StartseiteRegionalBaden-WürttembergSonnenrekord wirft düstere Schatten: Wetterexperte zum Sommer in der Region

Sonnenrekord

Sonnenrekord wirft düstere Schatten: Wetterexperte zum Sommer in der Region

Ravensburg / Lesedauer: 7 min

Der Sommer 2022 hatte so viele Sonnenstunden wie noch kein Sommer vor ihm. Meteorologe Roland Roth ordnet die Fakten ein - und verweist auf erstaunliche Auffälligkeiten in der Region.
Veröffentlicht:02.09.2022, 14:30

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Für viele Menschen im Südwesten war es ein traumhafter Sommer 2022: wenig Regen, viel Sonne. Doch für die Natur waren die vergangenen Monate deutlich zu warm und in vielen Gebieten zu trocken. Nun neigt sich der Sommer langsam aber sicher dem Ende zu. Zeit, eine Klima-Bilanz für die Region zu ziehen – mit dem Leiter der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried, Roland Roth .

 Roland Roth, Leiter der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried.
Roland Roth, Leiter der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried. (Foto: Christoph Schneider/Schwäbische.de)

Im Interview mit schwäbische.de erklärt Roth, was an diesem Sommer so besonders war, warum der Klimawandel sich auch in diesem Jahr wieder deutlich gezeigt hat und welches Wetter wir in den kommenden Wochen erwarten können.

Herr Roth, der Sommer ist fast vorbei. Was lässt sich bislang über das Klima in diesem Sommer sagen?

Eine finale Statistik zu diesem Sommer gibt es noch nicht. Einige Dinge kann man aber schon sehr wohl definitiv sagen. Wir können diesen Sommer vergleichen mit dem Jahrtausendsommer aus dem Jahr 2003. Denn dieses Jahr gab es den zweitwärmste Sommer. Und er war sogar noch reicher an Sonnenschein. Wir haben also den sonnenscheinreichsten Sommer seit Messbeginn erlebt.

Sonnenreichster Sommer: Was heißt das konkret in Zahlen?

An der Wetterzentrale in Bad Schussenried hatten wir 965 Stunden Sonne im Sommer. Der Rekord aus dem Jahr 2003 lag bei 955 Sonnenstunden – also zehn Stunden mehr in diesem Sommer.

So viel Sonnenschein wie nie, so warm wie seit 2003 nicht mehr. Da würde ich als Laie jetzt stark vermuten, dass es auch einer der trockensten Sommer in der Region war?

Eben nicht. Das trifft auf die Region Bodensee-Oberschwaben überhaupt nicht zu. Die Trockenheit und Dürre hat sich bei uns in der Region bei weitem nicht so ausgewirkt wie in weiten Teilen Deutschlands. Vielerorts in Deutschland war es tatsächlich extrem trocken, bei uns in der Region wurde die Niederschlagssumme aber vielerorts erreicht, zum Teil sogar überschritten. Je weiter nach Norden, Richtung Schwäbischen Alb, umso weniger Niederschlag – je weiter nach Süden, Richtung Alpen , umso mehr Niederschlag. Man kann sagen, unsere Region ist eine Art „Grüne Insel“.

Hat die größere Niederschlagsmenge mit den teils heftigen Gewittern in der Region zu tun, die es in diesem Sommer ja häufig gab?

Der Niederschlag kam zum Großteil in Form von Starkregen und Gewitterregen. Diese Gewitterregen fließen aber sehr schnell oberflächlich ab. Das bedeutet, sie kommen dem Boden gar nicht zugute. Einen satten Landregen, der im Boden versickert, hatten wir diesen Sommer nur zweimal. Alle anderen Regenfälle kamen in Form von Starkregen.

Bedeutet, dass wir uns von dem Niederschlag nicht wirklich viel kaufen können?

Ja schon, aber es sind verschiedene Wetterparameter wichtig. Dazu zählt die Art des Niederschlags. Aber auch die Luftfeuchtigkeit, die in diesem Sommer auffällig niedrig war – die Luft war zu oft knochentrocken. Auch die hohen Temperaturen verschärfen die Verdunstungen und dann noch die extreme Sonneneinstrahlung. Dadurch haben wir eine höhere Verdunstungsrate. Deswegen hatten wir trotz der relativ normalen Niederschlagsmengen auch bei uns zeitweise diesen Sommer ein echtes Trockenheitsproblem – aber eben nicht vergleichbar mit anderen Teilen Deutschlands.

Wie regional sind denn die Unterschiede?

Die Unterschiede sind so krass, wie ich sie in dieser Form noch nie erlebt habe. Wenn man in Baden-Württemberg mal Richtung Mannheim schaut, da sieht es aus wie in der Barcelona oder Madrid im Hochsommer: Verdorrte, braune Felder und das Wasser fehlt hinten und vorne. Bei uns ist doch noch recht grün. Unterschiede gibt es aber auch in der Region zu sehen: Je weiter südöstlich wir gehen, desto mehr Niederschlag gibt es, je weiter nordwestlich, desto weniger. Eine besondere Auffälligkeit gibt es in der Region Laupheim, Schwendi, Biberach – dort fiel statistisch gesehen sogar deutlich zu viel Niederschlag. Das war ein Niederschlags-Hotspot.

