In einer Zeit, in der wir mit den dramatischen Folgen des Krieges in der Ukraine konfrontiert werden und erleben müssen, wie Millionen von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und Familien auseinandergerissen werden, wirkt die Idee von Städtepartnerschaften plötzlich wieder hochaktuell.

Gerade die erfolgreiche Spendenaktion des Komitees Popielów im Wurzacher Partnerschaftsverein verdeutlicht, wie lebensnah der Leitgedanke ist, nicht nur als Tourist in ein anderes Land zu reisen, sondern mit persönlichen Kontakten die freundschaftlichen Beziehungen zu Menschen in anderen Ländern zu pflegen und damit Konflikten vorzubeugen.
Besetzt und deportiert
Eine andere Städtepartnerschaft Bad Wurzachs, nämlich die mit St. Helier auf der Kanalinsel Jersey , ist eine direkte Folge des Zweiten Weltkriegs, der wie der zur Zeit tobende Krieg in der Ukraine von einem gewissenlosen Diktator entfacht worden war. Im September 1942 wurden fast 2000 Menschen von den britischen Kanalinseln deportiert, die 1940 von deutschen Truppen besetzt worden waren – als eine Vergeltungsaktion, die von Hitler persönlich angeordnet worden war.
Etwa 600 Männer, Frauen und Kinder waren fast drei Jahre lang im Wurzacher Schloss interniert. Und es waren gerade ehemalige Internierte, die als Lehre aus den schrecklichen Ereignissen des Krieges den Anstoß zur Versöhnung und zu einer Partnerschaft gaben.
Auf Spurensuche
Neil Walker, IT-Spezialist aus Jersey, kam jetzt auf Spurensuche für seine Familienforschung nach Wurzach, um sich eine Vorstellung davon zu machen, wo seine Urgroßeltern drei Jahre verbracht hatten. Sein Urgroßvater Albert Berry war nicht auf Jersey geboren und gehörte damit zu dem Personenkreis, der deportiert werden sollte.

Da das Leben unter der deutschen Besatzung auf Jersey alles andere als einfach war, begleitete ihn seine ganze Familie. In Biberach, wo der größte Teil der Deportierten zuerst landete, wurde die Familie dann doch noch auseinandergerissen. Weil Sidney, der älteste Sohn, bereits über 18 war, wurde er nach Laufen an der Salzach in ein Kriegsgefangenenlager geschickt. Er durfte später aber doch noch zu seiner Familie nach Wurzach stoßen, weil seine Mutter schwer erkrankte.
Bessere Versorgung
Die Menschen von den Kanalinseln hatten tatsächlich Glück im Unglück, als sie auf Druck des Auswärtigen Amtes, gleich wie die Kriegsgefangenen der westlichen Alliierten, entsprechend den Regeln der Genfer Konventionen behandelt wurden. Dies bedeutete, dass das Lager für Kontrollbesuche durch Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes und der Schweizer Schutzmachtabteilung stand. Auch wurde die Lebensmittelversorgung durch Lieferungen des Roten Kreuzes verbessert.
Im Unterschied dazu wurden sowjetische Kriegsgefangene – und dazu zählten auch die Soldaten aus der Ukraine, die als Russen betrachtet wurden – ausdrücklich schlechter versorgt als englische oder amerikanische Kriegsgefangene. Dies hatte zur Folge, dass von den fast sechs Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen über drei Millionen nicht überlebten, während bei den westalliierten Kriegsgefangenen die Todesrate bei etwa zwei Prozent lag. Von den etwa 600 Zivilinternierten verstarben in Wurzach elf Personen, deren Gräber bis heute von der Stadt gepflegt werden.
Über Nordafrika abgeschossen
Albert Berrys Brüder hatten es gerade noch ganz knapp geschafft, vor der Besetzung die Insel zu verlassen. Der eine trat als Ausbilder in die britische Armee ein, der andere in die Royal Air Force und musste 1942 über Nordafrika mit dem Fallschirm aus einem getroffenen Flugzeug aussteigen, wurde von den Italienern gefangen genommen und landete schließlich in einem deutschen Kriegsgefangenenlager in Sagan in Schlesien (heute Zagan in Polen).
Er war damit wie sein Bruder und dessen Familie in Wurzach hinter deutschem Stacheldraht gelandet und sie konnten tatsächlich über Verwandte in England in Briefkontakt miteinander treten.
Urgroßmutter erkrankt schwer
Wegen der schweren Erkrankung von Amy Berry wurde die Familie mit etwa 50 anderen älteren oder erkrankten Internierten einem Gefangenenaustausch angeschlossen, der im März 1945 stattfand. Die beiden wehrfähigen Männer der Familie mussten eine eidesstattliche Erklärung unterzeichnen, in diesem Krieg keine Waffen mehr zu tragen.
Es ist mehr als erstaunlich, dass es noch möglich war, einen Lazarettzug mit 22 Wagen über das schwer beschädigte Eisenbahnnetz durch ganz Deutschland bis zu einem Fährhafen in Dänemark zu führen, von wo aus die Gefangenen nach Schweden gebracht wurden. Von dort wurden sie auf dem schwedischen Dampfer Drottningholm,der unter der Rot-Kreuz-Flagge fuhr, nach England transportiert.
In Göteborg gestorben
Die Familie Berry ging aber nicht mit an Bord, da Amy Berry, die Wurzach bereits schwerkrank verlassen hatte, nicht mehr transportfähig war. Sie verstarb einige Wochen später in Göteborg, wo die englische Botschaft und mehrere schwedische Wohltätigkeitsvereine für ein würdiges Begräbnis sorgten. In der Familie werden neben Zeichnungen, die von Familienmitgliedern in Wurzach angefertigt wurden, und anderen Erinnerungsstücken auch der Liedzettel der Beerdigungsfeier aufbewahrt.
Knapp zwei Monate nach dieser vorzeitigen Heimführung wurden alle Internierten des Schlosses durch französische Truppen befreit – am 28. April 1945, der für alle Menschen in Wurzach das Ende des Krieges bedeutete.
Gedenkfeier im September
Gemeinsam mit ehemaligen Internierten und anderen Besuchern aus Jersey wurde in Bad Wurzach schon wiederholt der Jahrestag des Kriegsendes begangen. 2020 war zu diesem Anlass der Besuch einer großen Gruppe aus Jersey erwartet worden, der aber wegen des Beginns der Corona-Epidemie abgesagt werden musste. In diesem Jahr soll hier im September gemeinsam an den 80. Jahrestag der Deportation erinnert werden.
Als Begleitveranstaltung zu diesem Besuch ist eine Ausstellung mit Bildern geplant, die die Internierten während ihrer Zeit als Gefangene malten und eine Vorstellung vom Leben im Internierungslager geben können.