Aufgegabelt
Wie’s heute im historischen Adler in Großholzleute schmeckt
Isny / Lesedauer: 3 min

Erich Nyffenegger
Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie seinerzeit in einem der Nebenräume des Gasthofs Adler in Großholzleute die Köpfe der bedeutendsten Literaten geraucht haben. Und nicht nur die Köpfe: Auch die Pfeife von Günter Grass, als er den Kollegen der Gruppe 47 im Jahr 1958 hier erste Auszüge aus seinem Manuskript „Die Blechtrommel“ vorgelesen hat, die bald zum Kanon der Weltliteratur gehören sollte.
Günter Grass und Kollegen tagten hier
Die Innenräume des geschichtsträchtigen Hauses wirken wie aus einem Stück geschnitzt, jede Menge Hirsch– und Rehgeweih an den Wänden. Vieles ist noch genau so wie damals, als die Nachkriegsschriftsteller–Elite hier debattierte, qualmte, aß und vor allem trank. Als Poststation war der Adler allerdings schon viel früher bedeutend, weil adlige Reisende hier ihr Haupt zur Ruhe betteten.
Durchgehend warme Küche
Nach verschiedenen Betreiberwechseln war es zuletzt ruhig geworden, zeitweise war das Haus ganz geschlossen. Und heute? Erfreulicherweise regulär geöffnet — und sogar mit durchgehend warmer Küche ab 12 Uhr. An einem Sonntag im Mai ist die große Wirtschaft gut gefüllt. Das Service–Team behält den Überblick, die weibliche Bedienung serviert im Allgäuer Dialekt und mit sachlicher Freundlichkeit.

Zuerst stellt sie einen enormen Suppenteller mit drei Brätknödeln auf die Tischplatte. Diese hat so viele Kerben und Spuren der Jahrhunderte auf der Oberfläche, dass selbst Grass noch nicht geboren war, als man diesen Tisch zimmerte. Sofort steigt ein Geruch von der Brühe auf, der nur eine echte Fleischsuppe haben kann: der Duft von Rinderfett, das sich auch in den kleinen Goldaugen auf der Oberfläche zeigt. Der erste Löffel bestätigt kernigen Geschmack ohne Brühwürfel–Tristesse. Noch dazu mit ausgewogen gewürzten Brätknödeln samt Schnittlauch.
Vieles ist noch wie früher
Die hemdsärmelige Urtümlichkeit des Adlers wirkt auch gerade deshalb so unmittelbar, weil lang anberaumte und geplante Sanierungen offenbar noch nicht in Schwung gekommen sind. Was für die Bausubstanz kritisch sein mag, ist für den Gast, der das Unverfälschte mag, ein Segen. Ein Segen ist dann auch der erfrischende Salat vor dem Hauptgang. Denn auch der verzichtet auf künstliche Geschmackschemie. Ein Joghurtdressing grundiert die vegetarische Angelegenheit. Kraut– und Karottensalat sind klassisch angemacht. Damit kann und will die Adler–Küche sicher keinen Innovationswettbewerb gewinnen — und die Gäste scheinen froh drum zu sein.

Froh sein darf der Gast dann auch, wenn er das „47er–Schnitzel“ bestellt. Es hat außer dem Namen zwar nicht viel mit Literatur zu tun, zergeht aber trotzdem saftig auf der Zunge. Die Hülle aus Bergkäse und Laugenbröseln knuspern schön. Ebenso die Bratkartoffeln, die richtig geröstet sind. Das Gericht verdient einen kurzen Blechtrommelwirbel.
Adler Großholzleute
Hauptstraße 27
88316 Isny/Großholzleute
Tel. 07562—6239674
www.adler–grossholzleute.de
geöffnet Mittwoch bis Montag ab 12 Uhr, Dienstag Ruhetag. Hauptgericht 13,90—23,90 Euro.