Amtzell
Erkältung ade? Das macht Salzluft mit der Atmung
Amtzell / Lesedauer: 5 min

Simon Federer
Eigentlich ist Monika Vogel chronisch krank, und doch geht es ihr sichtlich gut. Sie liegt auf einer Liege, hat die Augen geschlossen und atmet ruhig, atmet saubere Salzluft ein. Sie ist umgeben von Steinen aus zwölf Tonnen Salz. Um Monika Vogel herum leuchten orangene Salzlampen, mit Flötenklängen beginnt ihre Sitzung in der Salzgrotte in Amtzell im Allgäu.
Monika Vogel (73) aus Sickenried bei Ravensburg hat die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Dadurch fällt ihr das Atmen schwer. Sie nimmt Medikamente, hat aber auch eine weitere Unterstützung entdeckt: der wöchentliche Besuch in der Salzoase Auszeit in Amtzell. Das ist eine von mehr als 300 Salzgrotten in Deutschland und eine von rund 20 zertifizierten Grotten, die spezielle Anforderungen etwa an die Bauweise und Lüftungstechnik erfüllen müssen. Dort können Besucher Salzluft einatmen und sich in mystischer Atmosphäre entspannen. Der therapeutische Nutzen ist nicht eindeutig belegt ‐ was aber laut einem Lungenfacharzt Interessierte nicht von einem Besuch abhalten sollte.

In Amtzell werden die Besucher „Gäste“ genannt, nicht etwa „Patienten“. Sie legen sich in Straßenkleidung wahlweise auf eine der Liegen im Salzraum oder auf einen Stuhl und werden von Maria Ochsenreiter zugedeckt, einer Mitarbeiterin der Salzoase. Eine Sitzung dauert eine Dreiviertelstunde, die Gäste bekommen ein Salzbonbon zum Lutschen und ein Glas Wasser zum Trinken und tun ‐ nichts. Sie müssen keiner speziellen Atemtechnik folgen, sie müssen nicht meditieren, auch wenn ihnen das natürlich niemand verbietet.
Die Salzoase Auszeit soll, wie der Name schon sagt, Gästen Entspannung bieten und Zeit für sich, sagt Inhaberin Hannelore Schneider, die die Grotte vor acht Jahren gebaut hat. Ein nach medizinischem Standard zugelassener Ultraschallvernebler produziert Solepartikel, die bis in die kleinsten Lungenbläschen inhaliert werden können, erklärt Hannelore Schneider. Eine spezielle Filteranlage sorge zusammen mit einem kleinen Gradierwerk für eine „ideale Luftfeuchtigkeit“. „Die Solelösung wird aus reinstem, nicht raffiniertem Natursalz hergestellt und enthält somit noch alle Mineralstoffe und Spurenelemente der Natur.“
Manche sind erkältet, andere haben Asthma oder eine Allergie
Die Gäste der Salzoase haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Manche kommen zur Prävention, andere haben eine Pollenallergie oder Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD, sagt Hannelore Schneider. Auch Erkältete besuchen die Grotte ‐ im Salzraum bestehe aufgrund der besonderen Luft keine Ansteckungsgefahr, so die Inhaberin.

„Mir geht’s immer gut nach der Grotte“, sagt jedenfalls Monika Vogel. Seit 2017 ist sie fast jede Woche in Amtzell zu Gast. Und wenn das nicht möglich ist, wie während der Corona-Zeit, fühle sie sich schlechter, sagt Monika Vogel. „Dann macht die Lunge zu, dann muss ich wieder mehr husten, dann fällt mir das Atmen wieder schwerer.“ COPD zählt laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) sowohl in Deutschland als auch weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Bei COPD-Erkrankten werden die Atemwege meist mit der Zeit immer enger.
Dass Menschen das Gefühl haben, salzhaltige Luft hilft ihnen beim Atmen, ist nicht neu. Seit Jahrhunderten zieht es Lungenkranke und Gestresste zur Kur ans Meer. Zudem haben Mediziner festgestellt, dass Arbeiter in Salzbergwerken seltener an Atemwegserkrankungen leiden als andere Berufsgruppen. Darauf weist auch der Pneumologe Justus de Zeeuw hin, Sprecher der Sektion Rehabilitation, Prävention und Tabakkontrolle der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). „Das Phänomen erklärt sich wahrscheinlich dadurch, dass es in den Atemwegen Chemorezeptoren gibt, die die Strömung der Luft deutlicher wahrnehmen, wenn die Luft mehr Partikel enthält.“
Niedrigeres Ansteckungsrisiko
Also bekommt die Person nicht tatsächlich mehr Luft, sondern bildet sich das nur ein? Darüber könne man streiten, sagt Justus de Zeeuw, der ergänzt: „Wenn ein Patient zu mir kommt, der ein gutes Gefühl bei der Salzgrotte hat und mich fragt ‐ ich würde es ihm nicht ausreden.“ Medizinisch gesichert sei nicht, dass die Salzgrotte hilft. Sein Rat: Interessierte sollten testen, was für sie angenehm ist, und das in die Tat umsetzen.
Was allerdings medizinisch gesichert ist: Die Inhalation einer drei- oder sechsprozentigen Kochsalzlösung über einen Vernebler hilft bei Erkältungen und sogar bei Corona, sagt Justus de Zeeuw. „Da gibt es ganz klare Daten.“ Es verkürze die Symptomdauer, lindere die Symptome und reduziere sogar das Ansteckungsrisiko für andere. Denn Menschen, die die Lösung inhalieren, würden weniger virushaltige Partikel ausscheiden.
Schaden kann ein Besuch nicht
Die positiven Effekte der inhalierten Kochsalzlösung lassen sich aber nicht so einfach auf Salzgrotten übertragen, sagt der Mediziner. Das sei schlicht kein wissenschaftlich geprüftes Setting. Allerdings: „Nicht alles muss auf den wissenschaftlichen Prüfstand.“ Schaden werde der Aufenthalt in der Salzgrotte „auf keinen Fall“. Der Effekt ergebe sich nicht aus der einzelnen Komponente „Salz in der Luft“, sondern eher aus der Gesamtheit: die mystische Atmosphäre, die Lampen aus Salzkristallen, die entspannende Musik.
Dabei haben Salzgrotte und Schulmedizin vielleicht mehr gemein als gemeinhin gedacht. „Warum tragen Ärzte weiße Kittel?“, fragt der Mediziner. „Das hat heute nichts mehr mit Hygiene zu tun.“ Der Kittel sei vielmehr ein Symbol ‐ etwa dafür, dass der Rat des Arztes Gewicht habe. „Wir können uns nicht davon freisprechen, dass wir wissen, dass all das eine Rolle spielt.“
Zurück zu Monika Vogel in der Salzgrotte. Sie hat ein bisschen geschlafen und wird nun von Mitarbeiterin Maria Ochsenreiter geweckt: „Ich darf Sie ganz herzlich wieder im Hier und Jetzt begrüßen.“ Langsam richtet sie sich auf und verlässt den Salzraum in Richtung Café, das auch Teil der Salzoase Auszeit ist. Dort gibt es Brot mit, wie könnte es anders sein, salziger Butter. Monika Vogel sieht gelassen aus. Warum das so ist, muss sie nicht so genau wissen. „Das tut mir einfach gut. Mehr kann ich eigentlich dazu gar nicht sagen. Damit ist alles gesagt.“
Eine Sitzung in der Salzoase Auszeit in Amtzell dauert eine Dreiviertelstunde und kostet für Erwachsene zwölf Euro. Eine Voranmeldung ist erforderlich.