StartseiteRegionalRegion AllgäuWangenNotbremse gezogen: Ministerium streicht Züge im Allgäu, damit andere pünktlicher werden

Notbremse

Notbremse gezogen: Ministerium streicht Züge im Allgäu, damit andere pünktlicher werden

Wangen / Lesedauer: 7 min

Verkehrsministerium zieht Notbremse, damit andere Verbindungen pünktlicher werden
Veröffentlicht:17.12.2022, 17:00

Von:
Artikel teilen:

Zwischen Wangen und Aulendorf wird es ab Januar deutlich weniger Direktverbindungen mit dem Zug geben als bisher. Mit Ausnahme des Schülerverkehrs streicht das Landesverkehrsministerium das bislang alle zwei Stunden bestehende Angebot. Es zieht quasi die Notbremse, damit die übrigen Züge auf der überlasteten Strecke der Allgäubahn pünktlicher werden. Das Ministerium spricht auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ aber von einem Interimskonzept, das nur bis Ende 2025 gelten soll. Ein Überblick samt Reaktionen.

Welche Verbindungen fallen ab wann weg?

Ab dem 9. Januar entfallen alle zweistündlichen Verbindungen der Linie RB 53 der Deutschen Bahn auf der Strecke von Aulendorf über Kißlegg nach Wangen im Abschnitt zwischen Kißlegg und Wangen. Mit Blick auf pendelnde Schüler gibt es lediglich diese Ausnahmen: von Aulendorf (17845) mit Halt um 6.23 Uhr in Kißlegg und um 6.33 Uhr in Wangen, von Wangen (17850) um 6.43 Uhr mit Halt in Kißlegg um 6.52 Uhr und Weiterfahrt nach Leutkirch, von Aulendorf (17681) mit Halt in Kißlegg um 12.32 Uhr und Wangen um 12.42 sowie von Wangen (17870) um 13.16 Uhr mit Halt in Kißlegg um 13.26 Uhr und Weiterfahrt nach Aulendorf. Ferner verkehren weiterhin die alle zwei Stunden fahrenden Züge der Linie RB 53 von Aulendorf über Kißlegg nach Leutkirch.

Welche Folgen hat das für Reisende?

Wer von Wangen nach Aulendorf und zum Beispiel in die Richtung Ulm und an den Bodensee fahrende Südbahn will (oder von dort kommt), muss künftig in Kißlegg umsteigen. Das Ministerium rechnet folgende zeitlichen Einbußen vor: Fahrgäste mit Richtung Wangen haben in Kißlegg Anschluss an die Regionalbahn der Linie RB 92 zwischen Memmingen und Lindau. Daraus ergibt sich eine neun Minuten spätere Ankunft beziehungsweise eine elf Minuten frühere Abfahrt in Wangen.

Wie begründet das Ministerium die Streichungen?

Mit der Unpünktlichkeit der Züge auf der Strecke der Allgäubahn. Denn die ist weit entfernt vom Idealzustand, wie zuletzt Pendler beklagten, die deshalb sogar aufs Auto umgestiegen sind. Das Verkehrsministerium liefert auf Anfrage Zahlen: So schwankte die Pünktlichkeit allein bei Go Ahead, das die Linien RE 96 und RB 92 zwischen München, Memmingen und Lindau betreibt – mit Halts auch in Leutkirch, Kißlegg und Wangen –, in diesem Jahr stark. Von Januar bis Mai hielten lediglich 60 bis 80 Prozent der blauen Züge den Fahrplan ein. Als im Sommer das stark nachgefragte Neun-Euro-Ticket galt, rutschte die Quote gar auf 40 bis 60 Prozent ab. Im Klartext: In diesem Zeitraum war gerade mal jeder zweite Zug pünktlich – wenn überhaupt. Und dabei ist die Kulanz groß. Denn als pünktlich gilt ein Zug bereits, wenn er weniger als vier Minuten Verspätung hat.

Warum sind die Züge so unpünktlich?

Im Fall von Go Ahead nennt das Ministerium mehrere Faktoren: den Betriebsstart auf der Allgäubahnschiene zu Jahresbeginn, Einflüsse durch die Pandemie und eben die hohe Nachfrage beim Neun-Euro-Ticket.

Mit Blick auf die Streichungen diverser Direktverbindungen zwischen Wangen und Aulendorf ist den Verantwortlichen in Stuttgart aber etwas ganz anderes ein Dorn im Auge: der Ausbauzustand der Allgäubahn. Sie ist in den vergangenen Jahren zwar elektrifiziert worden, in der Region aber eingleisig geblieben, während das Angebot zugleich deutlich erweitert wurde.

