Prügel
Prügel, Drill, Schikane: Was Alexej Nawalny im Straflager erwartet
Moskau / Lesedauer: 5 min

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Alexei Nawalny ist auf dem Weg in ein russisches Straflager. Dort erwartet den Oppositionspolitiker eine Welt, in der Willkür und Grausamkeit wichtiger sind als Resozialisierung.
Der Empfang im Straflager ist oft brutal. „In den ersten eineinhalb Stunden prügelten sie auf mich ein, im ‚Zimmer für Erziehungsarbeiten‘. Sie schlugen mich mit hölzernen Schreinerhämmern, damals benutzten sie noch keine Gummiknüppel.“ Das berichtet der frühere Unternehmer Ruslan Wachapow . Er hat fünfeinhalb Jahre in der „Besserungskolonie IK Nr. 1“ in Jaroslawl abgesessen, ein Straflager „mit allgemeinen Haftbedingungen“. Neuankömmlinge würden geprügelt, um zu prüfen, ob sie dem Druck widerstehen wollen, oder ob sie sofort nachgeben. Später im Haftalltag strafe man Widerspenstige mit Prügel.
Auch der Oppositionelle Alexej Nawalny wurde am Donnerstag aus einer Moskauer U-Haftanstalt abtransportiert, in eine „Kolonie mit allgemeinen Bedingungen“. Ungewiss, was ihn hinter ihrem Stacheldraht erwartet. „Die Prügel in Jaroslawl ist keineswegs das Schrecklichste, was in russischen Gefängnissen passiert“, sagt Igor Kaljapin, Vorsitzender der Rechtsschutzgruppe „Komitee gegen Foltern“. „Und leider kein Einzelfall.“
Ruslan weiß nicht mehr, wie oft er geprügelt wurde. Zweimal im Jahr rückte eine Sondereinheit der Polizei ein, um alle zusammenzuschlagen, die die Anstaltsleitung auf der Liste hatte. „Einmal 2013, war der Korridor hinterher voller Blut und Exkremente.“ Jetzt gehört Ruslan zu einer Gruppe von Zeugen in Prozessen gegen die prügelnden Vollzugsbeamten. Mehrere Videos der Gewaltorgien gerieten an die Öffentlichkeit. „Sie haben gefilmt, um in der Gebietsvollzugsverwaltung Rechenschaft für ihre geleistete Arbeit abzulegen.“
Von 692 russischen Strafanstalten sind nur acht Gefängnisse, die übrigen Lager. Die Häftlinge leben dort nicht in Zellen, sondern in großen Holz- oder Ziegelbaracken. Ihre Einwohnerzahl hat sich seit dem Jahr 2000 auf etwa 480 000 halbiert. Experten führen das unter anderem auf gesunkene Verbrechensraten zurück, auf alternative Strafen für Jugendliche oder leichte Vergehen.
Aber noch immer gelten Russlands Straflager als Orte der Vergeltung, nicht der Resozialisierung. Für offene Hemdknöpfe droht Karzer, für Beschwerden Schläge. Gleichzeitig verkaufen die Wärter den Gefangenen für umgerechnet 25 Euro streng verbotene Handys mit SIM-Karte und Kopfhörer, um sie dann zu konfiszieren und neu zu verkaufen.
Um sieben Uhr Wecken, Sport, Frühstück, Morgenappell, Arbeit, Mittagessen, Arbeit, Abendessen, Erziehungsmaßnahmen, zwei Kontrollen, eine Stunde Freizeit, Bettruhe ab 23 Uhr. Das ist der Tag der Häftlinge auf dem Papier. Auf dem Papier bekommen sie täglich 550 Gramm Kartoffeln, 250 Gramm Gemüse, 120 Gramm Fleisch und ein Lorbeerblatt am Tag, unter anderem. Aber insgesamt gibt der Staat 1,30 Euro für jede Tagesration aus, viele halten sie für ungenießbar. Wer kann, ernährt sich aus dem Gefängnisladen oder den sechs Esspaketen zu 20 Kilo, die ihre Familie jährlich schicken darf.
„Ob in einem Lager geprügelt wird, hängt davon ab, was im Kopf des Direktors vorgeht“, sagt Menschenrechtler Kaljapin. Vor allem in Lagern mit strengem Regime seien die Schläger sogenannte „Aktivisten“, Häftlinge mit oft langen Strafen, die mit den Vollzugsbeamten zusammenarbeiten. Allein 2018 gab es nach amtlichen Angaben 1881 Beschwerden wegen Foltern in russischen Haftanstalten. Nur 3,2 Prozent wurden strafrechtlich verfolgt.
Jüngste Fälle: In der Irkutsker IK Nr. 6 schlugen mehrere Häftlinge einen Mann zusammen, vergewaltigten ihn mit einem Schrubberstiel, er landete mit inneren Verletzungen im Krankenhaus. Im Tjumensker IK Nr. 1 steckten andere Gewalttäter einen Mitgefangenen in einen Müllsack, stülpten ihm eine Plastiktüte über den Kopf und filmten, wie er fast erstickte. Die Vollzugsbehörden sprachen von einem Scherz.
„Es geht darum, Menschen zu erniedrigen, zu brechen“, erklärt der Schriftsteller Maxim Gromow, der drei Jahre gesessen hat. „Ständig fletschen dich Wachhunde an, vor jedem Offizier musst du die Mütze ziehen, vom Prügeln ganz zu schweigen.“ Nach seiner Entlassung habe er jahrelang um sein Selbstwertgefühl gerungen, sei Trinker geworden.
„Dass ich krank bin, weiß ich“, sagt Ruslan Wachapow über seine Psyche. „Und meine Gelenke, die linke Schulter, die linke Hüfte, das Knie sind zerschlagen.“ Aber er danke Gott, er lebe und könne gehen.
Populäre politische Gefangene haben es leichter, die Knochenbrecher lassen sie in Ruhe, in der Regel. Sie werden von Rechtsanwälten und Menschenrechtlern besucht, Intelligenzler schreiben ihnen Briefe, halten sie über die Welt draußen auf dem Laufenden. Willkür und Gewalt drinnen bleibt auf Distanz. „Ungefähr 15 Minuten, nachdem ich rauskam, hatte ich alles vergessen“, sagte Oleg Nawalny, der wegen desselben Skandalurteils wie sein Bruder dreieinhalb Jahre gesessen hat, der Deutschen Welle.
Alexej Nawalny dürfte ähnliche Vorteile genießen. Aber auch Prominente sind hier nicht sicher. Der in Ostsibirien inhaftierte Ölmagnat Michail Chodorkowski wurde nachts von einem Mithäftling überfallen, der ihm mit einem Messer an der Nase verletzte. Jahre später erzählte der Angreifer dem Portal gazeta.ru, Sicherheitsbeamte hätten ihn mit Prügel und Drohungen dazu bringen wollen, Chodorkowski das Messer ins Auge zu stoßen. Am Ende hängt auch das Überleben Nawalnys von der Willkür derer ab, die ihn gefangen halten.