Grün-Schwarz
Lucha und Wolf: So wurden aus Gegnern Partner
Politik / Lesedauer: 11 min

Schwäbische.de
Seit einem Jahr sitzen sie nebeneinander am Kabinettstisch der bundesweit ersten grün-schwarzen Regierung: Manfred Lucha (Grüne) und Guido Wolf (CDU), beide aus Oberschwaben. Der eine als Minister für Integration und Soziales, der andere ist zuständig für Justiz und Europa. Im Gespräch mit Kara Ballarin und Katja Korf ziehen sie Bilanz.
Herr Wolf, wir haben den Eindruck, Minister Lucha ist braver und leiser geworden als der Abgeordnete Lucha. Ist das so?
Guido Wolf: Ich kenne ihn ja noch aus früherer Zeit, nämlich immer leidenschaftlich und für seine Sache beherzt kämpfend. Vielleicht hat er als Minister zusätzlich gelernt, mit Kritik noch besser umzugehen.
Herr Lucha, was unterscheidet den Minister Wolf vom Abgeordneten?
Manfred Lucha: Der Minister Wolf ist ein sehr geschätzter Kollege und ein kluger Justizminister, mit dem ich im fachlichen Austausch bei Berührungspunkten sehr gute Dinge gemeinsam bewegen konnte. Auch ist er ja nicht mehr der Oppositionsführer. Ich erlebe ihn einfach entspannter.
Grüne und
Lucha: Das Thema bewegt uns sehr. Wir haben schon mit der „3+2-Regel“ begonnen, uns dem Thema Integrationschancen in den Arbeitsmarkt zu stellen. Damit dürfen geduldete Geflüchtete für die Dauer einer Ausbildung und zwei Jahre darüber hinaus nicht abgeschoben werden. Außerdem haben wir zuletzt in der Koalition entschieden, die Behörden anzuweisen, dass sie Asylbewerber auf die Passagen zur Duldung im Aufenthaltsgesetz hinweisen. Bei der letzten Abschiebung nach Afghanistan war nur eine einzige Person aus Baden-Württemberg dabei: ein mehrfach verurteilter Straftäter.
Dennoch gibt es landesweit Klagen darüber, dass Sie mit dem harten Kurs diejenigen treffen, die morgens um 5 Uhr beim Bäcker abgeholt werden können, weil sie dort arbeiten. Wer untertaucht, ist hingegen erst mal vor der Abschiebung relativ sicher. Ist die Klage begründet, Herr Wolf?
Wolf: Abschiebungen sind ein schwieriges Geschäft. Meine Position und die der CDU ist es, dass wir den Menschen, die kein Bleiberecht haben, zunächst die freiwillige Rückreise nahelegen. Gegebenenfalls müssen wir die Ausreise aber im Wege der Abschiebung durchsetzen. Dabei ist es Sache des Bundes, die Sicherheitslage in den Abschiebestaaten – beispielsweise in Afghanistan – zu beurteilen. Und die Einschätzung des Bundes ist die, dass es in Afghanistan durchaus Regionen gibt, in denen die Sicherheit gewährleistet ist. Wenn dann in Einzelfällen Gerichte aus anderen Gründen Abschiebungen für unzulässig erklären, dann ist das Ausdruck des Rechtsstaats, für den ich gleichfalls stehe.
Kann man sich auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verlassen nach dem Fall Franco A., und nachdem Sie selbst schon geäußert haben, dass Sie nicht immer ganz zufrieden sind mit der Qualität der Entscheidungen?
Wolf: Wir sind sehr unzufrieden mit der Art, wie das Bundesamt seine Fälle aufbereitet. Dabei sind die Anhörungen der Asylbewerber häufig ungenügend. Deshalb müssen die Verwaltungsgerichte diese im gerichtlichen Verfahren oftmals nachholen. Wir würden uns wünschen, dass das Bundesamt präziser und intensiver in die Sachverhaltsermittlung einsteigt.
