Politik
Wegen neuen Aslygesetzen: EU-Innenminister unter Druck
Brüssel / Lesedauer: 4 min

Daniela Weingärtner
Die Bundesregierung will an der Grenze zu Polen und Tschechien vorübergehend Grenzkontrollen einführen, um die massiv steigenden Asylbewerberzahlen zu senken. Innenministerin Nancy Faeser steht sowohl auf Bundesebene unter Druck, wo die Umfragewerte für die AfD steigen, als auch in Hessen, wo sie Ministerpräsidentin werden will und von wütenden und überforderten Bürgermeistern zum Handeln aufgefordert wird.
Wenn sie am heutigen Donnerstag ihre europäischen Ministerkollegen in Brüssel trifft, wird es auch nicht gemütlicher. Alle Mitgliedsstaaten sind sich einig, dass die EU-Migrationspolitik reformiert werden muss. Die Vorstellungen darüber, wie das aussehen könnte, gehen aber sehr weit auseinander. Zwar haben sich die Mitgliedsstaaten Anfang Juni formal auf eine Verhandlungsposition gegenüber dem EU-Parlament geeinigt. Seither haben sich aber mehrere Regierungen von diesem Kompromiss wieder distanziert.
Einigung bis Jahresende gefordert
Die amtierende spanische Ratspräsidentschaft dringt auf eine Einigung bis Jahresende, um das Thema aus dem Europawahlkampf im kommenden Jahr herauszuhalten. Spanien ist selbst stark betroffen. Über die westliche Mittelmeerroute erreichen von Marokko und Algerien viele Flüchtlinge die spanische Küste. Auf der sogenannten afrikanischen Route legen sie bis zu 1600 Kilometer zurück, um von Gambia aus die Kanarischen Inseln zu erreichen.
Zu dem Reformpaket gehören zwei Gesetze, die die EU-Kommission bereits vor drei Jahren vorgeschlagen hat: Eine neue Asylverfahrensverordnung und ein Gesetz zum Asyl- und Migrationsmanagement. Die geplante Asylverfahrensverordnung will ein Modell umsetzen, das seit Jahrzehnten diskutiert und von Flüchtlingsorganisationen vehement bekämpft wird: Eine Verlagerung von möglichst vielen Verfahren an die Außengrenzen der EU.
Viele für härteres Vorgehen an Außengrenzen
Antragsteller aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent sollen ebenso darunter fallen wie illegal auf dem Land- oder Seeweg eingereiste oder von Hilfsorganisationen aus Seenot gerettete Personen und Menschen, die falsche Angaben zur Person machen oder Personaldokumente vernichtet haben. Das Signal, das die EU damit aussenden will, wäre deutlich: Der teure und gefährliche Weg nach Europa mit Schlepperorganisationen ist keine Eintrittskarte, sondern eine Sackgasse.
Die Idee ist nicht neu, wurde schon 2004 einmal vom damaligen deutschen Innenminister Otto Schily ins Gespräch gebracht und später vor allem von der österreichischen Regierung favorisiert. Doch die aktuelle Ampel-Koalition in Berlin steht auf der Bremse, weil die Grünen damit den Pfad ihrer humanitären Flüchtlingspolitik verlassen würden.
In stark von der Migration geforderten Ländern wie Italien stößt es auf völliges Unverständnis, dass in Deutschland Rettungsmissionen im Mittelmeer staatliche Unterstützung erhalten. Noch mehr Sprengstoff enthält das zweite Gesetz, das alle Fragen des „Asyl- und Migrationsmanagements“ regeln und die konfliktträchtige Dublin-Verordnung ersetzen soll.
Besseres Migrationsmanagement gefordert
Wenn ein Land besonders starke Belastungen zu tragen hat, wie aktuell Italien, Malta oder Zypern, sollen Asylbewerber nach einem Schlüssel auf andere Mitgliedsstaaten verteilt werden. Wer keine Migranten aufnehmen will, müsste Ausgleichszahlungen leisten ‐ im Gesetzentwurf stehen 20.000 Euro pro Asylbewerber.
So wie die neue Asylverfahrensverordnung von linksliberalen Regierungen in der EU abgelehnt wird, wenden sich rechtsnationale Kräfte gegen das Gesetz zum Migrationsmanagement. In Polen kämpft derzeit die PiS-Regierung um ihre Wiederwahl und hat eine regelrechte Kampagne gegen Flüchtlinge gestartet, von der auch die bislang sehr positiv empfangenen Ukrainer nicht ausgenommen sind. Die Debatte um eine EU-Reform und die damit verbundene geplante Aufnahme der Ukraine in die EU sei in Wahrheit eine große Verschwörung, um Polens Position zu schwächen, so die krause Erzählung. Die Stimmungsmache ist so massiv, dass sich Kiew zu einem Dementi genötigt sah.
Einigungschancen stehen denkbar schlecht
Auch Ungarns Premier Orbán kocht aus dem aufgeladenen Thema Migration sein eigenes Süppchen. Er twitterte am Mittwoch, dass eine serbisch-ungarische Grenzpatrouille von Schleusern mit automatischen Waffen beschossen worden sei. „Damit haben die Migranten den Rubikon überschritten. Es ist Zeit, den Fakten ins Auge zu sehen: Der Brüsseler Migrationspakt ist gescheitert“, so Orbán einen Tag vor dem Treffen der Innenminister.
Die Einigungschancen also stehen denkbar schlecht. Zwar könnte die spanische Ratspräsidentschaft eine Abstimmung erzwingen und versuchen, eine qualifizierte Mehrheit zusammenzubekommen. Entsprechende Beschlüsse in der Vergangenheit aber hatten nie Bestand. Das Thema Migration ist emotional so aufgeladen und so strittig, dass die EU in dieser Frage praktisch handlungsunfähig ist.