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Benjamin Strasser in Wurzach

Werden vor der Verantwortung nicht davonlaufen

Bad Wurzach / Lesedauer: 5 min

Der Staatssekretär der FDP im Bundesjustizministerium ist Gast der Wirtschaftsgespräche des HGV. Es geht um Energie, Schulden, Zuwanderung und Bürokratie.
Veröffentlicht:05.11.2023, 15:00

Von:
  • Steffen Lang
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Bürokratismus, Strompreis, Schuldenbremse, Migration: Das waren, vor allem, Themen bei den 4. Bad Wurzacher Wirtschaftsgesprächen. Dazu hatte sich am Donnerstagsabend der Handels- und Gewerbeverein (HGV) den FDP-Bundestagsabgeordneten Benjamin Strasser in den Saal von Maria Rosengarten eingeladen. Manuel Haberer hatte den Kontakt hergestellt.

Der 36-jährige Rechtsanwalt aus Berg bei Ravensburg bezeichnete es in seinen einleitenden Worten als „Privileg und Ehre, Politik machen und damit Verantwortung übernehmen zu dürfen“. Der Liberale machte zudem deutlich, dass seiner Ansicht nach, der Staat nicht der Problemlöser für alles sein kann. Auch Eigeninitiative sei gefordert.

Außerhalb des Wahlkreises

Bad Wurzachs Bürgermeisterin Alexandra Scherer lobte Strasser in ihrem Grußwort für seine häufige Anwesenheit in Bad Wurzach, „obwohl wir nicht zu Ihrem Wahlkreis gehören“.

Vor den knapp 30 anwesenden HGV-Mitgliedern übernahm Friedrich-Thorsten Müller die Moderation und führte in die Themen ein. Acht wirtschaftspolitische und drei justizpolitische Fragen hatte er für den Staatssekretär im Bundesjustizministerium vorbereitet.

Wie sich herausstellte, ein zu ehrgeiziges Programm. Nach knapp drei Stunden hatte man drei Fragen eingehend besprochen, weitere im „Schnelldurchgang“ oder gar nicht.

Mehrwertsteuer in der Gastronomie

Die FDP sei dafür, sie dauerhaft auf dem wegen Corona und Energiekrise gesenkten Stand von sieben Prozent zu lassen, so Strasser. Voraussetzung ist für die Liberalen aber eine seriöse Gegenfinanzierung.

Ob sich der Staat das auch leisten kann, soll die bevorstehende Steuerschätzung zeigen. Bei den Koalitionspartnern SPD und Grünen sieht Strasser „Beweglichkeit“ in dieser Frage.

Schuldenbremse

„Die Schuldenbremse steht in der Verfassung, sie ist kein FDP-Fetisch“, machte der Liberale klar. Und trotz Einhaltung weise der Bundeshaushalt, von seinem Parteichef Finanzminister Christian Lindner entworfen, „aktuell die höchste Investitionsquote“ und eine Neuverschuldung von 17 Milliarden Euro aus.

„Ohne Schuldenbremse laufen wir Gefahr, nicht mehr handlungsfähig zu werden,

warnte Strasser.

Zudem sei jede Neuverschuldung auch ein Inflationstreiber. Klüger, als Geld nach dem Gießkannenprinzip auszuschütten, ist es nach Ansicht der Liberalen, gute Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen.

Industriestrompreis

Die vor allem von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beworbene Deckelung der Strompreise für große Unternehmen „überzeugt meine Partei und mich nicht“, so Strasser.

„Unsere Idee ist es, die Energiesteuer auf ein europäisches Mindestmaß zu reduzieren.“ Das sei zumindest ein erster Schritt.

Wichtig sei es auch, Deutschland bei der Energieversorgung breit aufzustellen. Dabei werde man weiterhin auf Importe angewiesen sein. Man dürfe sich aber nie wieder von einem Land als Anbieter abhängig machen, mahnte Strasser.

Die Zukunft sieht er zum Beispiel im Wasserstoff. „Hier müssen wir uns Partner in Ländern suchen, die ihn billig produzieren können.“ Zum Beispiel in Afrika, wo viel Solarenergie zur Herstellung von Wasserstoff gewonnen werden kann.

Für Strasser wäre das auch eine Lösung für ein anderes Problem: Wenn dort dadurch Arbeitsplätze geschaffen werden, werde es auch weniger Migration geben, glaubt der Liberale.

