Impfpflicht
Stiko-Chef Mertens begrüßt Aus für allgemeine Impfpflicht
Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Der Ulmer Virologe und Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko) Thomas Mertens hat das vorläufige Aus für eine allgemeine Impfpflicht begrüßt. Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission begründete im Gespräch mit der "Schwäbischen Zeitung" seine Meinung mit Verweis auf den Schwerpunkt der Impf-Wirkung.
"Wir wissen heute, dass bei der Omikron-Virusvariante weder einer der verfügbaren Impfstoffe noch eine durchgemachte Infektion sehr gut vor einer Ansteckung – wohl aber vor schwerer Erkrankung - schützen", so Mertens.
"Für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahre wäre der Schutz vor weiterer Ausbreitung des Virus das wichtigste Argument. Da man dies aber derzeit mit einer Impfung nicht erreichen kann, fehlt aus meiner Sicht das Hauptargument für diese Impfpflicht. Deswegen halte ich es für konsequent, dass man das aufgibt."
Bundestag will am Donnerstag entscheiden
Über die mögliche Einführung einer Impfpflicht soll der Bundestag an diesem Donnerstag ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben entscheiden. Eine Gruppe von Parlamentariern mehrerer Fraktionen hatte sich für eine allgemeine Impfpflicht für Bürger und Bürgerinnen ab 18 Jahren eingesetzt.
Doch weil sie dafür keine Mehrheit im Bundestag bekommt, rückte die Gruppe am Montag von ihren Forderungen ab. Sie schlägt nun eine Impfpflicht ab 50 Jahren zum 1. Oktober vor - der Bundestag soll demnach aber Anfang September darüber entscheiden, ob sie doch noch auf alle Erwachsenen ausgeweitet wird.
Stiko-Chef Thomas MertensAus meiner Sicht ist es vernünftiger, die Impfpflicht auf die vulnerablen Gruppen zu begrenzen.
Mertens begrüßte die Pläne für eine Impfpflicht für ältere Menschen. "Es gibt zwei Gründe, warum man impft: erstens, um einzelne Personen vor einer Erkrankung zu schützen. Zweitens, um durch eine möglichst hohe Impfquote zu verhindern, dass sich das Virus weiter ausbreitet", meint Mertens.
"Wenn man also das Gesundheitssystem ab Herbst besser vor einer Überlastung durch viele schwerkranke Corona-Patienten schützen will, dann muss man vor allem Menschen impfen, die ein hohes Risiko für schwere Verläufe haben – also vulnerable Gruppen wie etwa Über-50 - oder Über-60-Jährige. Aus meiner Sicht ist es vernünftiger, die Impfpflicht auf die vulnerablen Gruppen zu begrenzen".
Mertens sieht allgemeine Impfpflicht skeptisch
Generell sei er persönlich eher skeptisch, was die allgemeine Pflicht angehe, so der Ulmer Virologe:
Ich würde mir grundsätzlich wünschen, dass wir eine höhere Impfquote erreichen als wir sie jetzt haben. Das über eine allgemeine Impfpflicht zu regeln, halte ich persönlich auch deshalb für unglücklich, weil diese so polarisierend wirkt.
Es sei aber richtig, das Parlament über diese Frage entscheiden zu lassen.
Es gibt hinsichtlich einer Impfpflicht häufig aus wissenschaftlicher Sicht kein richtig oder falsch: Es ist deshalb genuine Aufgabe der gewählten Volksvertreter, darüber zu entscheiden.
Diese Vorschläge zur Impfpflicht gibt es
In der Frage der Impfpflicht hatte die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP keinen eigenen Gesetzesentwurf vorgelegt. Stattdessen erarbeiteten Abgeordneten in fraktionsübergreifenden Gruppen Vorschläge.
In den Fokus rückt nach dem Aus für die allgemeine Impfpflicht ein Antrag des FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann, der eine Beratungspflicht und dann eine Impfpflicht für alle Über-50-Jährigen vorsieht.
Viele FDP-Abgeordnete, darunter der Ravensburger Justizstaatssekretär Benjamin Strasser, lehnen eine Impfpflicht generell ab. Die Union ist für die Einführung eines Impfregisters und ein gestuftes Verfahren mit möglicher Impfpflicht für bestimmte, besonders gefährdete Gruppen.
Strasser will sich nicht auf einen Kompromiss zur Impfpflicht ab 50 einlassen. "Meine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Impfpflicht bleiben auch bei diesem Vorschlag bestehen. Ich lehne eine Impfpflicht ab, obwohl ich geimpft und geboostert bin. Ein solch gravierender Grundrechtseingriff muss geeignet und verhältnismäßig sein. Wir wissen nicht, welche Form des Virus im Herbst vorherrscht und ob der Impfstoff hiergegen wirkt. Auch die Frage, wie eine Impfpflicht wirksam durchgesetzt werden soll, beantworten die Befürworter einer allgemeinen oder gestuften Impfpflicht nicht", sagte er der "Schwäbischen Zeitung".