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Serie „Baustelle Deutschland“

Polizei am Limit

Politik / Lesedauer: 6 min

Ein Land, in dem das Vertrauen der Menschen in Polizei und Justiz und deren Handlungsfähigkeit sinkt und in dem zugleich die Zahl der Straftaten steigt, hat ein ernstes Problem. 
Veröffentlicht:20.09.2023, 16:59

Von:
  • Schwäbische.de
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Ein Land, in dem das Vertrauen der Menschen in Polizei und Justiz und deren Handlungsfähigkeit sinkt und in dem zugleich die Zahl der Straftaten steigt, hat ein ernstes Problem. Wenn Menschen sich nicht sicher mehr fühlen, ist in den Köpfen kein Platz für mehr Toleranz oder die Bereitschaft, für andere wichtige Bereiche in unserer Gesellschaft Opfer zu bringen.

Wer Angst hat, nachts mit der U-Bahn zu fahren, wird nicht dem Klima zuliebe auf sein Auto verzichten. Wer in migrantisch geprägten Vierteln sexuelle Belästigung oder Schlimmeres erleiden musste, wird weniger Verständnis für die deutsche Flüchtlingspolitik haben. Und wer Opfer von Gewaltkriminalität wurde, weil die Polizei nicht zur Stelle war, wird sich womöglich bewaffnen, um sich vermeintlich sicherer zu fühlen. Und die Zahlen des Bundeskriminalamtes zeigen: Die Zahl der Straftaten steigt massiv.

Im Berichtsjahr 2022 wurden bundesweit insgesamt 5.628.584 Straftaten registriert. Im Vergleich zum Jahr 2021 bedeutet das laut Bundeskriminalamt einen Anstieg von 11,5 Prozent. Natürlich sind die Gründe für steigende Kriminalität und sinkende Sicherheit auf deutschen Straßen vielfältig und die Polizei allein kann diese Problematik nicht bewältigen. Aber solange die Ursachen nicht beseitigt werden, gilt es, die Symptome zu bekämpfen. Das Kernproblem hierbei: Es will kaum noch jemand Polizist werden.

Unsportlichkeit und schlechte Deutschkenntnisse

So teilte die Deutsc he Polizeigewerkschaft diesen Sommer mit, dass in der aktuellen Ausbildungsrunde für den gehobenen Polizeivollzugsdienst in Baden-Württemberg etwa 100 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Für die 660 Plätze gab es im vergangenen Juli nur 530 Bewerber. In Mecklenburg-Vorpommern sind die Bewerberzahlen bei der Landespolizei von 2017 bis 2022 von 1817 auf 1259 gesunken. Und in Berlin gibt es zwar genügend Bewerber, aber leider sind es hier oftmals die Falschen: Ein Großteil der Bewerber fällt bei den Prüfungen durch ‐ hauptsächlich wegen Unsportlichkeit oder schlechter Deutschkenntnisse.

Warum ist das so? Die Bezahlung bei der Polizei ist nicht so schlecht, wie es von den Gewerkschaften oftmals behauptet wird. Je nach Bundesland, Berufserfahrung und diversen Zuschlägen verdienen Polizisten in Deutschland durchschnittlich zwischen 2.800 und 4.500 Euro brutto pro Monat. Nach Abzug von Steuern und den für Beamte niedrigeren Sozialabgaben bleibt diesen Frauen und Männern ein durchschnittliches Nettoeinkommen von rund 2.000 bis 3.200 Euro pro Monat. Zumal ist die soziale Absicherung durch den Beamtenstatus deutlich besser als in vielen anderen Berufen. Warum also die massiven Nachwuchsprobleme?

Mangelnder Rückhalt von der Politik

Der wichtigste Aspekt ist hier nach Meinung von Experten der zunehmende mangelnde Rückhalt für Polizisten in der Politik. Paradebeispiel ist Berlin, auch mit dem nach wie vor umstrittenen Antidiskriminierungsgesetz. Es sieht ‐ vereinfacht ausgedrückt ‐ eine Beweislastumkehr vor. Wenn sich Menschen von der Polizei diskriminiert fühlen, müssen die Polizisten beweisen, dass das nicht stimmt. Konkret können sich etwa aus Afrika stammende mutmaßliche Dealer diskriminiert fühlen, die im Görlitzer Park aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert werden.

Dass es unterdessen afrikanische Drogenbanden sind, die den Drogenhandel im Görlitzer Park unter sich aufgeteilt haben, wird zugleich von niemandem bestritten, auch nicht von den Grünen. Mittlerweile sind die Zustände im Görlitzer Park so schlimm, dass selbst Ricarda Lang den Park nach eigenen Angaben nachts meidet. Zugleich müssen Polizisten weiterhin fürchten, angezeigt zu werden, nur weil sie ihren Job machen und versuchen, Dealer zu überführen.