Auch beim Thema Kernfusion sei derzeit „Musik drin“. Und nicht zuletzt müsse Deutschland auch seine heimische Erdgasförderung, zum Beispiel in der Nordsee, kräftiger unterstützen. Was denn gegen Kernenergie aus deutschen Atomkraftwerken, fragte Müller nach.

Vor allem die ungeklärte Frage der Endlagerung des Atommülls, entgegnete Strasser. Seine Partei hätte sich allerdings eine etwas längere Laufzeit der AKW in Deutschland gewünscht, „aber das ist jetzt vergossene Milch“.

Bürgermeisterin Scherer berichtete aus ihren Gesprächen mit hiesigen Unternehmern, dass diese von einem Industriestrompreis auch nicht begeistert seien. Man wolle nicht von Subventionen abhängen.

Eine dauerhaft gesenkte Stromsteuer wäre ihnen lieber. „Die Menschen würden dabei eine ideologiefreie Diskussion des Themas Energie sehr wertschätzen“, mahnte Scherer allgemein. Strasser nickte zustimmend.

Zuwanderung

Deutschland habe Jahrzehnte lang ignoriert, dass es ein Einwanderungsland ist und daher nichts geregelt und geordnet, schickte Strasser beim Thema „Fachkräftemangel kontra Asyleinwanderung“ voraus.

Da hole nun die Ampelkoalition mit Einwanderungsgesetz, Chancenaufenthaltsgesetz, Staatsangehörigkeitsgesetz und Migrationsabkommen viel nach. Zuwanderung werde es weiterhin geben, und sie werde auch gebraucht. „Und da reden wir nicht nur von Fachkräften, sondern allgemein von Arbeitskräften.“

Mit dem Einwanderungsgesetz sei in diesem Bereich alles geregelt, nun müssten die Visa in den deutschen Botschaften auch schnell ausgegeben werden.

Bürokratie

Strasser bereitet im Justizministerium derzeit das vierte Bürokratieabbaugesetz vor. Erstmals, so hob der Liberale hervor, habe man dazu im Vorfeld Verbände abgefragt, was in ihren Augen getan werden sollte. 442 Vorschläge seien eingegangen, nachzulesen sind sie samt Stellungnahmen der betroffenen Ministerien auf der Website des Ministeriums. 154 dieser Vorschläge sind laut Strasser „sofort umsetzbar“.

Er erinnerte aber auch, dass viele bürokratischen Belastungen „aus Europa“ kommen. Hier stimme sich die Bundesregierung derzeit mit Frankreich ab, um etwas zu ändern.

„Wir brauchen Sie als unsere Verbündete, um Druck auf allen Ebenen zu machen“, appellierte Strasser an die Unternehmer im Saal. „Mein Ziel ist eine spürbare Entlastung im Alltag.“ Die Arbeit daran mache Spaß, so der Berger, „weil Dynamik da ist. Ich bin guten Mutes.“

Weitere Themen

Weitere Themen, die nur kurz angesprochen wurden, waren die Verdoppelung der Lkw-Maut ab 2024, die künftige Finanzierung der Renten, die Cannabislegalisierung und die von Bürgermeisterin Scherer beklagte zuletzt stockende Finanzierung des Breitbandausbaus.

Bei allen Problemen „will ich den Menschen Mut zusprechen“, so Strasser in seinem Schlusswort. Politiker und Unternehmer seien Verantwortungsträger, die den Menschen Hoffnung geben müssten, „dass die Zukunft besser wird als es scheint“.

Verantwortung übernehmen

Die FDP und er selbst würden dabei nicht vor der Verantwortung davonlaufen, „nur weil die Umfrageergebnisse nicht passen“, machte der Liberale deutlich. Die FDP habe „in entscheidenden Bereichen Trendwenden durchgesetzt“, widersprach er gleichzeitig dem Eindruck, die Liberalen würden sich in der Ampelkoalition nicht durchsetzen. „Unser Ziel ist es, unser Land gut durch schwierige Zeiten zu bekommen.“

Ob das gelingt? „Ich glaube, wir haben bisher einen ganz guten Job gemacht. Das Risiko des Scheiterns tragen wir als Politiker so wie auch Sie als Unternehmer immer. Aber ich könnte auch in dem Fall immer noch in den Spiegel sehen, denn ich habe mein Bestes gegeben.“