Herr Wolf, Sie hätten gerne ein weitgehendes Burka-Verbot durchgesetzt, auch beim Thema Kopftuch vor Gerichten hätten Sie gerne mehr erreicht. Herr Lucha ist ein entschiedener Gegner. Wie versuchen Sie ihn zu überzeugen?
Wolf: In Teilen ist es mir ja schon gelungen, wenn ich an unsere ersten Gespräche zur Neutralität in Gerichtssälen denke. Stichwort: Kopftuchverbot und das Verbot politischer Symbole vor Gericht. Da haben wir uns auch gefunden. Beim Thema Vollverschleierung gehört es nach meinem Verständnis zu unserer Werteordnung, dass man Gesicht zeigt. Es ist gut, dass wir jetzt erste Schritte mit Vollverschleierungsverboten für einzelne Bereiche angestoßen haben, wie zum Beispiel jetzt auf Bundesebene für das Auftreten vor Gericht und bei Behörden.
Herr Lucha, überzeugt Sie das?
Lucha: Da habe ich eine andere Auffassung von Freiheit und Religionsfreiheit. Natürlich gefällt mir Vollverschleierung nicht, aber ich glaube, dass wir das aushalten können. Wir sollten endlich mal aufhören, so exotische Extrembeispiele heranzuziehen. Die Burka ist nicht das zentrale Symbol für die Frage, ob Integration gelingt, auch für Menschen des islamischen Glaubens. Die Kerngruppe ist sehr gut hier in der dritten Generation verfestigt und ich würde dafür plädieren, sich mit den Menschen zu beschäftigen.
Wolf: Aber die Beschäftigung mit Menschen fällt um vieles leichter, wenn ich ihnen in die Augen schauen kann.
Lucha: Natürlich, aber ich frage mich nicht nur als Minister, sondern vorher auch schon 30 Jahre lang als Sozialarbeiter, wie ich an diese Menschen rankomme, damit sie nicht allzu weit von der Gesellschaft abdriften. Auch wenn sie nicht alle unsere Werte teilen. Sie sind nun mal da. Wir wissen ja, dass die meisten Burka-Trägerinnen im Land die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Man darf nicht auf alles mit dem polarisierenden Hammer draufgehen.
Teile der CDU, darunter Landes-chef Thomas Strobl, wollen den Doppelpass zum Wahlkampfthema machen. Stützen Sie die Idee?
Wolf: Das Abstimmungsverhalten der Türken in Deutschland, auch hier in Baden-Württemberg beim Referendum über ein neues Präsidialsystem in der Türkei hat uns schon zu denken gegeben. Ich teile die Einschätzung, dass wir den Doppelpass noch mal überprüfen müssen, und ich plädiere dafür, ihn in Teilen infrage zu stellen – zumindest was nachfolgende Generationen angeht. Zu einer gelingenden Integration kann auch gehören, irgendwann eine klare Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft zu treffen.
Es gibt keine belastbare Zahl, dass Besitzer eines Doppelpasses mehrheitlich für Erdogan stimmten.
Wolf: Dass Menschen, die in unserem Land leben und die freiheitlichen Rechte genießen, zuhauf für ein System in ihrem Heimatland votieren, das unserem Verständnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit diametral entgegensteht, muss Anlass zum Nachdenken geben.
Lucha: Da habe ich eine komplett andere Haltung. Wenn wir am Ende die absoluten Zahlen anschauen, ist das Türkeireferendum nicht dazu geeignet, eine Aussage über die Integration der türkischen Community zu treffen. Zumal sich weniger als die Hälfte der stimmberechtigten Türkischstämmigen im Land überhaupt an der Abstimmung beteiligt haben. Es ist vielmehr ein Indiz dafür, dass Verführer und Vereinfacher Leute erreichen, die sich ausgegrenzt oder zu kurz gekommen fühlen. Das hat Erdogan erreicht, auch gerade in Bezug auf die frommeren Bevölkerungsteile. Das heißt für uns erst recht, wieder stärker den Dialog zu suchen. Das machen wir schon sehr intensiv. Dabei geht es natürlich auch um das Bekenntnis zu und Leben von demokratischen Werten bei uns, aber auch im Herkunftsland. Demokratie gibt mehr Freiräume, auch Religionsfreiheiten, als alle anderen Gesellschaftsformen. Ich plädiere hier für mehr Gelassenheit.
