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Suizid

Flüchtling nimmt sich nach Abschiebung das Leben

Berlin / Lesedauer: 3 min

Innenminister Horst Seehofer gerät nach Scherz über ausgewiesene Afghanen in die Kritik – Linke fordern seinen Rücktritt
Veröffentlicht:11.07.2018, 21:36

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Der Suizid eines vergangene Woche von Deutschland nach Afghanistan zurückgebrachten abgelehnten Asylbewerbers hat in Berlin für Bestürzung gesorgt und heizt die Debatte über Rückführungen in das kriegsversehrte Land an. Die „Verzweiflungstat“ des 23-Jährigen müsse bedauert werden, erklärt Grünen- Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Von einem „tragischen Tod“ spricht Linken-Fraktionsvize Ulla Jelpke.

Heftig unter Beschuss gerät Bundesinnenminister Horst Seehofer . Der CSU-Chef hatte erst am Dienstag über die Abschiebung der Gruppe von 69 Afghanen an seinem 69.Geburtstag gefeixt – nun hat sich einer von ihnen erhängt. Seehofers „diebische Freude“ über die Sammelabschiebung erweise sich als „geradezu mörderische Schadenfreude“, wirft ihm Jelpke vor und fordert den Rücktritt des Bundesinnenministers. Die CSU sieht in der scharfen Attacke der Linken-Politikerin ein grobes politisches Foul. Von einem „perfiden Versuch“, den Vorfall aus Kabul politisch auszuschlachten, ist in der Landesgruppe die Rede.

Seehofer selbst weist die Kritik und Rücktrittsforderungen am Mittwochabend zurück. „Das ist zutiefst bedauerlich, und wir sollten damit auch sachlich und rücksichtsvoll umgehen“, so Seehofer nach einem Treffen mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini in Innsbruck. Beide hatten sich am Mittwoch auf ein Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen verständigt.

Mehrfach rechtskräftig verurteilt

Selbstmord aus Verzweiflung über die Abschiebung – danach sieht es im Fall des 23-Jährigen wohl aus: Der junge Mann war 2011 eingereist, sein Asylantrag ein Jahr darauf abgelehnt worden. Er lebte in Hamburg. Erst 2017 wurde das Widerrufsverfahren eingestellt, es folgte noch eine Duldung. Schließlich, nach mehrfachen rechtskräftigen Verurteilungen wegen Diebstahls, versuchter schwerer Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Drogendelikten, wurde er als „nachvollziehbar ausreisepflichtig“ eingestuft. Am 3. Juli wurde er in München in den Flieger nach Kabul gesetzt. Am Dienstag dann fand man ihn an einem Strick erhängt in einem Zimmer des Spinsar-Hotels in der afghanischen Hauptstadt. Dort bringt die Internationale Organisation für Migration rückkehrende Flüchtlinge unter, die nicht wissen, wohin sie gehen sollen.

Abschiebung in den Tod – so sehen es Flüchtlingsorganisationen und Linkspartei. Der Vorfall werfe „ein Schlaglicht auf die Brutalität der Abschiebepraxis“, beklagt Pro Asyl. „Durch die Abschiebung in eine perspektivlose Lage und in ein Land, dessen Realität er kaum noch kennt, wurde der Mann offenbar in eine Lage getrieben, in der er keinen Ausweg mehr sah“, erklärt die Organisation. Es sei „verantwortungslos, dass immer mehr Menschen nach Afghanistan in eine ungewisse Zukunft geschickt werden“, sagt Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt. Die Hamburger Behörden betonen, dass die Hansestadt nur Straftäter, Gefährder und Menschen, die ihre Identitätsfeststellung verweigerten, zurück an den Hindukusch schicke.

Seehofer steht wegen des Falls umso mehr in der Kritik, weil er sich bei der Vorstellung seines Masterplans zur Migration am Dienstag in Berlin äußerst zufrieden über die ungewöhnlich hohe Zahl von Menschen geäußert hatte, die im jüngsten Abschiebeflug nach Afghanistan saßen. „Ausgerechnet an meinem 69.Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war“, so seine Äußerung.

„Defizit an Menschlichkeit“

Linken-Politikerin Jelpke zeigt sich schockiert: „Ein Innenminister, der sich öffentlich darüber freut, dass Menschen in ein Kriegsland zurückgeschickt werden, hat offensichtlich nicht nur ein eklatantes Defizit an Mitmenschlichkeit.“ Seehofer habe auch ein Defizit „an Qualifikation für sein Amt“. Und Grünen-Politikerin Göring-Eckardt erklärt, Abschiebungen eigneten sich „nicht für Scherze“. Bei Seehofer seien Menschenleben deshalb „in schlechten Händen“.