Helfen bringt Freude
„‚Helfen bringt Freude‛ hat uns geholfen, wir zählen auf euch“
Alqosh / Lesedauer: 8 min

An der Straße nach Alqosh in der Ninive-Ebene im Nordirak stehen schwer bewaffnete Soldaten: Die kurdischen Sicherheitskräfte, die Peshmerga, kontrollieren jedes Fahrzeug: „Woher? Wohin? Wer seid ihr?“ Die Gefahr, dass Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) in die christlich geprägte Stadt eindringen, ist nach wie vor groß.
Im historischen Gedächtnis tief verankert sind jene Tage im August 2014, als christliche Siedlungsorte in der Ninive-Ebene durch den IS erobert wurden. Etwa 100.000 Menschen flohen, wenige kehrten später zurück. Mit fatalen Folgen: Zwischen 200.000 und 590.000 Christen leben nach Schätzungen der Kirche und Hilfsorganisationen heute im Irak ‐ von einst bis zu 1,4 Millionen Ende der 1980er-Jahre.
In Alqosh, der Stadt, die gezeichnet ist von Jahren des Konflikts und der Unsicherheit, gibt es eine inspirierende Figur, die den Funken der Hoffnung inmitten der Dunkelheit entfacht hat: Bürgermeisterin Lara Yussuf Zara. Sie widersetzt sich der Fluchtbewegung: „Ich will, dass diese Menschen, die hier leben, auch hier bleiben, eine Perspektive haben und sich eine Zukunft aufbauen!“

Diese Stadt, die einst in blühender Pracht erstrahlte, hat unter der Führung der 42-Jährigen einen Neuanfang gefunden. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Jugend: „Sie soll das Erbe der Christen mit Mut und Entschlossenheit weitertragen.“
Frust führt zu Protest
Im Irak ist die Lage alles andere als rosig. Die Menschen sind frustriert über die weitverbreitete Korruption und Misswirtschaft. Obwohl der Irak zu den ölreichsten Ländern der Welt gehört, fällt ständig der Strom aus. Immer wieder kommt es zu Massenprotesten gegen die Führung und ihre Klientelpolitik. Wohl auch deshalb stellen Iraker eine große Gruppe unter den Schutzsuchenden, die in Deutschland Asyl beantragen.

Dieser Entwicklung will sich Lara Yussuf Zara nicht ergeben. Hinter ihrem Schreibtisch zuckt die Bürgermeisterin mit den Schultern. Sie muss sich Fragen stellen: Frauen als Bürgermeisterinnen? Im Irak? Eine weitere Kommunalpolitikerin steht der Stadt Halabja vor, Lara Yussuf Zara aber ist die erste und bisher einzige Christin in diesem Amt im Irak: „Deshalb bekomme ich, wie viele andere Frauen, gesagt, dass Frauen viel zu schwach seien.“
Aber sie fühlt sich nicht schwach, ganz im Gegenteil: „Ich fühle mich stark, denn mir ist egal, was andere denken.“ Ihr Credo: „Weil das, was ich mache, wichtig für die christliche Community ist.“
Lara Yussuf Zara ist seit August 2017 Bürgermeisterin des Distrikts Alqosh: 6000 Einwohner leben in der Stadt, etwa 70.000 in den Dörfern und Weilern der Umgebung. Sie bewarb sich auf diese Stelle, als sie ausgeschrieben wurde: „Ich war für den Job qualifiziert und hatte Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten.“
Schicksalsschläge in der Familie
Von klein auf hat Zara viele Schicksalsschläge erlitten. Ihr Bruder wurde von einem Selbstmordattentäter getötet, was ihren Vater dazu zwang, das Haus in Bagdad zu verkaufen und mit der Familie nach Alqosh umzuziehen. Ihre Familie riet den Kindern von der Auswanderung ab: „Wenn wir das Land verlassen, lassen wir alles zurück.“
Vor etwa zwei Jahren entkam Zara einem Bombenanschlag: „Auf meinem Weg zur Arbeit wurde eine Bombe gelegt“, sagt die studierte Ökonomin und Lehrerin, „aber die Explosion hat mich verfehlt.“ Die Terroristen wurden daraufhin gefasst.
Sie gestanden, dass der Bombenanschlag politisch motiviert war, und wurden in Duhok zum Tode verurteilt. Diejenigen, die den Befehl für das Attentat gegeben hatten, wurden nie identifiziert. Jetzt sorgen sechs Leibwächter für die Sicherheit der Bürgermeisterin.
Hat sie Angst? Ihr Blick ist nach vorn gerichtet, sie strahlt Ruhe aus. Dann lächelt sie und sagt: „Ich habe keine Angst, sie können mich nur einmal töten.“ Der Blick zurück: „Der Plan ging zwar auf, aber das Ziel, mich zu töten, wurde nicht erreicht.“ Der Anschlag habe ihren Widerstand geweckt.
Christliches Leben seit dem ersten Jahrhundert
Alqosh mit seinen jahrhundertealten Kirchen und dem reichen kulturellen Erbe war einst das Herz der christlichen Gemeinschaft in der Ninive-Ebene. „Hier hat der Apostel Thomas im ersten Jahrhundert missioniert“, sagt die Bürgermeisterin, „wenn wir nicht hierbleiben, ist die Geschichte der Christen in dieser Region bald zu Ende.“ Ihr Ziel: „Alqosh soll wieder aufblühen und den Christen ein gutes Leben bieten können, damit sie hierbleiben. Das ist viel wichtiger als die Angriffe.“