Die Folge: Inzwischen verkehren auf der Strecke nicht mehr nur – wie früher – Nahverkehrszüge der Deutschen Bahn , sondern auch die Regionalbahnen von Go Ahead (in deutlich dichterer Taktung als vor dem Jahreswechsel die DB) und vor allem deutsche und schweizer Fernverkehrszüge. Diese rauschen durchs Württembergische Allgäu zwar nur durch und halten hier nicht, sie haben aber Vorrang vor dem Nahverkehr. Deshalb bleiben die blauen Züge von Go Ahead und die roten der Bahn nur allzu oft buchstäblich auf der Strecke (stehen). Mit der deutlichen Ausdünnung des Nahverkehrsangebots zwischen Wangen und Aulendorf will das Verkehrsministerium die Züge also pünktlicher machen.

Wer trägt Verantwortung für den Ausbauzustand?

Dazu hat das Ministerium eine klare Meinung: die Deutsche Bahn. Deren Tochter, die DB Netz AG hatte die von München kommende Strecke zwischen Geltendorf, Memmingen und Lindau in den vergangenen Jahren zwar für mehr als 400 Millionen Euro elektrifiziert, habe sie aber nur „in dem mindestens erforderlichen Maß ausgebaut“. Es fehle an zweigleisigen Abschnitten, leistungsfähigen Kreuzungsbahnhöfen und Blocksignalen. Die Folge, so heißt es aus Stuttgart: Schon kleinere Störungen verursachen Unpünktlichkeit. Zudem sei der Güterverkehr „bislang kaum auf die Strecke gebracht“ worden. Unterm Strich konstatiert das Verkehrsministerium: „Deshalb ist die Betriebsqualität zwischen Buchloe, Memmingen, Lindau und Aulendorf nicht akzeptabel.“

Wie soll der Zustand besser werden?

Eigenen Angaben zufolge hat Stuttgart weitere Ausbaumaßnahmen angestoßen. Dazu gehörten beispielsweise der Einbau neuer Signale zwischen Wangen und Kißlegg bei Ratzenried durch die DB Netz AG. So könnten die Züge dichter hintereinander herfahren und die Strecke gewinne an Kapazität. In Betrieb gehen die Signale aber erst im Dezember 2025 – und bis dahin gilt eben die Interimskonzept genannte Notbremse für die Direktverbindungen zwischen Wangen und Aulendorf.

Wie fallen die Reaktionen in der Region aus?

„Wir sind überhaupt nicht begeistert“, sagt Kißleggs Bürgermeister Dieter Krattenmacher. Er und Wangens OB Michael Lang waren vor einigen Wochen über die Pläne des Ministeriums informiert worden. Die fehlende Direktverbindung sei eine Verschlechterung des Nahverkehrsangebots, das – wegen der künftigen Notwendigkeit des Umsteigens – allenfalls „dem Bäcker im Kißlegger Bahnhof“ zugutekomme.

Lang befürchtet, dass der Angebotsabbau dauerhaft sein könnte – auch wenn jetzt anderes zugesagt werde. Den Zeitrahmen bis Dezember 2025 hält er ohnehin für ein Problem – und zwar mit Blick auf die Landesgartenschau. Denn im Jahr 2024 sollen möglichst viele Menschen Wangen besuchen und dabei nicht allein aufs Auto angewiesen sein.

Kißleggs Bürgermeister sieht aber auch die Kehrseite der Medaille und fragt: „Verliert man mehr Fahrgäste durch Unpünktlichkeit oder durch wegfallende Züge?“

Gibt es denn Alternativen bis Ende 2025?

Hier verweist Dieter Krattenmacher auf die immer noch recht neue Regiobuslinie zwischen Wangen und Ravensburg. Auch im Schussental könne man auf Züge auf der Südbahnstrecke umsteigen. Dazu stellt das Verkehrsministerium stellt: „Der Regiobus ist eine attraktive Alternative mit nur einem Umstieg in Ravensburg in Richtung Norden.“ Allerdings dauere es auf dieser Route 15 Minuten länger. Deshalb wolle man ab Dezember 2025 „auf jeden Fall wieder eine schnelle Schienenverbindung anbieten“.

Wie viele Menschen betrifft die Notbremse überhaupt?

Erfahrungen zeigen: Wer zwischen Wangen und Aulendorf mit dem Zug unterwegs ist, braucht in der Regel nicht zu befürchten, keinen Sitzplatz zu bekommen. Das belegen auch die Zahlen des Verkehrsministeriums. Die Fahrgastzahlen bewegten sich im „hohen einstelligen beziehunsgweise niedrigen zweistelligen Bereich“. Mit anderen Worten: Sie sind quasi an zwei Händen abzählbar.

Weshalb also die ganze Aufregung?

Dazu heißt es aus Stuttgart: „Mit schnelleren Verbindungen in Aulendorf nach Ulm und Stuttgart (mit Inbetriebnahme Stuttgart 21) haben wir perspektivisch das Ziel, diese Zahlen weiter zu steigern und mehr Fahrgäste für die Schiene zu begeistern.“ Dafür dürften aber noch weitere Investitionen nötig sein. Denn die Strecke zwischen Kißlegg und Aulendorf ist inzwischen die einzige in der Region ohne Oberleitungen. Und die ist Voraussetzung für den Einsatz schneller und moderner Wagen – oder gar eines Ringzugs zwischen See, Allgäu und Schussental.