Schulpolitik
Schulpolitik im Sauseschritt
Stuttgart / Lesedauer: 3 min

Wenn Schulpolitik nur immer so reibungslos liefe wie am Dienstag im Konferenzraum B210 im Stuttgarter Kultusministerium : 44Bürgerfragen zur Schulpolitik beantwortet der SPD-Minister Andreas Stoch innerhalb von nur einer Stunde. Möglich macht's Schnellschreiber Sebastian Serafin, der mit einem Tempo von 600 Zeichen in der Minute die Texte in den Chat hackt.
Stoch ist schnell, wirkt gut sortiert – nur selten hält er inne, wenn ihm eine Formulierung zu negativ erscheint oder sich das Wort „versucht“ in die Sätze schmuggelt. Dann konzentriert er sich, hört auf die Vorschläge des halben Dutzend um ihn versammelten Referatsleiter – und aus „versucht“ wird „gestaltet“. Manchmal formuliert er geradezu wachsweich. Auf dem politischen Minenfeld Schulentwicklung kann ein Fehltritt verheerend wirken.
Schon Schavan chattete
Chats, also über das Internet geführte Bürgergespräche zur Schulpolitik sind nicht neu. Schon Schochs Vor-Vor-Vorgängerin Annette Schavan (CDU) hatte damit angefangen. Doch so viel Interesse war noch nie, sagt Stefan Gehrke von der beauftragten Berliner Kommunikationsagentur zufrieden. Insgesamt 233 Fragen werden gestellt, weit über 100Interessierte verfolgen das Geschehen am Computer. Und Stoch meistert seinen ersten Ministerchat souverän.
Eigentlich soll es um die regionale Schulentwicklung gehen – ein Prozess, mit dem das Land die Neuordnung der weiterführenden Schulen angesichts drastisch sinkender Schülerzahlen moderieren will. Doch schnell kommen alle Baustellen der Schulpolitik auf den Tisch. Der Nutzer „Zuzugsgebiet“ klagt, dass das Hans-Thoma-Gymnasium in Lörrach aus allen Nähten platzt. „LehrerinausLeidenschaftdaswareinmal“ klagt, dass sie an ihrer Realschul-klasse 30 Schüler unterrichten muss, darunter einen Autisten. „Es sind Bedingungen wie an einer Gemeinschaftsschule – ohne deren Privilegien“. Ein Schüler will wissen, wie Stoch Schulen, die eh schon unter Lehrermangel leiden, weitere Stellen „wegnehmen“ will.
Keine Frage: Es gärt an den Schulen im Land. Während das politische Stuttgart derzeit um die Frage mäandert, wie man einen parteiübergreifenden Schulfrieden mit SPD , Grünen, CDU und FDP hinbekommen könnte, fragt der Nutzer „Besorgter Vater“, ob gewünscht sei, „das bisher gut funktionierende Schulsystem“ zu zerschlagen. Das weist Stoch zurück: Man müsse angesichts zurückgehender Schülerzahlen das System verbessern. Leider habe die alte Regierung „nicht rechtzeitig die richtigen Entscheidungen getroffen“, so der Minister.
Und während fast zeitgleich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wenige Hundert Meter weiter vor der Landespresse noch einmal betont, dass das Sparziel von 11 600 Lehrerstellen bis 2020 schon wichtig für die Haushaltskonsolidierung sei, fragt „Polly-Leonie1“, warum derzeit massiv Unterricht ausfällt und wie Stoch das kompensieren will.
Inklusion und Ganztagsschule
Der verweist auf die aufgestockte Krankheitsvertretungsreserve und orakelt im wolkigen Beraterdeutsch: „Wir müssen natürlich auch versuchen, die Prozesse so effektiv wie möglich zu gestalten, wobei die Kultusverwaltung hier optimale und schnelle Lösungen anstrebt“.
Tatsächlich sagen viele im Ministerium hinter vorgehaltener Hand, dass das Sparziel von 11600 Stellen kaum zu schaffen sei angesichts der gewaltigen Aufgaben: Stoch soll ja nicht nur die regionale Schulentwicklung voranbringen, sondern gleichzeitig die Inklusion fördern und die Ganztagsschulen ausbauen.
Will der SPD-Kultusminister die Stellenmarke letztendlich kippen, müsste er einen Parteifreund beschädigen: Für Finanzminister und SPD-Landeschef Nils Schmid gehört der Stellenabbau zu den Eckpfeilern der geplanten Haushaltskonsolidierung. Schmid hat die anderen Parteien im Landtag am Dienstag zu Gesprächen über einen Schulfrieden eingeladen – auch dabei dürften die 11600 Stellen eine Rolle spielen.