Wie kann Zuwanderung gelingen
Migrationspolitik: Viele Vorschläge auf dem Tisch – Welche was bringen
Politik / Lesedauer: 6 min

Claudia Kling
Es vergeht kaum mehr ein Tag, an dem nicht über die hohen Asylbewerberzahlen und die Begrenzung von Migration diskutiert wird. In den Kommunen sinkt die Akzeptanz für die Aufnahme von Flüchtlingen, der Unmut der Bevölkerung spiegelt sich in den hohen Umfragewerten der AfD wider.
Zudem heizen die Landtagswahlen in Bayern und Hessen, wo Bundesinnenministerin Nancy Faeser als SPD-Spitzenkandidatin antritt, die Debatte weiter an. Hier Fragen und Antworten zu den Vorschlägen, die auf dem Markt sind.
Wie ist die Ausgangslage?
Das Migrationsthema hat in der vergangenen Woche sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene noch einmal an Fahrt aufgenommen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lenkte selbst den Fokus darauf, indem sie die italienische Insel Lampedusa besuchte.
Dort kamen innerhalb weniger Tage Tausende Menschen an, in einem Aufnahmelager ist aber nur für 600 Migranten Platz. In Deutschland spitzt sich die Lage seit Monaten zu. Zwischen Januar und August wurden rund 204.000 Erstanträge auf Asyl gestellt, im gesamten Jahr 2022 waren es rund 218.000 Erstanträge.
Die meisten Antragsteller kamen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Auf Deutschland entfielen im ersten Halbjahr 2023 auch rund 31 Prozent aller Asylanträge in der EU (161.000) ‐ in etwa so viele wie in Spanien und Frankreich zusammen. Dazu kommen rund 1,1 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.

Das große Migrationsdrama spielt nicht auf Lampedusa
Die Bilder von der überfüllten italienischen Insel sind aufwühlend. Doch die Lage auf Lampedusa ist nur ein kleiner Teil des Problems, kommentiert Claudia Kling.
Was würde eine Obergrenze bringen, wie sie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert hat?
Söder hatte vor wenige Tagen eine „Integrationsgrenze“ gefordert, die sich daran orientiere solle, „was die Kommunen leisten können“. Dabei kam er auf höchstens 200.000 Migranten pro Jahr. Dieser Vorschlag ist nicht neu ‐ und hatte im Jahr 2017 dazu geführt, dass sich die Schwesterparteien CDU und CSU ziemlich zerlegt haben.
Dieses Mal signalisierte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zwar Sympathie für Söders Vorstoß, von allen anderen Parteien kam aber Gegenwind. In einen Antrag der Unionsfraktion zur Migrationspolitik, der am Freitag unter dem Titel „Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik ‐ Irreguläre Migration stoppen“ im Bundestag behandelt wird, hat es die Forderung nach einer 200.000-Obergrenze nicht geschafft.
Ebenso wenig wie der Vorschlag von Thorsten Frei (CDU), Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, der im Juli dafür plädiert hatte, das individuelle Recht auf Asyl durch eine „Institutsgarantie“ zu ersetzen. So populär die Forderungen nach Obergrenzen klingen mögen, rechtlich sind sie problematisch. Denn ob man das individuelle Grundrecht auf Asyl abschaffen kann, ist umstritten.
Was hilft es, die Liste der sicheren Herkunftsländer zu erweitern?
In der Ampel-Koalition ist diese Frage ein heißes Eisen. Denn während die FDP sich ganz klar dafür ausspricht, auch die Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien als sichere Herkunftsländer zu klassifizieren, sind die Grünen strikt dagegen.
Für ihre Partei sei das Konzept der sicheren Herkunftsländer kein taugliches, um irgendein Problem in der Migrationspolitik zu lösen, sagt Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion. Ihre Parteichefin Ricarda Lang spricht zudem von „systematischen Menschenrechtsverletzungen“ in Algerien, Marokko und Tunesien. Der FDP-Politiker Stephan Thomae sieht das anders.
„Wenn Staaten die nötigen Voraussetzungen erfüllen, um als sichere Herkunftsländer eingestuft zu werden, sollten wir das auch über Georgien und Moldau hinaus ausweiten. Das betrifft auch die Maghreb-Staaten“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion. Er verspricht sich davon eine Verringerung der Asylbewerberzahlen aus diesen drei Ländern „im mittleren vierstelligen Bereich“.
