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Bildungspolitik

Amtzellerin fordert Rückkehr zu G9 und bietet der Landesregierung die Stirn

Amtzell / Lesedauer: 6 min

Zurück zum 9-jährigen Gymnasium – schnellstmöglich. Das ist das Ziel von Corinna Fellner und einer Mitstreiterin. Sie finden klare Worte und nennen ihre Argumente.
Veröffentlicht:23.01.2023, 07:00

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„9-jähriges Gymnasium jetzt – möglichst bereits zum nächsten Schuljahr“ mit dieser Forderung bietet Corinna Fellner aus Amtzell gemeinsam mit Anja Plesch-Krubner aus Heidelberg der Landesregierung die Stirn – und weiß, das zeigt die Studienlage, eine Mehrheit der baden-württembergischen Eltern hinter sich.

Die „Zwei-Frauen-Initiative“ wie Fellner das Ganze scherzhaft nennt, organisiert derzeit einen Volksantrag zu einem G9-Gesetz.

Manchmal fragt mich mein Mann, ob ich eigentlich noch was anderes mache.

Corinna Fellner

Ziel ist, dass Baden-Württemberg flächendeckend zum neunjährigen Abitur zurückkehrt. Dazu muss die Initiative bis November dieses Jahres 39.000 Unterschriften für den Volksantrag sammeln.

Corinna Fellner möchte aber schon im Frühjahr so weit sein. „Ein Full-Time-Job“ mit zahlreichen Herausforderungen für die aus Bayern stammende 52-jährige Mutter von zwei Kindern: „Manchmal fragt mich mein Mann, ob ich eigentlich noch was anderes mache.“

Andere Bundesländer sind schon wieder bei G9

„Alle westdeutschen Flächenländer haben dem achtjährigen Gymnasium wieder den Rücken gekehrt“, argumentiert Fellner. „Als Bayern diesen Schritt vor Jahren getan hat, dachte ich, das kommt jetzt auch in Baden-Württemberg.“ Doch weit gefehlt, hierzulande hält die Politik an G8 fest. Die Initiative will das nun ändern.

„Und im Moment läuft es gut. Nahezu täglich gehen bei mir unterschriebene Formulare ein“, berichtet Fellner. Wenn das Quorum von 0,5 Prozent der Wahlberechtigten erreicht wird, muss sich der Landtag mit der Sache beschäftigen. „Und da wünsche ich mir dann natürlich einen Beschluss zur Rückkehr zu G9.“

Konkurrenz zu Gemeinschaftsschulen gefürchtet

Ob dies gelingt, steht allerdings nicht fest, denn die Landesregierung hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie die Schulstruktur in dieser Legislaturperiode nicht anfasst.

Insbesondere die Grünen befürchten in einem neunjährigem Gymnasium eine Konkurrenz zu den Gemeinschaftsschulen, die inzwischen unter gewissen Voraussetzungen auch das Abitur in einem neunjährigen Bildungsgang anbieten dürfen.

Vor kurzem hat allerdings der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Thomas Poreski, die Debatte über G9 selbst eröffnet, indem er eine flexible und längere Oberstufe in den Gymnasien ins Gespräch brachte. „Das sehen wir als Chance, dass Bewegung in die Sache kommt“, sagt Fellner.

Fellner hat ein „Herz für Schule“

Schon als ihre Kinder in den Kindergarten in Amtzell gingen, engagierte sich Corinna Fellner als Elternvertreterin und hat später den Vorsitz der Elternvertretung im Rupert-Neß-Gymnasium in Wangen übernommen. „Ich hab‘ ein Herz für die Schule – für Schüler und Lehrkräfte gleichermaßen“. Von allen Seiten hörte sie die Unzufriedenheit mit dem Turbo-Gymnasium und beschloss, etwas zu unternehmen.

Fellner sieht mit G8 eine Überforderung vor allem der Lernenden. Gerade bis zur 10. Klasse herrsche „Druck, Druck, Druck“. Regelmäßig zehn bis zwölf Stunden Unterricht, Fächer wie Mathe, Englisch, Physik oder Chemie nachmittags bis 17 Uhr.

„Da schauen die Lehrer nur noch in müde Augen und auf nicht mehr aufnahmefähige Köpfe“. Dann seien nach 40-Stunden-Wochen in der Schule noch keine Hausaufgaben gemacht. „Die Kinder haben keine Zeit mehr, um Hobbies wirklich nachzugehen oder Unterrichtsstoff zu vertiefen“. Fellner erlebte das auch bei ihren eigenen Kindern.

