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Morddrohung

Morddrohungen gegen Landtagspräsidentin Aras

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Fall der Landtagspräsidentin zeigt Zusammenhänge von rechter Gesinnung und Frauenhass
Veröffentlicht:17.07.2020, 19:42

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  • Schwäbische.de
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Beschimpfungen, Beleidigungen, Morddrohungen: Baden-Württembergs Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) geht juristisch gegen Anfeindungen vor. Ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf Hass im Netz, der oft als Zwilling daherkommt. „Häufig sind Rechtsextreme frauenfeindlich und umgekehrt“, sagt Rolf Pohl , der an der Leibniz Universität Hannover zu Geschlechterdiskursen und der Soziopsychologie des Nationalsozialismus forscht.

Es sind Hassbotschaften wie diese, die Aras nicht mehr länger ignoriert: „Man kennt doch die Präsidentin, die anscheinend eine linke Ausländerin ist, einfach das Haus anstecken, wenn sonst nichts hilft.“ Oder auch: „Bei dieser verlogenen linken F… würde ich glaube ich Bremse mit Gas verwechseln.“ Seit der Landtagswahl 2016 führt die alevitische Kurdin, die im Alter von zwölf Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland kam, das Stuttgarter Parlament. Längst hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft. „Ich bekomme nicht nur Beleidigungen, sondern auch konkrete Drohungen, bis hin zu Morddrohungen. Ich war früher nie groß mit Rassismus und Hass konfrontiert“, sagt sie. Zunächst habe sie diese ignoriert.

Der Mord am hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) vor einem Jahr bezeichnet Aras als Zäsur. Sie hat sich an die Polizei gewandt. Das Landeskriminalamt habe ihr Haus auf Sicherheitslücken untersucht, immer mal wieder schaue die Polizei in ihrem Stuttgarter Viertel nach dem Rechten. Drohungen geht sie nun nach. „So was darf man nicht ignorieren, das Netz ist kein rechtsfreier Raum“, sagt sie am Freitag in Stuttgart.

Einen massiven Anstieg der Bedrohung führt sie auf zwei Landtagssitzungen zurück. Im Dezember 2018 hatte sie zwei AfD-Politiker von der Sitzung ausgeschlossen. Da diese sich weigerten zu gehen, ließ sie die beiden von der Polizei hinausbegleiten. Das war rechtens, wie der Verfassungsgerichtshof später entschied. Das Szenario wiederholte sich Ende Juni mit einem fraktionslosen Abgeordneten, der ehemals der AfD angehörte. Der Hass im Netz kochte nach den Vorfällen auf.

Der juristische Dienst des Landtags hat sich der Sache angenommen. Bei 33 Hassbotschaften hat er beim Landgericht Stuttgart gefordert, Informationen über die Verfasser der Botschaften bekommen zu dürfen – und in 25 Fällen recht bekommen. „Ich bin sehr froh, dass das Landgericht so klar entschieden hat und dass Google die Adressen schnell rausgegeben hat“, sagt Aras. „Wir wollen den Leuten klarmachen, ihr werdet bei solchen Sachen auch verfolgt.“ Vergangene Woche hat Aras zudem 36 Anzeigen gegen unbekannt gestellt.

In vielen dieser Drohungen sieht Aras eine Verknüpfung von Hass gegen Ausländer und gegen Frauen. „Es passt nicht in das Bild dieser Männer, dass da emanzipierte Frauen sitzen, die die Regeln mitbestimmen wollen, die auch einen Führungsanspruch haben“, sagt sie. Dieses Phänomen kennt auch der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink – auch wenn er keine belastbaren Daten habe, wie er sagt. „Rechtsextremes Gedankengut hat immer etwas gegen gesellschaftliche Emanzipationsbewegungen. Ganz vorne steht da die Stellung der Frau in der Gesellschaft und im Staat.“

Wissenschaftler Pohl aus Hannover schreibt den rechten Parteien bei der Verbreitung dieses Zusammenhangs eine bedeutende Rolle zu. Die AfD etwa unterstreiche Rollenbilder, wonach der Mann als Familienvorstand das Geld nach Hause bringe. „Es handelt sich bei Fremden- und Frauenfeindlichkeit um ähnliche psychologische Mechanismen. Beides enthält im Kern die gekränkte Form von Männlichkeit.“ Beispielhaft verweist Pohl auf das Attentat auf eine Synagoge in Halle. Der Täter habe Antisemitismus mit Hass gegen Ausländer und Frauen verbunden. „Migranten und Feministinnen würden dem Täter das nehmen, was ihm aber zustünde: Sex mit einer Frau.“

Genau das ist der Kern der sogenannten Incel-Bewegung. Was das ist, hat Sozialminister Manfred Lucha auf eine Anfrage des Abgeordneten Daniel Lede Abal (beide Grüne) so erklärt: „Bei ,involuntary celibates’ (,Incel’) handelt es sich um Mitglieder einer Internet-Subkultur, die vor allem aus jungen, weißen, heterosexuellen Männern besteht, die unfreiwillig keinen Geschlechtsverkehr haben und für diesen Umstand Frauen verantwortlich machen.“ Zwar sei die Szene im Südwesten nicht auffällig. Laut Sicherheitsbehörden des Landes sei Frauenfeindlichkeit auch kein zentraler Bestandteil rechtsextremistischen Gedankenguts, so Lucha weiter. „Allerdings weisen einzelne Ausprägungen des Rechtsextremismus frauenfeindliche Elemente auf (z.B. Reduzierung der Frau auf ihre Rolle als Mutter bzw. Objektivierung der Frau als eine ,natürliche Ressource’ im Rahmen der völkischen Bewegung).“

„Wir müssen die geschlechtsspezifischen Aspekte von Hate Speech und digitaler Gewalt genauer unter die Lupe nehmen“, sagt die Grünen-Abgeordnete Dorothea Wehinger. Gemeinsam mit ihrem Fraktionskollegen Lede Abal lobt sie etwa, dass es in Baden-Württemberg mit „respect!“ seit 2017 bundesweit die einzige Meldestelle gegen Hass im Netz gibt. Zu ihren Forderungen gehört unter anderem eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die diesen Taten nachgeht. Das fordert auch die FDP.

Noch lehnt Justizminister Guido Wolf (CDU) dies ab. Sein Sprecher verweist auf die Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, über die Wolf am Freitag in Bad Saulgau mit allen Leitern der Staatsanwaltschaften im Land gesprochen hat. Ab März 2021 müssen Betreiber sozialer Netzwerke strafrechtlich relevante Kommentare an das Bundeskriminalamt melden. Dieses leitet die Bearbeitung an die entsprechenden Länder weiter. „Es wird dadurch zu einem erhöhten Aufkommen führen“, so Wolfs Sprecher. Die Folgen seien nicht absehbar. „Klar ist, dass es zu einem höheren Personalbedarf und Änderung in der Organisation kommen wird.“