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Gesundheit im Kreis Ravensburg

Notaufnahmen der OSK unter Druck: Doch das soll sich ändern

Kreis Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Die Anzahl der Notfälle an der OSK hat sich in den vergangenen Jahren teilweise verdoppelt. Ursache sind aber nicht Patienten, die wegen jeder Kleinigkeit kommen.
Veröffentlicht:30.04.2023, 17:00

Von:
  • Emanuel Hege
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Die Tür aus Metall und Glas schwingt auf. „Hier haben wir einige Behandlungsräume, hier ein MRT und das ist der Schockraum für Unfallpatienten“, sagt der Leiter der Notaufnahme, Dr. Timo Gentner, während er durch die Gänge der Wangener Notaufnahme spurtet.

Es ist 16.30 Uhr und so gut wie jeder Raum ist leer. Nur eine ältere Frau wartet etwas verunsichert auf einem Behandlungsstuhl, um den Arm ein Verband. Durchschnittlich werden hier 42 Notfälle pro Tag behandelt, im Ravensburger Elisabethen–Klinikum sind es 140.

Das schwanke aber, mal kommen mehr, mal weniger, sagt Gentner. Was nicht schwankt, ist das Wachstum der Notfälle: Innerhalb von 15 Jahren hat sich deren Anzahl in der Wangener Notaufnahme verdoppelt, in Ravensburg liegt der Anstieg bei 52 Prozent.

Es gibt keine falschen Notfälle

Die Gründe dafür sind vielfältig — unter anderem liegt es an der alternden Gesellschaft und Klinikschließungen. Trotz der Belastung der Notaufnahmen sind die Ärzte und Verantwortlichen der Oberschwabenklinik (OSK) aber optimistisch — denn es stehen Veränderungen an.

Immer wieder wird die hohe Belastung der Notaufnahmen mit der steigenden Anzahl sogenannter falscher Notfälle erklärt. Erst vor wenigen Wochen schlug der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vor, eine Gebühr von Patienten zu verlangen, die die Notaufnahme wegen Bagatellen aufsuchen.

Dr. Timo Gentner, leitender Arzt der Notaufnahme in Wangen. (Foto: Emanuel Hege)

Timo Gentner schüttelt den Kopf: „Jeder Patient, der hier herkommt, hat ein Problem und fühlt sich als Notfall.“ Er sehe es als seine Aufgabe, auch die gut zu versorgen, die mit ihren Beschwerden auch zum Hausarzt hätten gehen können. Der Grund für die steigende Anzahl der Notfälle dürfe man nicht bei verunsicherten Patienten suchen, ergänzt Swen Wendt, Pflegedirektor der OSK. Man müsse die Entwicklungen um die Patienten herum betrachten.

Laut Wendt ist da zum einen die Alterung der Gesellschaft: Es gibt immer mehr ältere und gebrechliche Menschen in der Region. Viele sind allein und haben komplexe Erkrankungen — das bedeutet auch mehr Beschwerden und Notfälle.

Hausärztemangel verschärft das Problem

Erschwerend komme die schlechtere Hausärzteversorgung hinzu, sagt Wendt. „Wenn Hausärzte wegfallen und einige gar keinen Hausarzt mehr haben, ist der Weg zur Notaufnahme für viele die letzte Möglichkeit.“

Gleiches gelte für die Pflegestruktur. Wenn der ambulante Pflegedienst nur noch alle zwei Tage nach einer kranken Person gucken kann anstatt jeden Tag, steigen die unbehandelten Beschwerden, die Verunsicherung und somit die Notrufe.

Drittens liege der Anstieg der Notfälle in Wangen und Ravensburg aber auch an den Krankenhausschließungen in der Region, sagt Wendt. „Die Leute kommen von weiter her angefahren. Wenn Strukturen wegfallen, müssen das andere auffangen.“

Swen Wendt, pflegerischer Leiter und Teil der Geschäfstführung der OSK. (Foto: Emanuel Hege)

Alles Entwicklungen, die wohl in Zukunft immer schwerer auf den Notaufnahmen lasten. Die Notaufnahmen würden super Arbeit leisten, seien aber am Anschlag, sagt Hans Zimmerer, Patienten–Fürsprecher für die Ravensburger Klinik. Dennoch sehen Swen Wendt und Timo Gentner keinen Grund zur Sorge. „Obwohl die Zahlen zunehmen, braucht niemand Angst um die Versorgung in den Notaufnahmen haben“, sagt Gentner.

In Wangen warte ein Patient durchschnittlich drei Minuten auf eine Ersteinschätzung, 28 Minuten bis er einen Arzt sieht. Das ist laut OSK alles im vorgegeben Rahmen. „Und falls wir mal länger brauchen, haben wir immer Pflegekräfte, die nach den Wartenden gucken“, sagt Gentner.

Diese Reformen sind geplant

Auch Patienten–Fürsprecher Zimmerer sagt, dass es in Bezug auf die Notaufnahmen sehr wenige Beschwerden gebe. Er, Gentner und Wendt glauben, dass das auch so bleibt. Grund sind Reformpläne, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Februar vorgestellt hat.

Die erste Idee der Reform: Es gibt nur noch eine Notrufnummer. Aktuell gibt es in Baden–Württemberg noch drei, die Notrufnummer „112“, die Krankentransport–Nummer „19222“ und die „116117“ der Kassenärzte.

Durch eine einzige Nummer könnten die Patienten besser zu der für sie am besten geeigneten Hilfe gesteuert werden, sagt Gentner. Notaufnahmen in Krankenhäusern würden so möglichst nur von Hilfesuchenden genutzt werden, die dies wirklich benötigen.

Die zweite Idee der Reform: Ein zentraler Tresen vor der Notaufnahme — das sogenannte integrierte Notfallzentrum. Bisher wird jeder Patient, der selbst in die Notaufnahme kommt, auch dort behandelt. Am Tresen würde in Zukunft dann aber vorab entschieden werden, ob es sich wirklich um einen Fall für die Notaufnahme handelt oder der Patient für eine kassenärztliche Behandlung in eine angeschlossene Notfallpraxis geht.

„Es ist wichtig, dass das früh entschieden wird. So können wir die knappen Ressourcen in Zukunft besser nutzen“, sagt Gentner.

Kassenärzte sind noch nicht überzeugt

Die Kassenärzte sind jedoch skeptisch, viele Fragen seien offen, kommentiert die Kassenärztliche Vereinigung Baden–Württemberg. Die hessischen Hausärzte kritisierten laut „Ärzteblatt“, dass es inakzeptabel sei, dass Hausärzte am Tresen und in den Notfallpraxen Nacht– und Wochenenddienste schieben müssten.

Die Tür aus Metall und Glas schwingt zu. Der Wartebereich vor der Notaufnahme ist leer. „Heute ist es eher ruhig“, resümiert Timo Gentner. Die OSK mache aktuell viel, um den Patienten gerecht zu werden, sagt Swen Wendt.

Unter anderem unterstütze eine Beratungsfirma momentan die Mitarbeiter der Notaufnahmen, um die Prozesse zu optimieren. Damit das aber auch fruchtet, braucht es laut Wendt strukturelle Veränderungen, die von der Politik angeschoben werden müssen. Gentner und Wendt sind sich sicher, dass diese Veränderungen bald kommen.