StartseiteRegionalBaden-WürttembergÖzdemir: "Die Heilig-Blut-Reliquie ist ein Symbol für Europa"

Blutritt in Weingarten

Özdemir: "Die Heilig-Blut-Reliquie ist ein Symbol für Europa"

Weingarten / Lesedauer: 4 min

Der grüne Bundeslandwirtschaftsminister hat die größte Reiterprozession Europas besucht. Mit Schwäbische spricht er über die Bedeutung religiöser Bräuche in der Region.
Veröffentlicht:19.05.2023, 17:00

Von:
  • Paul Martin
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Pferdeschnaufen, Hufgetrappel und Blasmusik in der Innenstadt von Weingarten. Oberschwaben hat am Freitag mit dem traditionellen Blutritt sein großes Glaubensfest gefeiert. Tausende Reiterinnen und Reiter und zehntausende Pilger haben an den Feierlichkeiten rund um eine Reliquie, die der Legende nach Blut von Jesus Christus beinhaltet, teilgenommen.

Festgast der Stadt Weingarten war in diesem Jahr Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ hat er über Tierwohl, Katholizismus und die Nachfolge Winfried Kretschmann gesprochen.

Herr Özdemir, Sie verstehen sich unter anderem als Tierwohl–Minister. Tierschützer fordern einen Blutritt ohne Pferde. Was halten Sie von einer Prozession zu Pferd?

Blutritt ist ja nicht jeden Tag. Und dass es den Pferden gut geht, ist im Interesse aller. Der Blutfreitag hat eine lange Tradition und ist ein lebendiges Bekenntnis zum Glauben, zur Heimat und zur Gemeinschaft. Ich finde es großartig, wie hier die ganze Umgebung mithilft, die Pferde unterbringt und sich um sie kümmert. Dahinter steckt eine immense Organisation, ein großes Kompliment dafür. Man kriegt es ja mit, wenn man hier durch den Flecken läuft: Alles schafft für die Prozession und freut sich darauf.

Aus den Reihen der Blutreiter gab es kritische Stimmen, warum man ausgerechnet den grünen Landwirtschaftsminister, der sich als „säkularen Muslim‟ bezeichnet, zu diesem katholischen Hochfest einlädt. Was sagen sie denen?

Die Heilig–Blut–Reliquie wird für alle sichtbar durch die Straßen getragen, durch die Felder — und wird eben nicht weggeschlossen, sondern allen zugänglich gemacht. Das ist doch etwas ungemein Verbindendes und darum geht es. Auch wenn ich kein gläubiger Christ bin, kann ich mich in die spirituelle Kraft einfühlen, die diesem Ritus innewohnt. Mir helfen solche Begegnungen, um mich und meine Gedanken ins Leben einzuordnen.

Die Tatsache, dass man mich als Ehrengast zu diesem Glaubensfest eingeladen hat, zeigt, dass hier Offenheit und Toleranz gelebt werden. Meine familiären Wurzeln liegen in der Türkei, wo leider — um es deutlich zu sagen — die Religionsfreiheit etwa von Christen mit Füßen getreten wird. Das finde ich ungeheuerlich.

Können Sie mit der oberschwäbischen Festkultur und dem katholischen Glauben an das Heilige Blut etwas anfangen?

Wenn man aus Urach kommt, von der schwäbischen Alb, dann stellt man fest: Die oberschwäbische Lebensart ist einfach barocker. Von den Bräuchen hier bin ich tief beeindruckt. Aber der Grund, warum wir hier sind, ist die Heilig–Blut–Reliquie. Für diejenigen, die daran glauben, ist es ein Wunder, dass sie so lange bewahrt werden konnte. Dass es die Reliquie von Mantua in Italien hierher geschafft hat und auch heute wieder eine Delegation aus Mantua da ist, macht sie nicht nur zu einem Symbol des Glaubens, sondern auch zu einem Symbol für Europa.

Wenn Cem Özdemir bei Traditionsveranstaltungen in Baden–Württemberg vom Rathausbalkon winkt, sieht mancher Beobachter einen Grünen–Politiker, der sich bereits für die Nachfolge von Ministerpräsident Winfried Kretschmann warm läuft…

Ich habe nie ein Geheimnis draus gemacht, dass ich ein Politiker aus „The Länd“ bin. Meinen Wahlkreis in Stuttgart habe ich mit fast 40 Prozent gewonnen. Insofern ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich auch möglichst oft hier bin. Ich bin der einzige Bundesminister aus Baden–Württemberg und dem Land mit seinem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sehr verbunden.

Sie schließen es nicht aus, sich um Kretschmanns Nachfolge als Ministerpräsident zu bewerben?

Das steht gerade nicht auf der Tagesordnung. Winfried Kretschmann und ich haben fordernde Aufgaben, denen wir uns jeweils mit allen Kräften widmen. Bei seinem 75. Geburtstag diese Woche hatte man das Gefühl, er sei in einen Jungbrunnen gestiegen. Er macht seinen Job großartig und wird das noch bis zum Ende der Legislaturperiode tun. Dann sehen wir weiter.