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Geschichtenerzähler über die Faszination einer freien Erzählung

Leutkirch / Lesedauer: 4 min

Was verbindet Walther von der Vogelweide, Ulrich vom Waldberg und Wolfram von Eschenbach miteinander? Alle drei sind Geschichtenerzähler. Was dahinter steckt.
Veröffentlicht:21.03.2023, 07:00

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Was verbindet Walther von der Vogelweide, Ulrich vom Waldberg und Wolfram von Eschenbach miteinander? Alle drei sind Geschichtenerzähler. Während die beiden wohl berühmtesten Minnesänger des Mittelalters naturgemäß schon länger auf keiner Bühne mehr zu sehen sind, tritt Ulrich vom Waldberg regelmäßig im Raum Leutkirch auf. Anlässlich des Weltgeschichtentags am 20. März ist er in Kürze in Urlau. Was den Wangener an der uralten Kunst der freien Erzählung so fasziniert.

Hinter dem Künstlernamen Ulrich vom Waldberg verbirgt sich Ulrich Speer. Der Hautarzt widmet sich seit dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit als Mediziner dem Erzählen. Schon als Kind sei er von den Geschichten, die ihm seine Oma mit schlesischem Dialekt erzählte, fasziniert gewesen. Die Möglichkeit, Geschichten frei zu erzählen, beeindrucke ihn unter anderem mit Blick auf seine Enkel. Und nicht zuletzt sei es eine wundervolle Bereicherung seines „Unruhezustandes“, erklärt Speer.

Erklärung zum Namen

Den Namen „vom Waldberg“ habe er sich gegeben, um nicht unter dem Namen aufzutreten, unter dem er als Arzt relativ bekannt war. „Ich wohne am Waldberg“, so Speer zur Erklärung. Dazu spiele es natürlich auch eine Rolle, so die Verbindung zu früheren Geschichtenerzählern wie dem bedeutenden Minnesänger Walther von der Vogelweide zu ziehen.

In seinem Repertoire hat Speer mehr als 100 Geschichten, die er jederzeit frei vortragen kann. Ein so breiter Fundus sei wichtig, um auf das jeweilige Publikum eingehen zu können. Er habe zwar auch Erzählungen für Kinder — die man bei den Geschichten aktiv einbinden muss, um sie zu fesseln –, generell richte sich sein Programm aber eher an Erwachsene. Zu seinem Repertoire gehören unter anderem orientalischen Geschichten, Lustiges oder auch Weisheitsgeschichten, die zum Nachdenken anregen.

Masurische Geschichten

Und sein eigenes Lieblingsgeschichte? Grundsätzlich, so Speer, gefallen ihm die masurischen Geschichten des Schriftstellers Siegfried Lenz sehr gut. Aus Schlesien stamme auch seine Familie. Noch heute erkenne er jeden Schlesier am Dialekt, bekräftigt er.

Grundsätzlich seien unterschiedliche Dialekte für das Erzählen sehr hilfreich, da man die einzelnen Protagonisten einer Geschichte so für Zuhörer leicht nachvollziehbar trennen kann. Neben seiner „Muttersprache“ Niederbayerisch, die er immer wieder in die Erzählungen einbaue, könne er nach den langen Jahren im Allgäu auch den hiesigen Dialekt ganz gut.

In der Regel tritt Speer zusammen mit der ebenfalls aus Wangen kommenden Geschichtenerzählerin Birgitta Haug auf. Der Wechsel aus männlicher und weiblicher Stimme mache es für die Zuhörer interessanter, erklärt Speer alias Ulrich vom Waldberg. Wenn Haug mit dem Erzählen dran ist, übernehme er dann auch mal die musikalische Untermalung. Auch in der Genussmanufaktur in Urlau werden die beiden zusammen auftreten.

Methode der Wildnispädagogik

Haug betont, dass das Geschichtenerzählen auch als Methode der Wildnispädagogik wichtig sei.

Mit den Geschichten bringe ich den Menschen die Natur nahe, erzeuge emotionale Bilder, die abgespeichert werden,

erklärt Haug.

 Sie selbst führe zum Beispiel Kräuterführungen mit Märchen, Geschichten und Sagen durch.

Organisiert sind Geschichtenerzähler unter anderem im Verband der Erzählerinnen und Erzähler, so Haug. „Immer mehr Menschen ist es wichtig, Erzählgut nicht nur in literarischer Form, sondern durch das mündliche Erzählen lebendig zu halten“, heißt es auf der Website des Verbands.

Mimik und Gestik

Beim Erzählen seien Mimik und Gestik „das wichtigste überhaupt“, erklärt Speer. Den Stil, mit dem er und seine Erzähler–Kollegen Geschichten für die Zuhörer lebendig werden lassen, bezeichnet er als „dramisch“ — eine Mischung aus epischer, also erzählendem Stil, und Dramatik.

Sein Anliegen sei es, so Speer alias Ulrich vom Waldberg, diese eigentlich alte Kunstform in der Gesellschaft neu zu verankern. „Es geht darum, dass sich unser Handwerk als Kulturform wieder etabliert“, sagt er. Die nächste Möglichkeit für interessierte Zuhörer bietet sich am Freitag, 24. März, um 17 Uhr in der Bibliothek der Allgäuer Genussmanufaktur in Urlau.