert. Aber eben nicht ausreichend, das zeichnete sich über die Jahrzehnte immer deutlicher ab: Die Menschen werden älter, beziehen länger Rente und haben in dieser Zeit deutlich mehr Ansprüche an ihr Leben im Ruhestand, als das 1957 der Fall war. Damals wurde die umlagefinanzierte Rentenversicherung eingeführt, bei der die arbeitenden Altersklassen die Rente der Ruheständler finanzieren.

„Wissen Sie, was das Wort des Jahres 1997 war?“, fragt Riester. „Reformstau.“ In der ausgehenden Kohl-Ära war vieles liegen geblieben, Schröders rot-grüne Regierungstruppe verstand sich als Reformkoalition. Nur konnte Riester die Reformen dann nicht so umsetzen, wie er es gerne gehabt hätte.

Der Zeitgeist verlangte mehr Markt

Zu den Ironien der Geschichte gehört es, dass die Regierung Schröder zwar von linken Parteien getragen wurde, der Zeitgeist damals aber Liberalisierung, mehr Markt, weniger Staat verlangte. So tickte auch Rot-Grün.

Um die Rente auskömmlich für alle zu machen, sagt Riester, hätte man ja alternativ den Rentenversicherungsbeitrag anheben können, der damals bei 20,3 Prozent lag (heute: 18,6 Prozent). „Dazu hätten Sie, abgesehen von der PDS, keine Fraktion auch nur annähernd bewegen können.“

Also brauchte es eine kapitalgedeckte Zusatzvorsorge, und die hätte nach der Vorstellung des Ministers verpflichtend für alle sein sollen. So wie in Schweden, das als Vorbild galt. In dem skandinavischen Land bekommen Bürger mehrere Fonds für die Altersvorsorge zur Auswahl, und wer nichts macht, kommt in einen öffentlich-rechtlichen Fonds. „Das hätte ich auch gemacht“, sagt Riester.

„Aber dafür hätte ich eine Mehrheit gebraucht, und die gab es nicht.“ Als er entsprechende Pläne intern vorgestellt hatte, habe sich als erster Rezzo Schlauch von den Grünen öffentlich zu Wort gemeldet und das „sozialistische“ Vorhaben kritisiert. Aber auch die sozialdemokratischen Parteifreunde zuckten zurück. Und die „Bild“-Zeitung titelte: „Auch das noch! Riester plant Zwangsrente“.

Riester für verbindliche Rücklagenbildung

„Ich bin immer noch der Meinung, wir müssen die Rücklagenbildung verbindlich für alle machen“, sagt Riester dazu nun in seinem Isnyer Arbeitszimmer. „Und der Staat muss diejenigen, die es sich nicht leisten können, aus Steuermitteln unterstützen.“ Eine obligatorische Privatvorsorge hätte nach seinen Vorstellungen zum Beispiel über die Deutsche Rentenversicherung abgewickelt werden können, das hätte die Vertriebskosten gespart.

Jene Vertriebskosten, von denen es später hieß, sie würden dazu beitragen, dass die Riester-Rente teuer und unattraktiv ist. So kritisierte einst der inzwischen verstorbene CDU-Mann Blüm, die staatliche Förderung für die Riester-Rente komme vor allem „Allianz und Co.“ zugute.

„Ich kann die Kritik schon nachvollziehen“, sagt Walter Riester heute. „Ich wäre nur froh gewesen, man hätte das damals schon gesagt.“ Die Schweden jedenfalls würden mit ihrem verpflichtenden System sehr gut zurechtkommen.

Das Gesundheitsministerium abgelehnt

2002, nach vier Jahren im Amt, verlor der Minister seinen Job: Nach der gewonnenen Wiederwahl löste Schröder das Arbeits- und Sozialministerium auf. Der Kanzler, sagt Riester, habe ihm das Gesundheitsministerium angeboten, er habe sofort abgelehnt.

