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Einmalig in Europa

Hier fliegen Drohnen bald mit Blutproben in 130 Metern Höhe durch die Luft

Ulm/Freiburg / Lesedauer: 7 min

Blut–Transport per Fernsteuerung: Kliniken bei Freiburg und in Ulm lassen eiliges Labormaterial demnächst von Drohnen verschicken. Das hat gleich mehrere Vorteile.
Veröffentlicht:09.05.2023, 05:00

Von:
  • Dieter Kleibauer
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Der Flug war kurz, frei von Turbulenzen, die Landung ruhig. An Bord: kein Pilot, keine Flugbegleiterinnen, keine Passagiere, sondern Erythrozyten– und Thrombozyten–Konzentrat.

Mit einem anderen Wort: Blutproben. Die Helios–Kliniken in Südbaden nehmen ab August den Transport von Labormaterial mithilfe von Drohnen auf — ein europaweit einmaliges Pilotprojekt.

Konkret geht es zum Auftakt um die 32 Kilometer lange Strecke von Breisach nach Müllheim.

Rechtliche Voraussetzung für die Aufnahme des Flugbetriebs ist eine Genehmigung, die das Regierungspräsidium Stuttgart jetzt erteilt hat. Die Behörde in der Landeshauptstadt ist für die Aufgaben auf dem Gebiet des Luftverkehrsrechts in ganz Baden–Württemberg zuständig.

Das ist der Weg der Drohnen

Durch die Rhein–Auen, über Weinberge hinweg, die Autobahn 5 querend und parallel zur B 3 — so fliegen die unbemannten Luftfahrzeuge und haben Blut– und Laborproben an Bord.

Sie gleiten in 130 Metern Höhe, lassen Vogelschutzgebiete und private Grundstücke links und rechts liegen, meiden womöglich Straßen, überfliegen Bahnlinien dort, wo der ICE durch Tunnels rauscht, umgehen die Rheinschleife, um nicht über französisches Gebiet zu fliegen.

„Mit dem Einsatz von Drohnen werden wir die Medizinlogistik revolutionieren‟

Holger Schulze, Chef von German Copters DLS

Zwei Jahre Arbeit liegen hinter dem Konsortium, das das Vorhaben nun in die Tat umsetzt. Hinter dem Drohnen–Projekt stehen neben den Helios–Kliniken der Konzern RKH Gesundheit, der Krankenhäuser in Nordwürttemberg betreibt, und die Firma German Copters DLS.

Helios beschäftigt seit kurzem einen speziell dafür ausgebildeten Fernpiloten, so die Berufsbezeichnung, der die Drohne ohne direkten Sichtkontakt steuern darf.

Revolution der Medizinlogistik?

„Ich bin stolz, dass wir es als Erste geschafft haben, die Betriebsgenehmigung zu erhalten. Mit dem Einsatz von Drohnen werden wir die Medizinlogistik revolutionieren“, sagt Holger Schulze, einer der Chefs von German Copters DLS.

Das 1989 in Sachsen gegründete Unternehmen blickt auf eine lange Geschichte im Bereich der Drohnen–Technik zurück und hat seinen Sitz mittlerweile in Stuttgart.

Erste Erfahrungen hat man mit technischen Inspektionen aus Drohnenperspektive gemacht, seit längerem rückt dort aber die medizinische Logistik in den Vordergrund.

Die Ersten in Europa

Im Breisgau und im Markgräfler Land sind es zwei Standorte des Helios–Konzerns, die per Luftfracht miteinander verbunden werden. In der Grenzstadt Breisach ist es die neue Labordiagnostik, südlich davon, in Müllheim, hat man die dortige Klinik ausgebaut.

Jetzt ist das Unternehmen stolz darauf, die Ersten in Europa zu sein, die Drohnen in der Medizinlogistik im Regelbetrieb einsetzen können.

„Der Transport von Blut– oder Gewebeproben in der Luft ist schneller, zuverlässiger und umweltfreundlicher als auf der Straße. Er macht uns unabhängig vom Landverkehr und eröffnet völlig neue Perspektiven in Bezug auf Laborstandorte und deren Auslastung“, schwärmt Enrico Jensch vom Helios–Vorstand.

Drohnen–Pilot im Einsatz

Der Drohnen–Flugverkehr startet im Spätsommer im Kreis Breisgau–Hochschwarzwald; außerdem sollen sie zwischen den Kliniken in Ludwigsburg, Markgröningen und Mühlacker im Enzkreis eingesetzt werden.

Die Flugstrecken–Länge liegt jeweils bei rund 30 Kilometern. Die Strecken sind programmiert; gesteuert werden die kleinen Flugzeuge von Robin Marques Pais, der eine Ausbildung absolviert hat, um die Drohnen zu lenken.

Er kann theoretisch weit entfernt in einem Büro sitzen und hat dort per Computer die Perspektive einer Kamera in der Drohne. Zum Beginn des Pilotprojekts wird er aber vor Ort dabei sein, auch um ein Gefühl für die zu überfliegende Landschaft zu gewinnen.

Die Routen werden „nicht autonom geflogen, aber automatisiert“, erläutert Helios–Pressesprecherin Franziska Vallentin.

Reichweite von rund 100 Kilometern

Pais’ „Maschine“ hat eine Flügelspanne von drei Metern, ein Abfluggewicht von 13 Kilogramm und eine Reichweite von etwa 100 Kilometern. Sie kann Proben im Gesamtgewicht von rund drei Kilogramm aufnehmen, die temperaturüberwacht, also gekühlt, sind.

