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„Von Altmaier trennt uns weniger als von Söder“

Politik / Lesedauer: 4 min

Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion, im Interview zu den Koalitionsoptionen seiner Partei
Veröffentlicht:29.08.2016, 19:44

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  • Schwäbische.de
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Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen, Anton Hofreiter , hält es nicht für sinnvoll, mit einer fixen Koalitionsaussage in den nächsten Bundestagswahlkampf zu ziehen. Er verstehe deshalb nicht, „weshalb Winfried Kretschmann diesen Fehler jetzt wiederholen will – diesmal mit der Union“. Mit Hofreiter hat Rasmus Buchsteiner gesprochen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann rät den Grünen zu einer Koalition mit der Union nach der Bundestagswahl . Auch Parteilinke wie Jürgen Trittin könnten sich Schwarz-Grün im Bund inzwischen vorstellen. Wie groß sind Ihre Vorbehalte noch?

Wir sollten als Grüne eigenständig in den Wahlkampf gehen, ohne Koalitionsaussage. Mit Ökologie, dem Kohleausstieg, Verkehrswende und unserem Modell einer nachhaltigen Landwirtschaft haben wir Themen, die uns einzigartig machen. Es geht darum, beide Optionen vorzubereiten – sowohl Schwarz-Schwarz-Grün als auch Rot-Rot-Grün. Beides ist kompliziert, denn wir haben es mit schwierigen Gesprächspartnern zu tun. Denken Sie an die CSU oder den linken Flügel der Linkspartei.

Winfried Kretschmann hebe mit seinen Ratschlägen langsam ab, sagt Hans-Christian Ströbele. Sehen Sie das ähnlich?

Sich auf nur eine Option festzulegen, halte ich weder staatspolitisch in diesen unruhigen Zeiten für sinnvoll noch für die Durchsetzung unserer inhaltlichen Ziele. Wir haben uns in der Vergangenheit immer auf die SPD als einzigen Koalitionspartner konzentriert. Ich verstehe nicht, weshalb Winfried Kretschmann diesen Fehler jetzt wiederholen will – diesmal mit der Union.

Was trennt die Grünen eigentlich noch von der Union?

Die Spannbreite in der Union ist ja riesengroß. Von Herrn Altmaier trennt uns sicherlich weniger als von Herrn Söder. Wir kämpfen für eine offene Gesellschaft und für eine moderne Landwirtschaftspolitik, die CSU dagegen. Von der CDU trennen uns andere Dinge …

… zum Beispiel die Steuerpolitik. Die Union sieht Spielräume für Entlastungen von 15 Milliarden Euro. Warum gehen Sie da nicht mit?

Es gibt einen riesigen Investitionsrückstand. Wir machen zwar keine neuen Schulden mehr. Dafür verrottet aber unsere Infrastruktur immer weiter. Das bürdet der künftigen Generation große Lasten auf. Außerdem: Bei der Steuer haben wir ein Gerechtigkeitsproblem. Geringverdiener werden ins Abseits gedrängt, die Mittelschicht finanziert den Staat. Die Reichen haben sich aus der Finanzierung des Staates weitgehend verabschiedet. Darauf brauchen wir Antworten. Wir brauchen Entlastungen für Geringverdiener. Und die obersten 0,1 Prozent der Gesellschaft müssen stärker zur Verantwortung gezogen werden, zum Beispiel mit einer Vermögenssteuer.

Wollen Sie die gleichen Fehler wie im Bundestagswahlkampf 2013 noch einmal machen und fordern, Steuern zu erhöhen?

Problematisch war 2013, dass auch die Mittelschicht teilweise belastet werden sollte. Wir müssen an die Superreichen ran und die anderen entlasten.

Glauben Sie wirklich, dass Rot-Rot-Grün funktioniert?

Es gibt inhaltlich viele Überschneidungen zwischen SPD, Grünen und Linkspartei . Dieses Land braucht eine grundlegende Modernisierung, eine ökologischere und sozialere Politik. Dass sowohl Schwarz-Schwarz-Grün als auch Rot-Rot-Grün große Schwierigkeiten mit sich bringen würden, lässt sich an zwei Namen erkennen: Seehofer und Wagenknecht.

Vor einem Jahr hat Merkel ihre Entscheidung zur Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn getroffen. Im Rückblick betrachtet: Was hätte anders laufen müssen? War es ein historischer Fehler?

Der historische Fehler war, dass sich die Bundesregierung über die Flüchtlingspolitik total zerstritten und Merkels „Wir schaffen das“ nicht umgesetzt hat. Bis in den Herbst hinein waren große Teile der Bevölkerung sehr aufgeschlossen gegenüber den Flüchtlingen. Die große Verunsicherung ist erst durch das Verhalten von Herrn Seehofer und Herrn de Maizière entstanden. Die Bundesregierung hat nicht an einem Strang gezogen.

Die Integration ist die nächste große Herausforderung, sagt die Kanzlerin. Hat die Bundesregierung hier ihre Hausaufgaben gemacht?

Nein. Die wichtigste Voraussetzung für funktionierende Integration ist die Sprache. Aber Sprachkurse sind nur für Flüchtlinge aus vier Nationen vorgesehen. Alle anderen müssen sehen, wo und wie sie Deutsch lernen.

Wird es eine Obergrenze für Flüchtlinge in Deutschland geben müssen, falls der Flüchtlingsdeal mit der Türkei scheitert?

Wenn sich die Lage verändert, steht zu befürchten, dass es am Ende eine neue Debatte darüber geben wird. Obergrenzen lösen das Problem nicht. Wenn die Obergrenze erreicht wäre, würde sich sofort die Frage stellen, was wir mit den Menschen machen, die danach zu uns kommen. Viele machen sich nicht klar, dass es hier um konkrete Menschen, um Schicksale geht und nicht um abstrakte Zahlen.