Den langjährigen oberschwäbischen SPD-Abgeordneten Rudolf Bindig, der Riesters Zeit als Minister im Bundestag miterlebt hat, wundert das nicht. „Walter Riester ist keiner, den man mal zum Verkehrsminister, dann zum Wirtschaftsminister, dann zum Sozialminister machen kann, sagt Bindig. „Er ist der geborene Sozialminister.“ Und außerdem ein „ernsthafter und gründlich denkender Mensch“: „Wenn man mit ihm redete, dann hat er erst nachgedacht und dann sehr fundiert gesprochen. Er war nie voreilig.“

Mit 13 die Volksschule verlassen

Dass er eines Tages Minister werden würde, war Riester nicht in die Wiege gelegt, im Gegenteil. Aufgewachsen im Ostallgäu, verließ er die Volksschule mit 13Jahren, um eine Lehre als Fliesenleger anzufangen. „Wir können es ja mal mit Dir versuchen“, habe der Meister gesagt, nachdem er den Bizeps des Schulabgängers geprüft habe, erzählt Riester.

Zwölf Jahre Akkord-Arbeit folgten, eine Meisterprüfung und zwischendurch eine halbjährliche Zusatzausbildung als Mosaizist, also als Hersteller von Mosaiken. Die absolvierte der junge Fliesenleger in der Werkstatt des Künstlers Berthold Müller-Oerlinghausen in Kressbronn am Bodensee.

Als der ehemalige Bundespräsident Theodor Heuss dort einen Tisch mit Mosaikmuster bestellte, fertigte Riester diesen ‐ und ein zweites Exemplar für sich selbst. Der Tisch, mit einem Seerosenmotiv in violetten und grauen Tönen, hat Riester seitdem begleitet, nach Berlin, nach Kärnten, wo seine Frau und er ein Haus hatten. Nun steht er in Isny auf dem Balkon.

Erster Minister mit Meistertitel

Ein weiteres Mosaik hängt an der Innenseite der Gartenmauer, es zeigt eine Mariendarstellung. Dabei sei er nicht besonders kirchennah, sagt Riester. Das Licht-Schatten-Spiel der Bildvorlage sei lediglich gut geeignet gewesen, um es mit Steinen nachzubilden.

Nach der Meisterprüfung und einem elfmonatigen Studium an der Akademie der Arbeit, für die kein Abitur, wohl aber eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine Aufnahmeprüfung verlangt wurden, kam er schnell zur Gewerkschaft, arbeitete zunächst in als Jugendbildungsreferent des DGB in Tuttlingen, machte dann bei der IG Metall Karriere, organisierte Arbeitskämpfe, verhandelte über die 35-Stunden-Woche. Als Gerhard Schröder ihn in die Politik holte, war er Zweiter Vorsitzender der Metallgewerkschaft, im Kabinett dann der erste Minister mit einem Meistertitel seit Bestehen der Bundesrepublik.

Wie bei Bismarck und dem Hering

Dass allerdings einmal eine Form der Rente nach ihm benannt werden würde, hätte er sich zu Beginn seiner Ministerzeit auch nicht gedacht. Der Begriff Riester-Rente sei jedenfalls nicht aus seinem Ministerium gekommen.

Im Gegenteil: Nachdem er die Pläne der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, hätte eine Zeitung den Begriff zum ersten Mal verwendet. Sein Staatssekretär und sein Pressechef seien dann zu ihm gekommen und hätten dringend geraten, juristisch dagegen vorzugehen. Man wisse ja nicht, was für Finanzprodukte einmal unter dem Namen verkauft werden würden, hinter denen man eigentlich nicht stehen könnte.

Riester sieht das gelassen. Objektive Fehler und Fehlinterpretationen bei Berichten über die Rente, die mit seinem Namen verknüpft ist, würden ihn ärgern. Aber sonst? „Ich kann es ja nicht ändern.“ Er zuckt mit den Schultern. „Bismarck hätte ja auch nicht gedacht, dass mal ein Hering nach ihm benannt wird.“