Wenn Polizisten von der Politik gegängelt werden, ist es zudem nicht weiter verwunderlich, wenn auch der Respekt innerhalb der Bevölkerung immer weiter abnimmt. So ist es in Berlin für eine normale Streifenbesatzung mitunter unmöglich, einen Straftäter festzunehmen. Immer wieder kommt es am helllichten Tage auf belebten Straßen zu Szenen, bei denen sich innerhalb von Minuten Dutzende an sich unbeteiligte Menschen zusammenschließen, um die Festnahme zu verhindern oder Straftäter sogar wieder zu befreien ‐ völlig egal, um wen es sich bei dem Festgenommenen handelt.

Im Netz kursieren schockierende Videos, die zeigen, wie hoffnungslos unterlegene Einsatzkräfte einem Mob entgegenstehen und die Situation nur durch massive Verstärkung oder aber durch Rückzug klären können. In anderen Städten sieht es nicht besser aus.

Straßenschlachten mit Messern und Pistolen

So musste die Polizei in Hamburg zuletzt mehrfach mit einem Großaufgebot ausrücken, um nach teils tödlichen Auseinandersetzungen regelrechte Straßenschlachten, die mit Messern und Pistolen ausgetragen wurden, zu beenden. „Wenn Banden ihre Streitigkeiten auf offener Straße austragen und Schusswaffen und Messer einsetzen, dann müssten die Alarmglocken eigentlich sehr laut schrillen“, sagte der Lars Osburg von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) vor wenigen Tagen. Er warnt, dass derartige Vorfälle ein „Klima der Angst“ weit über das Milieu hinaus verbreiten könnten.

Auch in Nordrhein-Westfalen liefern sich rivalisierende Clans seit Monaten blutige Auseinandersetzungen auf offener Straße. Angst vor der Polizei hat hier niemand mehr, die Lage ist völlig außer Kontrolle, heißt es aus Ermittlerkreisen. „Seit dem Regierungswechsel zu Schwarz-Grün kommt selbst führenden Regierungsvertretern das Wort Clan-Kriminalität nur noch selten über die Lippen.

Damit setzt die Politik ein fatales Signal, die von den Clans ausgehende Gewalt werde nicht mehr mit allem Nachdruck verfolgt“, hieß es dazu im Juni von der GdP dazu. Und tatsächlich: Vor wenigen Tagen erst sagte Grünen-Urgestein Renate Künast, man solle den Begriff „Clan-Kriminalität“ nicht mehr nutzen, „weil es auch in diesen Clans und Familien tolle Leute gibt, die tolle Ausbildungen machen und tolle Jobs haben.“

Zuvor hatte Innenministerin Nancy Faeser zwar einen Plan angekündigt, nach dem Mitglieder von Clan-Strukturen leichter als bisher abgeschoben werden könnten. Doch weil es massive Kritik von Grünen, FDP und auch der SPD gab, bei der von „Sippenhaft“ gesprochen wurde, ruderte Faeser umgehend zurück. Auch die von Faeser angekündigte leichter zu ermöglichende Abschiebung von Kriminellen ist nach Einschätzung von Experten nicht mehr als eben nur das ‐ eine reine Ankündigung. So sprach etwa der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Heiko Teggatz von einer „Mogelpackung“. Der schlichte Grund: Es fehle an Platz, um Ausreisepflichtige in Gewahrsam zu nehmen.

Brandbrief an das Bundespolizeipräsidium

Zeitgleich schlug der Präsident der Bundespolizeidirektion Pirna in Sachsen Anfang August in einem Brandbrief an das Bundespolizeipräsidium Alarm. In dem Brief, über den mehrere Medien berichteten, warnte der Polizist davor, dass „Durchhaltefähigkeit, Nachhaltigkeit und Qualität in der Aufgabenwahrnehmung“ seiner Männer und Frauen schwinden würden. Er bräuchte daher „dringend weitere Verstärkung“. Doch die gibt es nicht ‐ dabei sind Sparmaßnahmen hier ausnahmsweise das kleinere Problem.

Wieder zeigt sich: Es fehlt an Nachwuchs. Da nützt es auch nichts, dass in mehreren Bundesländern die Mindestkörpergröße gesenkt und zugleich das Höchstalter für Bewerber angehoben wurde. Es gibt trotzdem zu wenig Menschen, die Polizist werden wollen.

Fehlender Rückhalt in der Politik, eine zunehmend ablehnende Haltung sowie Respektlosigkeit gegenüber der Polizei in immer größer werdenden Teilen der Gesellschaft, Gesetze, die Ermittlungen erschweren und die aus diesen Punkten resultierende Nachwuchsprobleme bei der Polizei ‐ hier muss dringend gegengesteuert werden. Dafür braucht es keine Expertenrunden, keine Arbeitsgruppen und keine Analysen hoch bezahlter Politik-Berater. Es braucht schlichtweg Solidarität mit den Menschen in Uniform, auf allen Ebenen. Und vor allem: Unabhängig vom jeweiligen Parteibuch.