Und warum gerade so viel Niederschlag in diesem Gebiet?

Dass das Gebiet um Biberach und Schwendi jetzt besonders viel Niederschlag hatte, war Zufall. Aber grundsätzlich gilt, dass der Niederschlag deutlich häufiger hier in der Region auftritt als in anderen Teilen Baden-Württembergs. Das liegt an den Alpen. Die vorübergehend kühlere Luft, die die heftigen Gewitter auslöst, kommt von Nordwesten her und wird an den Alpen sozusagen aktiviert. Ohne die Alpen hätten wir diese Niederschläge nicht gehabt.

War das wieder aus Ihrer Sicht wieder ein Sommer, der die Heftigkeit des Klimawandels gezeigt hat oder gibt es für den Klimawandel bessere Beispiele?

Das ist eine ganz entscheidende Frage. Der Sommer letztes Jahr ist im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen – er war feucht und kühl. Aber beide Sommer sind zwei Seiten derselben Medaille.

Ich will das mal in Kürze erklären. Der Jetstream – die Antriebskraft unseres Wetters – rast mit 300 km/h von West nach Ost um die Nordhalbkugel. Der Jetstream verursacht Hochdruck- und Tiefdruckgebiete – das war schon immer so. Dieser Jetstream holt seine Kraft vom Temperaturunterschied zwischen Nord und Süd. Je stärker der Temperaturunterschied, desto stärker der Jetstream. Durch den Klimawandel haben wir im Norden eine stärkere Erwärmung und der Temperaturunterschied hat abgenommen und damit auch die Kraft des Jetstreams.

Deswegen werden die Hochdruck- und Tiefdruckgebiete langsamer über uns hinweggeführt. Wir liegen längere Zeit im Tiefdruck oder eben Hochdruck bestimmtem Wetter. Letztes Jahr waren wir die meiste Zeit in Tiefdruck bestimmtem Wetter – deswegen der miese Sommer. Dieses Jahr ist es das genaue Gegenteil, denn wir sind die meiste Zeit in Hochdruck bestimmtem Wetter.

Bedeutet, dass ein Wetterwechsel nicht mehr so oft stattfindet wie früher, oder?

Genau. Die Beharrlichkeit der Großwetterlage hat zugenommen. Wir haben also längere Zeit ähnliches Wetter und weniger Wetterwechsel. Der typische mitteleuropäische Sommer war früher deutlich wechselhafter als heute.

Was bedeuten die länger anhaltenden Wetterlagen im Sommer für die Natur in unserer Region?

Wir haben den Klimawandel bislang immer verbunden mit Wetterextremen wie Hagel, Sturm und heftigen Gewitter. Das sind alles Probleme, bei denen auch Menschen zu Schaden gekommen sind. Aber mittlerweile haben wir ganz andere Klimavoraussetzungen, weil wir gar nicht wissen, ob wir einen sehr feuchten oder sehr heißen Sommer erwarten dürfen. Für die Land-, Forst- und Wasserwirtschaft ist das ein großes Problem.

Ein subjektiver Eindruck wäre auch, dass der Sommer sich etwas nach vorne verschoben hat. Es war schon recht früh im Jahr sonnig und warm, kühlt jetzt aber schon wieder etwas schneller ab. Stimmt der Eindruck?

Die Wahrnehmung, dass wir schon im Frühjahr frühsommerliche Temperaturen haben, trifft voll und ganz zu. Wir haben im Mai schon die ersten Hitzehotspots gehabt. Wir hatten einen recht frühen Sommerbeginn. Aber dass der Sommer früher endet, diese Wahrnehmung stimmt nicht. Wir haben immer noch relativ hohe Temperaturen. Wir haben noch keinen Kaltlufteinbruch und sind immer noch auf hohem Niveau.

Wie sind denn die Aussichten für die kommenden Wochen und für den Herbstbeginn?

Wir werden noch nicht ganz schnell in den Frühherbst gehen, sondern werden in den nächsten Tagen spätsommerliches Wetter haben. Durchaus sind auch 25 Grad und mehr drin. Das ist immer noch Badewetter.

Was für ein Wetter müsste man sich denn für die Natur aus meteorologischer Sicht im Herbst wünschen?

Selbst wenn jetzt noch Regen kommt, bringt es der Natur nicht mehr arg viel. Schließlich sind wir schon voll in der Erntezeit. Aber Regen wäre trotzdem sinnvoll für die Auffüllung der Grundwasservorräte. Für das Grundwasser, für die Wälder und für den Rhein und den Bodensee wäre ein regenreicher Herbst dringend nötig. Im Herbst kommt der Regen dann auch weniger in Form von Gewitter, sondern als Landregen – insofern wäre ein paar Mal Regen sicherlich sinnvoll.