Auftakt

Festivalkonzert der Isny Oper trumpft mit Wagner auf

Isny / Lesedauer: 4 min

Was hat Hans–Christian Hauser denn da geritten, dass er sich dem Großmeister Richard Wagner annimmt? Und das auch noch in Isny?
Veröffentlicht:26.06.2023, 18:00

Von:
  • Babette Caesar
Artikel teilen:

Was hat Hans–Christian Hauser denn da geritten, dass er sich dem Großmeister Richard Wagner annimmt? Und das auch noch in Isny? Das ist ein starkes Stück gewesen am Sonntagabend in der nahezu voll besetzten Nikolaikirche. Sein Festivalkonzert zum Auftakt der 35. Isny Oper hat wirklich nicht gespart mit gewaltigem Klangrausch und sehnsuchtsgetragenen Momenten wie sie sich zu Hauf in Wagners berühmten Opernwerken finden lassen. Stehende Ovationen und minutenlang anhaltender Applaus gab es vom Publikum, aber nicht nur dafür.

Shabbatgesänge des kanadischen Komponisten, Organisten und Musikpädagogen Ben Steinberg (1930 — 2023) und des indisch–amerikanischen Komponisten Simon Sargon (1938 — 2022) eröffneten dieses Festivalkonzert. Mit einem reduzierten instrumentalen Klangkörper, dazu die italienische Sängerin Maria Anelli. Ihr lyrischer Sopran ist in den letzten Jahren mehrfach während Aufführungen der Isny Oper zu hören gewesen. Zusammen mit dem künstlerischen Leiter Hans–Christian Hauser hat sie ein Repertoire an jüdischer und jiddischer Musik zusammengestellt.

Überwältigender und anrührender Auftakt

Den Shabbat zu heiligen und zu preisen, sich dem siebten Tag von der Arbeit zu erholen, sich zu reinigen und die Herzen mit Liebe zu füllen, darum geht es inhaltlich in den beiden Gesängen. Anellis Stimme ist zu einer wunderbar reifen geworden, die kraftvoll und mitfühlend diese hoch aufsteigenden Partien interpretierte. Als überwältigend und anrührend erlebten Zuhörerinnen und Zuhörer diesen Auftakt.

Den nächsten Joker zog Hauser mit Bedřich Smetanas (1824 — 1884) sinfonischer Dichtung „Die Moldau“ aus dem Ärmel. Quasi als Überleitung hin zur Trumpfkarte mit Partien aus Wagners Opernwelt. Was die Anziehungskraft dieses 1874 entstandenen und berühmten Werks der Programmmusik ausmacht, klärte sich augenblicklich mit den ersten Takten des nun voll besetzten Kammerorchesters. Es ist der eingängige, poetisch tönende Charakter, sobald der Tag zu dämmern beginnt und die „Quellen“ des Flusses zu strömen.

Starkes Ensemble

Es ist der Moment höchster Konzentration und Präsenz, um den Spannungsbogen zu halten und auszukosten, bis nach Flöten und Klarinetten die Hörner zur „Waldjagd“ anstimmen. Was sich hier als sich beständig wandelndes, phänomenales Landschaftsgemälde präsentiert, hat der tschechische Komponist einer eindeutigen formalen Klassifizierung eines freien Rondos unterzogen.

Genau dies machte am Abend die Stärke des Ensembles aus. Kein seichtes, volkstümelndes Dahinfließen, sondern Hauser, der sich bekanntlich nicht so schnell mit sich und den anderen zufrieden gibt, lotete jede einzelne Nuance aus. Dabei litten weder Tonstärken noch Tempi. Im Gegenteil, alles schien in– und übereinander zu mäandern, doch ohne sich je ineinander zu verstricken. Kurz gefasst: Er bewahrte eine ungeheure Ruhe im großen Sturm, der mit der Episode der „St. Johann–Stromschnellen“ losbricht. Überschäumend und das Kirchenschiff mit ganzer Wucht füllend. Bravorufe gab es für diese beeindruckende Aufführung.

Mystischer Moment

Passagen aus Richard Wagners Jahr für Jahr auf Bayreuths Grünem Hügel aufgeführten Opern bestimmten den zweiten Teil. Sämtlich instrumental ohne Gesang, was quasi in Reinkultur Wagners Sinfonik in den Mittelpunkt rückte. Aus seiner 1850 komponierten romantischen Oper „Lohengrin“ erklang das Vorspiel zum ersten Akt, mit dem Hauser ein großartiges andächtiges Raumerleben schaffte. Es ist die Aura des Grals, die Friedrich Nietzsche als „blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung“ empfand.

Es ist die Sogwirkung, der mystische Moment, in den das Orchester einen eintauschen ließ, bis sich das gemächliche Tempo untergründig anschwoll und in seiner unerschütterlichen Dramatik aufging. Hauser beherrscht das Entwerfen bruchloser Übergänge von entschleunigten, sinnlich aufgeladenen Partien gegenüber hochdramatischen Szenen, die sich im Falle von Wagners „Götterdämmerung“ aus der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ und „Tristan und Isolde“ wie in einem immer wiederkehrenden Reigen abwechseln.

Vulkangleiche Ausbrüche

Sehnsuchtsgetragene Stillen, kaleidoskopartig aufgefächert, bieten Minuten der puren Erholung — auch, wenn das Gefühl einer latenten Bedrohung oder unbekannten Macht stets mitschwingt in „Isoldes Liebestod“. Gelegentlich können die sich auftürmenden Tonmassen und deren vulkangleichen Ausbrüche ermüden, nur überwiegt dann doch die Faszination der nahezu perfekten Inszenierung des Orchesters bestehend aus jungen Musikerinnen und Musikern sowie gestandenen Mitgliedern, die den festen Boden ausmachen.

Nach „Siegfrieds Rheinfahrt“ und dessen „Trauermarsch“ klang dieses Konzert mit einem flirrenden kosmischen Gesang aus wie von überirdischen Kräften getragen — so als hätte es nie ein Drama um das „Rheingold“ gegeben.