Mit G8 sei ein Niveau-Verlust einhergegangen, so Fellner. Es komme vielfach zu einem Bulimie-Lernen (Stoff reinpauken und bei Tests ausspucken), nur um irgendwie durchzukommen. „Wir wollen auch an den allgemeinbildenden Gymnasien ein Abitur für alle mit hoher Qualität, sodass bei den Jugendlichen tatsächlich eine Studierfähigkeit geschaffen wird.“

Was eine schnelle Rückkehr bedeuten könnte

Die Corona-Pandemie habe die Probleme noch verschärft und teilweise große Defizite bei Schülerinnen und Schülern hinterlassen, die in einem achtjährigen Gymnasium oft nicht mehr aufgeholt werden könnten.

Deshalb sieht Fellner jetzt die Chance, beide Anliegen zu verbinden: „Eine schnelle Rückkehr zu G9 würde Schulen die Zeit geben, entstandene Lücken und Versäumnisse durch ein weiteres Schuljahr aufzuholen“. Und nicht mit „Rückenwind“-Angeboten, mit denen die Landesregierung Defizite aufholen möchte, die aber aus Zeitnot vielfach in die Mittagspause gelegt würden.

Es gab nie pädagogische Gründe für das G8, es ging der Landesregierung immer nur darum, Geld für Lehrer zu sparen

Hartwig Kienast

Außerdem seien viele Schulabgänger heute zu jung, um sich zum Beispiel am Studienort selbst ein Zimmer zu mieten oder sich bei der Hochschule einzuschreiben. Die 52-jährige G9-Aktivistin macht G8 auch für die hohe Studienabbrecherquote verantwortlich, weil „die jungen Leute einfach noch nicht reif genug sind, um weitreichende Studienentscheidungen zu treffen“.

Seit fünf Jahren ist Corinna Fellner an ihrem Ziel G9 drangeblieben und hat mit einer ersten Petition ein Netzwerk von Unterstützern aufgebaut. Die sammeln jetzt auch im Kreis Ravensburg Unterschriften für den Volksantrag „G9 jetzt in Baden-Württemberg“.

Für Hartwig Kienast, der in Isny bereits 125 Unterschriften gesammelt hat, geht es schlicht um eine „lern- und lebensfreundlichere Schule“. „Es gab nie pädagogische Gründe für das G8, es ging der Landesregierung immer nur darum, Geld für Lehrer zu sparen“, sagt Kienast, der früher selbst Lehrer war.

Kerstin Patt, die für die G9-Initiative in Amtzell unterwegs ist, möchte mit ihrem Engagement eine „Persönlichkeitsentwicklung auch außerhalb der Schule“ ermöglichen. „Die Zeit, sich etwa in Hobbies zu entfalten, fehlt im achtjährigen Gymnasium“, so die Mutter eines Grundschulkindes. „Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie ein Jahr mehr haben“.

Ein Blick in die Historie

Zum Thema hat die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) die Schrift „Der Streit um "G8": Kürzere Schulzeit, mehr Stress, weniger Bildung?“ veröffentlicht. Darin wird auch ein Blick in die Geschichte gewagt: Kaum ein bildungspolitisches Thema wurde und wird in der Öffentlichkeit so intensiv diskutiert wie die Frage, wie lange die Schulzeit nach der Grundschule bis zum Abitur dauern soll.

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 gab es ein Nebeneinander der neunjährigen Gymnasialschulzeit in den westdeutschen Bundesländern und der achtjährigen in einigen ostdeutschen Bundesländern, welche die in der DDR üblichen zwölf Schuljahre bis zum Abitur beibehielten.

Erst Ende der 1990er-Jahre einigten sich die Kultusminister der Länder darauf, beide Varianten als gleichwertig anzuerkennen, wenn den Schülerinnen und Schülern ab Klasse 5 – unabhängig von der Schulzeit bis zum Abitur – insgesamt mindestens 265 Wochenstunden Unterricht erteilt werden.

G8-Schülerinnen und -Schüler können das Abitur damit zwar ein Jahr früher ablegen, sie haben aber die gleiche Anzahl an Unterrichtsstunden wie diejenigen im G9 und somit mehr Unterrichtsstunden pro Woche: Im Durchschnitt sind es in G8 etwa 33, in G9 etwa 29 wöchentlich vorgesehene Unterrichtsstunden.

Wie diese Unterrichtsstunden über die einzelnen Klassenstufen und Schulfächer verteilt werden, ist allerdings in den Bundesländern und teilweise auch in den einzelnen Schulen unterschiedlich geregelt.


Volksantrag zu G9