Chancen schaffen, Hoffnung schenken
Unsere Hilfsaktion „Helfen bringt Freude“ ist dort aktiv, wo andere Organisationen sich zurückziehen. Deshalb brauchen wir Sie und Ihre Solidarität, bittet Hendrik Groth.
Gegen viele Widerstände setzt sich Zara beispielweise dafür ein, dass den Christen in Alqosh kostenlos Land zur Verfügung gestellt wird, auf dem sie Häuser bauen können. Der Erfolg: „Viele Bewohner, die weggehen wollten, sind schließlich geblieben.“
Doch ob solche Anstrengungen ausreichen? Die Bürgermeisterin hat zum Gespräch mit den deutschen Besuchern drei junge Leute eingeladen, die in Alqosh bleiben wollen: Nawras Zara, Larsa Hano und Renato Armany.
Die Gastgeberin führt ein: „Die Jugend von Alqosh, die inmitten von Unsicherheit und Verlust aufgewachsen ist, steht vor einer einzigartigen Herausforderung. Ich glaube fest daran, dass die Zukunft der Stadt in den Händen dieser jungen Menschen liegt.“
Sicherheit und Frieden in Alqosh
Einer der jungen Hoffnungsträger ist Nawras Zara. Der 25-Jährige gehört zur assyrisch-christlichen Gemeinschaft im Irak, die in den letzten Jahren besonders stark von den Konflikten und der Unsicherheit im Irak betroffen war: „Als junger Christ fühlte ich mich gezwungen, meine Heimatstadt Bagdad zu verlassen, um Sicherheit und Frieden zu finden.“
In Alqosh, der Stadt, die von vielen Christen als letzte Bastion des christlichen Lebens im Irak angesehen wird, habe er Zuflucht und Arbeit gefunden: „Ich arbeite als Ingenieur bei einer Ölgesellschaft.“
Trotz der Ruhe und der Unterstützung, die er in Alqosh erlebt, betont Nawras Zara, dass die Unsicherheit und die Bedrohung für die Gemeinschaft immer präsent sind. „Hier fühle ich mich sicherer als in Bagdad, aber ich kann nicht leugnen, dass sich die Situation jederzeit ändern kann“, sagt er nachdenklich. Er habe hautnah erlebt, wie sich die politische Lage im Irak von einem Tag auf den anderen ändern kann: „Die Zukunft bleibt ungewiss.“