Bei einer Regelgeschwindigkeit von 75 Stundenkilometern braucht sie für die Strecke Breisach — Müllheim 25 Minuten. Ein Auto wäre deutlich länger unterwegs.

Die Flughöhe liegt bei maximal 130 Metern. Start– und Landeplätze sind die Heliports der beteiligten Kliniken; die Drohnen sehen zwar wie kleine Flugzeuge mit Rumpf und Tragflächen aus, starten und landen aber wie die großen Rettungshubschrauber nebenan.

Ein weiterer Vorteil aus Betreibersicht: Sie fliegen mit Strom und gelten als emissionsfrei.

Drohnen auf dem Vormarsch

Blut–Drohnen werden künftig nicht nur bei Freiburg und Ludwigsburg unterwegs sein — auch die Uniklinik Ulm hebt künftig ab.

Das große Spital an der Donau geht nach einem gemeinsamen Forschungsprojekt eine Kooperation mit der ADAC–Luftrettung und dem DRK–Blutspendedienst Baden–Württemberg — Hessen ein.

Sie arbeiten künftig bei der Entwicklung einer Drohnenlogistik für den Transport von Blut, Medikamenten und Gewebe eng zusammen.

In den vergangenen zwei Jahren haben in diesem Rahmen mehr als 100 Drohnenflüge zwischen der DRK–Blutbank und der Chirurgie der Ulmer Klinik stattgefunden. Ergebnis: Mit der Drohne ist der Transport von Blut zum Patienten in Ulm fünf Mal schneller möglich als auf dem herkömmlichen Weg per Kurierdienst oder Taxi.

„Die Ergebnisse sind so vielversprechend, dass das Forschungsprojekt in den kommerziellen Regelbetrieb für Kliniken in ganz Deutschland gehen soll‟

Vivian Bux, Pressesprecherin der Uniklinik Ulm

Ziel sei ein Standardkonzept für „alle unbemannten zeitkritischen Transporte im Gesundheitswesen.“ Unterstützt wird die Entwicklung der Transportdrohne mit dem Namen MediCargo von der Brandenburger Firma Multirotor.

ADAC beteiligt sich an Projekten

„Die Verkehrsdichte in der Stadt und die voranschreitende Zentralisierung von Krankenhäusern und Laboren machen eine zuverlässige Drohnenlösung für den Transport von Blut, Medikamenten und Gewebe in Zukunft notwendig“, begründet Frédéric Bruder, Geschäftsführer der gemeinnützigen ADAC–Luftrettung das Engagement der fliegenden Gelben Engel in diesem Bereich.

Dabei hilft die aus mehr als 50 Jahren gewonnene Erfahrung im Flugbetrieb mit Rettungshubschraubern.

Bei den Drohnenflügen auf dem Campusgelände in Ulm wurde an einem System für eine nahtlose Logistikkette für den Transport von der Blutbank bis in den OP–Bereich der Klinikchirurgie geforscht. Im besten Fall, so das Ergebnis des Projekts, ist der Bluttransport in drei Minuten möglich.

Weiterentwicklung im Drohnenbereich

Die Ulmer Drohne, die mit einem „Unmanned Traffic Management System“ (UTM) nach ADAC–Luftrettungsstandard betrieben wird, operiert gemeinsam mit dem in Ulm stationierten Rettungshubschrauber „Christoph 22“ sowie zwei Krankenhäusern mit je einem Helikopter–Landeplatz.

Zusätzlich verfügt die Bundeswehr über einen Übungsraum für Hubschrauber und Kampfflugzeuge in der Nähe.

„Die bisherigen Ergebnisse des Projekts zeigen, dass zeitkritische Transporte durch den Einsatz von Drohnen zukünftig deutlich schneller möglich sind“

Udo Kaisers, Ärztlicher Direktor

Bei dem Gerät, mit dem in Ulm seit 2020 geforscht wird, handelt es sich um einen sogenannten Hexakopter mit einem Durchmesser von 1,24 Metern.

Er ist rund sieben Kilogramm schwer und kann beim Abflug rund 1,5 Kilogramm Blut als Nutzlast transportieren. Technisch übersteigt die Drohne in ihrer Leistungsklasse alle bisherigen Sicherheitsstandards.

Regelflüge ab August

Das umfasst ein eigenentwickeltes, dreifach abgesichertes Flugsteuerungssystem, ein Hochpräzisions–GPS für Manöver mit Zentimetergenauigkeit, laserbasierte Höhenmesser, einen Sicherheitsfallschirm und eine Tracking–Anbindung an die DFS (Deutsche Flugsicherung).

Die Flugroute wird über spezielle Flugplanungssoftware definiert, und die Drohne ist jederzeit auch manuell steuerbar.

Südlich von Freiburg bereitet man sich derweil auf die Regelflüge ab August vor. Und denkt bereits an die Ausweitung des Systems, etwa auf das Krankenhaus in Titisee–Neustadt im Schwarzwald.

German Copters plant, eigenen Angaben zufolge, den Drohnenflugverkehr ebenfalls auf weitere Regionen auszuweiten. So will das Betreiber–Konsortium künftig bis zu 70 Strecken bedienen — der Himmel kennt bekanntlich keine Grenzen.