Wolf: Du verkörperst sie ja gerade.
Lucha: Ich lerne gerade eine gewisse positive Gelassenheit. Und ich treffe mich natürlich auch mit den Ditib-Leuten. Der hiesige Landesvorsitzende hat sich öffentlich klar von Erdogans Attacken gegen Deutschland distanziert. Wenn einzelne Imame in Ditib-Moscheen gegen Christen oder gegen Schwule und Lesben hetzen, geht das überhaupt nicht. Das sage ich den Ditib-Vertretern auch klipp und klar, und sie hören auf mich, weil ich für sie ein fairer Gesprächspartner bin. Auch da müssen wir sehr besonnen sein.
Ist er da zu besonnen, Herr Wolf? Aus Ihrer Fraktion gibt es ja Stimmen, die kritisieren, dass Ditib mit am Runden Tisch der Religionen von Minister Lucha sitzt.
Wolf: Ich respektiere, dass jeder aufgrund seines Zuständigkeitsbereichs eine andere Herangehensweise an ein Thema hat. Aber ich finde es wichtig, genauer hinzuschauen. Wir dürfen nicht zulassen, dass vor dem Auge des Rechtsstaats radikale Positionen in Moscheen verbreitet werden. Das müssen wir unterbinden.
Lucha: Die Ditib-Vertreter in Baden-Württemberg gehören überwiegend gerade nicht zu den Radikalen innerhalb der Ditib in Deutschland. Für sie ist klar, dass unsere Imame und islamischen Religionslehrer in Deutschland ausgebildet werden sollen, diesen Weg gehen sie ausdrücklich mit. Dafür muss ich aber auch weiter im Gespräch mit ihnen bleiben.
Müssen wir auch eine Leitkultur kommunizieren?
Wolf: Jetzt brauchen wir uns nicht über den Begriff zu streiten. Es kommt darauf an, dass wir denen, die zu uns kommen, unsere Werte- und Rechtsordnung vermitteln und dann ihre Einhaltung einfordern. Deshalb beginnen wir jetzt zum Beispiel auch mit dem Rechtsstaatsunterricht für Flüchtlinge.
Wenn in Moscheen gegen solche Werte gepredigt wird, wie kann man dagegen vorgehen? Braucht es da eine stärkere Kontrolle?
Wolf: Ich denke schon, und darüber diskutieren wir ja, dass der Verfassungsschutz diese Aktivitäten stärker in den Blick nehmen muss. Da gilt es, Balance zu halten, um nicht den Eindruck eines Generalverdachts zu erwecken. Aber vor lauter Sorge, keinen Generalverdacht aufkommen zu lassen, Verdachtsfällen nicht auf den Grund zu gehen und die Verbreitung radikaler Parolen nicht zu unterbinden, das wäre falsch.
Lucha: Da bekommen wir auch Hinweise, etwa über die Präventionsabteilung des Landeskriminalamts, vom Verfassungsschutz, aber auch von Gläubigen selbst. Und darüber sind wir auch froh. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die überwiegende Mehrheit komplett in Einklang mit unserer Rechtsordnung lebt. Ich betone, dass bei uns die Verfassung über der Religionsfreiheit steht und diese gewährleistet – nicht umgekehrt. Auf dieser Basis werden wir auch beim ersten Runden Tisch der Religionen am 24. Mai diskutieren.
Herr Lucha, Ihre Heimatgemeinde rechnet schon fest mit einem neuen Polizeipräsidium, das von Konstanz nach Ravensburg verlegt werden soll. Endlich?
Lucha: Kein Kommentar. Wir als Kabinettsmitglieder halten uns da zurück.
