Friedensnobelpreis
„Patriots eher ein symbolischer Beitrag“
Berlin / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
Patriot-Raketen, über deren Entsendung der Bundestag heute abstimmt, sind eher von symbolischer Bedeutung, meint Agnieszka Brugger, abrüstungspolitsche Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Für viel wichtiger hält sie die Hilfe für syrische Flüchtlinge. Mit Agnieszka Brugger sprach unsere Redakteurin Sabine Lennartz.
SZ : Der Bundestag entscheidet heute über die Entsendung von zwei Staffeln Patriot-Raketen und bis zu 400 Soldaten an die türkisch-syrische Grenze. Eine selbstverständliche Hilfe für das Nato-Mitglied Türkei?
Brugger: Ein bewaffneter Einsatz von Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen sollte niemals selbstverständlich sein. Natürlich ist die Bündnissolidarität ein wichtiges Argument, aber nicht das einzige und es kann nicht zu einem Automatismus führen. Vor jedem Mandat müssen wir Abgeordnete immer genau die Risiken prüfen. Bei der Stationierung der Patriots stellte sich die Frage, wie groß die Gefahr ist, dass die Stellungen beschossen werden können und ob sie zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Syrien genutzt werden. Viele der Bedenken konnten durch das Mandat der deutschen Bundesregierung ausgeräumt werden.
SZ: Denken Sie, dass solche Einsätze helfen, die Lage zu beruhigen?
Brugger: Die Patriots sind eine Antwort auf die Sorge der Türkei , dass es zu einem Raketenangriff kommen könnte. Viele halten diese Gefahr derzeit für nicht besonders groß, sondern verweisen darauf, dass das syrische Regime ein rationaler Akteur sei. Die Patriots sind also eher nur ein symbolischer Beitrag. Ich glaube, dass die wirklich wichtigen Antworten, die die Bundesregierung geben muss, ganz andere sind: Die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen auch in Deutschland und die Unterstützung der UN-Winterprogramme für die syrischen Flüchtlinge.
SZ: Was konkret könnte Deutschland tun?
Brugger: Bislang ist Deutschland nicht bereit, syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Damit könnte man sehr viel mehr Solidarität mit der Türkei zeigen. Derzeit haben aber sogar Menschen, die bereits hier leben, große Schwierigkeiten, ihre Familie nur für kurze Zeit in die Sicherheit nach Deutschland zu holen. Selbst dann werden ihnen viele Steine in den Weg gelegt.
SZ: Rüstungsexporte beschäftigen in dieser Woche den Bundestag. Beide großen Kirchen haben heftige Kritik an der deutschen Rüstungspolitik geübt. Zu Recht?
Brugger: Völlig zu Recht. Es ist nicht nur erschreckend, wie viele Waffen in alle Welt exportiert werden, sondern vor allem auch wohin. Da wird in Konfliktgebiete und in Staaten exportiert, die Menschenrechte massiv verletzen.
SZ: Konkret geht es zurzeit darum, Leopard 2 oder der Radpanzer Boxer an Saudi-Arabien zu liefern. Ist das für sie denkbar?
Brugger: Das sind völlig falsche Entscheidungen, gerade wenn man die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien betrachtet. Menschenrechte sind nicht nur zu achten, wenn es einem in den Kram passt. Sie sind ein wesentliches Kriterium bei der Frage, ob man Exporte genehmigt oder nicht. Deshalb halte ich die Entscheidung der Bundesregierung für völlig verantwortungslos.
SZ: Angela Merkel sagt, man müsse vertrauenswürdigen Partnern bei der Friedenssicherung helfen. Halten Sie Saudi-Arabien für nicht vertrauenswürdig?
Brugger: Ich bin erstaunt über das Kriterium der Vertrauenswürdigkeit. Es gibt ja Rüstungsexportrichtlinien, in denen steht nichts von Vertrauenswürdigkeit oder Nicht-Vertrauenswürdigkeit. Da steht aber, dass die Menschenrechtslage entscheidend ist und die Frage, ob es sich um eine Krisenregion handelt oder nicht.
SZ: Müssen Waffenlieferungen transparenter gemacht werden?
Brugger: Auf jeden Fall. Es ist schwer erträglich, dass hinter verschlossenen Türen entschieden wird und erst ein Jahr später ein Rüstungsexportbericht veröffentlicht wird, der inhaltlich auch noch unzureichend ist. Wir müssen die Geheimhaltungspflicht aufheben und uns der Debatte auch im Parlament stellen. Dazu muss es ein Gremium im Bundestag geben, das auch im Vorfeld der Entscheidung mit debattieren kann.
SZ: Die Linke findet es angesichts der Rüstungsexporte schon peinlich, dass die EU den Friedensnobelpreis bekommen hat. Sie auch?
Brugger: Nein, ich finde es sehr gut, dass die EU in Krisenzeiten den Friedensnobelpreis bekommen hat. Dieser Preis ist auch eine Verpflichtung, die ein oder andere Politik zu überdenken. Nur wenn wir die Europäische Union über ihre wirtschaftliche Bedeutung hinaus als Friedens- und Solidaritätsprojekt verstehen und weiter gestalten, können die in sie gesteckten Hoffnungen und Ideale Wirklichkeit werden. Der Kodex der EU für Rüstungsexporte ist ähnlich wie die deutschen Richtlinien auf dem Papier gut, es fehlt aber bei beiden die verbindliche Umsetzung.