Migrationsforscher sehen einen geringen Effekt auf die Zahl der Asylbewerber in Deutschland. Zudem würde eine Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer nicht zwangsläufig bedeuten, dass sie mehr Menschen zurücknehmen.
Was ist der Stand bei den Migrationsabkommen?
Von außen betrachtet scheint wenig vorwärts zu gehen. Dabei hat die Bundesregierung eigens den nordrhein-westfälischen FDP-Politiker Joachim Stamp zum Sonderbevollmächtigen für Migrationsabkommen gemacht. Seine Aufgabe ist es, mit den Herkunftsländern von Migranten Abkommen zu schließen, damit sie ihre Landsleute zurücknehmen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben.
Im Gegenzug sollen sie Geld bekommen und legale Migrationswege eröffnet werden. Mit welchen Ländern konkret verhandelt wird, wird diskret behandelt. Die Verhandlungen über Migrationsabkommen seien sehr sensibel und erforderten hohes diplomatisches Geschick, sagt Thomae. „Daher ist es sinnvoll, sich nicht öffentlich dazu zu äußern, um den Verhandlungserfolg nicht zu gefährden.“
Auf EU-Ebene ist von der Leyen mit einem Migrationsabkommen mit Tunesien vorgeprescht. Die tunesische Regierung soll insgesamt rund 250 Millionen Euro bekommen, im Gegenzug erwartet Brüssel, dass sie den Grenzschutz verstärkt und härter gegen Schleuser vorgeht. Bewirkt wurde das Gegenteil, wie die Zustände auf Lampedusa zeigen. „Beim Tunesien-Abkommen wurde weder klar geregelt, welche Vorteile Tunesien davon hat, noch wie das Land die irreguläre Migration reduzieren soll“, kritisiert Migrationsforscher Gerald Knaus, Vorsitzender der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative.
Knaus gilt als Vordenker des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei. Dieses Abkommen hatte zur Folge, dass die Zahl der Migranten, die in der EU ankamen, deutlich gesunken ist.
Wie geht die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) voran?
Nicht so, wie geplant. Nach der Einigung der EU-Innenminister im Juni verhaken sich die EU-Mitgliedsstaaten wegen einzelner Punkte der Reform. Dass die Konflikte noch vor der Europawahl im kommenden Jahr ausgeräumt werden, ist nicht sicher. Denn selbst Länder wie Deutschland treiben die Reform nicht voran, da auch die Bundesregierung uneins ist.
Der wichtigste Punkt im neuen GEAS sind die Grenzverfahren. Künftig sollen die Asylanträge von Geflüchteten mit einer geringen Anerkennungsquote (unter 20 Prozent) direkt an den EU-Außengrenzen bearbeitet werden. Die Menschen müssten während dieser Zeit, maximal zwölf Wochen lang, in geschlossenen „Asylzentren“ bleiben. Mehr als 400.000 Menschen wären laut Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr davon betroffen gewesen.
Doch eine entsprechende Infrastruktur fehlt bislang an den EU-Außengrenzen. „Die Zustände auf Lampedusa belegen, dass der Kernvorschlag der EU-Kommission, verpflichtende Grenzverfahren einzuführen, in der Praxis auf keinen Fall funktionieren wird“, sagt Knaus. Ungeklärt ist auch, was mit abgelehnten Asylbewerbern passiert, wenn ihre Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen wollen.
Bringt mehr Grenzschutz weniger Asylbewerber?
Kommissionspräsidentin von der Leyen hat angekündigt, die EU-Außengrenzen besser schützen zu wollen. Auch die FDP und die Unionsfraktion fordern, die europäischen Außengrenzen besser zu kontrollieren. „Denn das ist auch Voraussetzung dafür, um der internationalen Schleuserkriminalität das Handwerk zu legen, die der Haupttreiber irregulärer Migration nach Europa und Deutschland ist“, sagt Thomae.
Zudem spricht er sich für eine „engmaschigere Schleierfahndung im deutschen 30-Kilometer-Raum“ aus. Migrationsforscher sehen die Gefahr, dass schärfere Grenzkontrollen zur Folge haben könnten, dass Migranten noch riskantere Routen wählen.