Er hat sich entschlossen, in dieser Stadt zu bleiben, um nicht nur Schutz zu finden, sondern auch einen aktiven Beitrag zur Stärkung der christlichen Präsenz in der Region zu leisten. Nawras Zara engagiert sich für die Gemeinschaft. Allerdings gebe es zu wenig Möglichkeiten für die Jugendlichen, um sich weiterzubilden: „Wir brauchen mehr Jobangebote oder Universitäten.“ Zum Studieren gehen, wie er beobachtet, viele Jugendliche nach Dohuk.
Drohender Verlust von Identität und Kultur
Eine weitere Herausforderung, mit denen die christliche Gemeinschaft im Irak konfrontiert ist, ist der Verlust von Identität und Kultur. Viele junge Christen verlassen das Land, um im Ausland ein besseres Leben zu suchen. Nawras Zara möchte jedoch ein Zeichen setzen, indem er seine Wurzeln nicht aufgibt und stattdessen dazu beiträgt, die reiche Kultur und Tradition seines Volkes zu bewahren.
Die Bürgermeisterin würdigt dies. „Nawras Entschlossenheit, in Alqosh zu bleiben und die christliche Gemeinschaft zu unterstützen, ist ein Zeugnis für die Stärke des menschlichen Geistes und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.“
Auch Larsa Hano ist Christin. In Alqosh geboren, hat sie nach dem Abitur in Dohuk Ingenieurwissenschaften studiert. Die 27-Jährige arbeitet bei den Wasserwerken in Alqosh. Sie hat lebhafte Erinnerungen an jene Nacht im August 2014, in der der IS die Ninive-Ebene überfiel: „Als der IS kam, sind wir mit der ganzen Familie nach Dohuk geflüchtet. Die erste Nacht dort war seltsam: Alle Einwohner hatten Dohuk verlassen und wir sind dorthin geflüchtet ...“

Nachdem der IS in Mossul im Jahr 2016 militärisch besiegt worden war, fand Hano dort Arbeit: „Ich hatte sogar zwei Jobs, fühlte mich aber nicht sicher und konnte mich nicht frei bewegen.“
Zurück in Alqosh stellte sich die Frage: Bietet das Leben hier Perspektiven? An die Möglichkeit, auszuwandern habe die Familie immer gedacht, sagt Larsa Hano: „Meine Eltern haben sich immer wieder umentschieden und gesagt, dass wir hierbleiben.“ Die Rahmenbedingungen seien in Ordnung: „In Alqosh ist alles gut, du kannst überall hingehen. Ich fühle mich sicher hier, kann alleine durch die Straßen gehen. Die Kleiderordnung ist hier auch nicht so streng.“
Für Christen sei das Leben derzeit sicher. „Aber die Dinge, die uns beeinflussen, sind das Land und die Situation im Land“, sagt die junge Frau, „du kannst nicht alleine leben, du wirst immer von anderen Umständen beeinflusst.“ Speziell junge Leute hätten es in Alqosh schwer: „Ich weiß das, weil ich eine von ihnen bin.“
Bürgermeisterin bittet um Spenden
Ähnlich denkt Renato Armany. Der 25-Jährige arbeitet bei der Stadtverwaltung Alqosh, liebt seine Heimat und hat ein Ziel: „Ich will hierbleiben.“ Die Bürgermeisterin, seine Chefin, habe gute Ideen, an deren Umsetzung er mitwirken werde. „Wir haben zum zweiten Mal eine Entscheidung erwirkt, dass weiteres Bauland für Christen erschlossen werden kann“, zählt Lara Yussuf Zara auf, „damit stabilisieren wir die Situation.“

Investitionen in das Trinkwassernetz und ein Wasserturm aus Beton für die neuen Baugebiete stehen 2024 an: „Außerdem renovieren wir Schulen und bauen ein Rettungszentrum: Dabei bitte ich auch um eure Hilfe“, bittet die Politikerin. „,Helfen bringt Freude’ hat uns bisher geholfen: Wir zählen auf euch.“