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Freie Fahrt für Raser?

Warum so viele für ein Tempolimit sind - es aber nicht kommt

Berlin / Lesedauer: 5 min

Seit Jahren wird in Deutschland über ein Tempolimit debattiert. Die meisten Bürger wären dafür, doch es gibt harten politischen Widerstand. Bislang erfolgreich.
Veröffentlicht:02.02.2023, 05:00

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Es ist ja nicht so, dass alle eines hätten. Burundi beispielsweise, seit Jahrzehnten Partnerland von Baden-Württemberg, kam bislang auch so ganz gut zurecht; ebenso Nordkorea und Afghanistan. Zumindest freie Fahrt haben die Bürger in diesen Ländern, so sie denn ein Gefährt und eine Straße haben.

Denn wie in Deutschland gibt es dort kein generelles Tempolimit für Autofahrer. Was die Situation aber grundlegend unterscheidet: Es ist davon auszugehen, dass weder in Kabul noch in Pjöngjang so intensiv und inbrünstig über Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und in Städten diskutiert wird wie hierzulande. Sozusagen alle Jahre wieder – und am Schluss bleibt alles beim Alten.

Aber das stimmt doch nicht, mögen sich die an Jahren reiferen Leser an dieser Stelle denken. Es gab doch mal kurzzeitig ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen, 1973/1974, als die erste Ölkrise Deutschland erfasste.

Die perfekte Zahlenreihe für Klimaschützer

Und die noch älteren erinnern sich vielleicht daran, wie Ende der 1950er-Jahre wieder Höchstgeschwindigkeiten innerhalb geschlossener Ortschaften und Anfang der 70er-Jahre auf Land- und Bundesstraßen eingeführt wurden. Die Tempolimits in Deutschland haben tatsächlich eine wechselhafte Karriere hinter sich, seit geraumer Zeit drehen sich Gegner und Befürworter allerdings im Kreis.

120 – 80 – 30: Von diesen Zahlen träumen Klimaschützer, die eine Geschwindigkeitsbegrenzung außerhalb und innerhalb von Ortschaften befürworten. Doch man muss nicht gleich sich selbst festklebender Umweltaktivist sein, um im Tempolimit eine gute Sache zu erkennen.

Auch der gemeine Automobilist hat inzwischen erkannt, dass es das Fahren einfacher macht, wenn die Geschwindigkeitsunterschiede nicht allzu groß sind. Eine ADAC-Umfrage von 2022 ergab, dass 52 Prozent der Mitglieder pro Tempolimit sind und 44 Prozent dagegen. Jahrelang war dieses Stimmungsbild ganz anders ausgefallen.

Koalition aus Klimaschützern und Umweltbundesamt

Umso erstaunlicher, dass die Ampel-Parteien, als sie ihre „Fortschrittskoalition“ schmiedeten, diesen Schritt nicht gegangen sind. „Ein generelles Tempolimit wird es nicht geben“, heißt es im Koalitionsvertrag unter dem Zwischentitel Verkehrsordnung. Gleichzeitig wollen SPD, Grüne und FDP das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass auch „die Ziele des Klima- und Umweltschutzes“ berücksichtigt werden.

Klimaschützer – im Verbund mit dem Umweltbundesamt – könnten an dieser Stelle einwenden, dass ein Tempolimit dann doch eine ganz gute, nicht allzu kostspielige Idee wäre. Aber zu einer Ampel-Koalition gehört nun einmal die FDP. Und die will ihre Wählerschaft nicht auch noch mit Geschwindigkeitsbegrenzungen vergrätzen.

Doch auch die andere Seite lässt nicht locker. Erst vor wenigen Tagen hat das Umweltbundesamt (UBA), dem eine gewisse Nähe zu grüner Politik nachgesagt wird, eine neue Studie vorgestellt, die besagt, dass durch Tempolimits noch viel mehr Treibhausgase eingespart werden könnten, als bislang angenommen.

Insgesamt würden gut fünf Prozent weniger Treibhausgase im Straßenverkehr entstehen, wenn auf Autobahnen nur noch 120 und auf Außerortsstraßen 80 Stundenkilometer gefahren werden dürften. Dies entspricht laut UBA in Summe acht Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten pro Jahr.

Das hatten Forscher errechnet

Das ist deutlich mehr, als das UBA bislang berechnet hat. Im Jahr 2018 gingen die Forscher noch von einer Reduktion von 2,9 Prozent (minus 4,5 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente) aus, sollte Tempo 120 auf Autobahnen eingeführt werden.

Diesen doch erheblichen Unterschied erklärt das Amt damit, dass bei früheren Studien sozusagen die Nebenwirkungen einer solchen Geschwindigkeitsbegrenzung unterschätzt worden seien – beispielsweise, dass Reisende auf andere Verkehrsmittel umsteigen oder gar auf eine Fahrt verzichten, wenn die Fahrtzeit länger dauert. Zudem sei davon auszugehen, dass kürzere Routen gewählt werden, wenn das Fortkommen auf der Autobahn nicht mehr ganz so rasant möglich ist wie derzeit.

Acht Millionen Tonnen weniger CO₂-Ausstoß in einem Jahr. Das Ganze sozusagen gratis, weil die Kosten – sprich Zeit – nicht vom Staat getragen werden müssen. Darauf müsste eine Bundesregierung, die auch wegen des Ukraine-Krieges noch größere Mühe hat, ihre Klimaschutzziele einzuhalten, doch reagieren. Könnte man denken. Doch bislang bewegt sich nichts. Die Argumente sind ausgetauscht – und altbekannt.

Tempolimit senkt Zahl der Verkehrstoten

Die Befürworter eines generellen Tempolimits verweisen neben dem Klimaschutz auch auf die Verkehrssicherheit. Die Zahl der Unfälle auf deutschen Autobahnen würde sich deutlich reduzieren, wenn maximal 130 Kilometer pro Stunde gefahren werden dürfte, teilte das Umweltbundesamt im Oktober 2021 mit.

„Die Anzahl der jährlichen Verkehrstoten könnte um etwa die Hälfte sinken und circa 140 Menschenleben gerettet werden“, heißt es da. Gegner des Tempolimits beharren dagegen darauf, dass bereits jetzt auf 30 Prozent des Autobahnnetzes ein dauerhaftes Tempolimit gilt und auf weiteren 20 Prozent die Geschwindigkeit je nach Verkehrssituation reduziert wird. Auch die Zahl der tödlichen Unfälle pro Kilometer Strecke nehme nicht unbedingt ab, wenn ein Tempolimit gilt, argumentiert der ADAC mit Blick auf Länder wie Belgien oder Frankreich.

Vielleicht rückt ja künftig noch ein wenig mehr Tempo 30 in Städten und Gemeinden in den Fokus – auch ein hübsches Streitthema. Erst vor wenigen Tagen forderte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, in der „Rheinischen Post“, es den Kommunen zu überlassen, ob sie stadtweit Tempo 30 einführen wollen – oder eben nicht. Um das zu ermöglichen, müsste Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das Verkehrsrecht entsprechend anpassen. Seine Parteizugehörigkeit lässt vermuten, dass dies noch ein wenig dauern könnte.