Herr Wolf, sollte Ihre Heimatgemeinde Tuttlingen ein Präsidium bekommen?
Wolf: Zunächst geht es darum, dass wir uns, wie im Kabinett vereinbart, polizeifachlich mit den Strukturen auseinandersetzen und auch die Standortfrage ausschließlich nach polizeifachlichen Kriterien entscheiden. Das hat ja auch der Ministerpräsident immer wieder betont.
Lucha: Es ist mir vor allem wichtig, dass ein Neubau des Polizeireviers in Ravensburg nicht auf der Strecke bleibt – egal ob das Präsidium kommt oder nicht.
Wolf: Da möchte ich doch kurz darauf hinweisen, was auch in der „Schwäbischen Zeitung“ nachzulesen ist, dass ich schon immer für ein oberschwäbisches Polizeipräsidium plädiert habe.
Lucha: Und ich war damals in der Regierung. Natürlich hab ich mich für Ravensburg eingesetzt. Der Kampf war aber nicht zu gewinnen. Aber vielleicht kommt es jetzt ja und (zu Wolf) ich würde es Euch ja auch gönnen, dass es nun ein bisschen eine Retour für uns wäre.
Herr Wolf, Sie waren zeitweise Fraktionschef der CDU in der Opposition und gingen mit den Grünen oft hart ins Gericht. Sind Sie jetzt überrascht, wie geschmeidig die Zusammenarbeit läuft?
Wolf: Im ersten Jahr ist es gelungen, uns als Regierungsmannschaft zusammenzufinden, die gemeinsame Ziele verfolgt, aber auch hier und dort unterschiedliche Positionen zulässt. Nicht jeder Streit muss eine Koalition sofort infrage stellen. Ich finde es aber besser, Unterschiede zu benennen, als alles weichzuzeichnen. Alles andere hieße, den Leuten etwas vorzumachen, bis sie nicht mehr erkennen, wer für was steht.
Lucha: Mit der CDU haben wir Arbeitsprozesse gefunden, die sehr klar und verlässlich Aufgaben und etwaige Konflikte benennen. In der SPD war es dagegen mitunter so, dass wir vermeintlich Kompromisse erzielt hatten – aber kaum waren sie zur Türe raus, haben sie sich darüber beschwert. Das machen wir jetzt anders. Wenn wir was ausgemacht haben, gilt es.
Herr Wolf, wo wünschen Sie sich Unterstützung von den Grünen und Herrn Lucha für die Zukunft?
Wolf: Wir müssen die Justiz personell weiter stärken und auch die Rahmenbedingungen – wie etwa angemessene Räumlichkeiten – bieten. Dafür brauche ich die Unterstützung der Kabinettskollegen beider Parteien. In der Integrationspolitik geht es darum, denen, die zu uns gekommen sind und eine Bleibeperspektive haben, unsere Werte- und Rechtsordnung nahezubringen und sie auch einzufordern. Menschen, die kein Bleiberecht haben, müssen in ihre Heimat zurück. Integration kann nur gelingen, wenn wir uns nicht überfordern. Als Europaminister sehe ich meine erste Aufgabe darin, im eigenen Land für die europäische Idee zu werben. Für diese neue Europastrategie des Landes haben wir für den Doppelhaushalt 2018/2019 beim Finanzministerium 400 000 Euro angemeldet.
Lucha: Ich will erreichen, dass Geflüchtete geduldet werden, die sich in unserer Gesellschaft schon eingebracht haben und in der Arbeitswelt angekommen sind. Da weiß ich übrigens auch die Wirtschaft und die Bundesagentur für Arbeit an meiner Seite. Da müssen wir weiterkommen. Ich hoffe auch, dass wir uns mit den Kollegen der CDU nach der Bundestagswahl endlich auf ein kluges Einwanderungsgesetz verständigen können. Das wäre doch ein Pfund für eine mögliche Koalition im Bund zwischen Frau Merkel und uns.