StartseitePolitikNachteile für deutsche Behinderte? - EU plant neuen Behindertenausweis

Einheitlicher EU-Ausweis

Nachteile für deutsche Behinderte? - EU plant neuen Behindertenausweis 

Politik / Lesedauer: 3 min

Die EU plant einen europaweit gültigen Ausweis für Behinderte. Doch manche Behindertenvertreter haben Vorbehalte für Deutschland.
Veröffentlicht:20.11.2023, 05:00

Von:
  • Ulrich Mendelin
Artikel teilen:

7,8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung leben in Deutschland, das ist fast jeder zehnte Bürger. Unter den Menschen, die älter als 64 Jahre sind, hat sogar fast jeder vierte einen Schwerbehindertenausweis.

In Deutschland berechtigt dieses Dokument je nach Art und Grad der Behinderung zum vergünstigten Eintritt ins Museum oder Theater, zu einem Rabatt beim Autokauf und ‐ wenn es mit einer Wertmarke ausgestattet ist ‐ zur vergünstigten oder kostenlosen Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Im Ausland dagegen kommen Schwerbehinderte mit ihrem Ausweis oft nicht weit, die Anerkennung ist von Land zu Land unterschiedlich. Die Europäische Union möchte nun gegensteuern und einen Europäischen Behindertenausweis einführen. Doch es gibt auch Bedenken.

Das ist von der EU geplant

Vor kurzem hat die EU-Kommission ihren Vorschlag vorgelegt, wie ein Behindertenausweis auf europäischer Ebene aussehen könnte. Er soll demnach den weiterhin bestehenden nationalen Ausweis ergänzen und bei Auslandsreise drei Monate lang gelten. „Man kann für diesen Zeitraum in einem anderen EU-Staat alle Services nutzen, die ein einheimischer Behinderter dort nutzen kann“, erläutert die deutsche Grünen-Europaparlamentarierin Karin Langensiepen, die das Thema für ihre Fraktion betreut.

Der Vorschlag der EU-Kommission gehe „klar über Symbolpolitik hinaus“. Vertreter von Europaparlament, Nationalstaaten und EU-Kommission werden nun über die Details verhandeln und eine entsprechende Richtlinie, so Langensiepen, „im besten Fall im April nächsten Jahres beschließen“. Die EU-Staaten müssen diese dann innerhalb von 18 Monaten umsetzen.

Bedenken von Behindertenverbänden

Der Deutsche Behindertenrat begrüßt die Pläne, hat in einem Positionspapier Anfang des Jahres aber auch festgehalten: „Der Anwendungsbereich eines Europäischen Behindertenausweises sollte sich nicht auf Leistungen im Bereich der sozialen Sicherheit/des Sozialschutzes beziehen.“ Denn so schön ein Rabatt an der Museumskasse auch sein mag: Deutlich gewichtigere Vorteile ‐ Politik und Sozialverbände sprechen von Nachteilsausgleichen ‐ ergeben sich für Betroffene im Arbeitsleben. Wer eine entsprechende Behinderung hat, erhält mehr Urlaub, genießt einen besonderen Kündigungsschutz und kann früher in Rente gehen. Bei der Steuer kann ein Schwerbehinderter pauschale Freibeträge für außergewöhnliche Belastungen geltend machen.

In Deutschland gebe es bei Betroffenen Bedenken, dass „für uns Einschnitte mit dem EU-Ausweis geben könnte“, berichtet Josef Keßler aus Meckenbeuren, Leiter des Schwerbehindertennetzwerks Oberschwaben-Bodensee (SNOBO). Denn wenn der Schwerbehindertenausweis auch für den Arbeitsmarkt gelten würde, stelle sich die Frage der Vergleichbarkeit beim Grad der Behinderung zwischen Menschen verschiedener EU-Staaten.

Keine Nachteile für deutsche Behinderte?

Tatsächlich wird dabei nicht überall so stark differenziert wie in Deutschland. In manchen Ländern gibt es den Status der schweren Behinderung, die in Deutschland bei einem Grad der Behinderung von 50 Prozent oder mehr vergeben wird, gar nicht.

In Deutschland staatlich garantierte Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderungen dürfen nicht reduziert werden oder wegfallen.

Deutscher Behindertenrat

Auch der Deutsche Behindertenrat hält vorsichtshalber fest: „In Deutschland staatlich garantierte Nachteilsausgleiche für Menschen mit Behinderungen dürfen nicht reduziert werden oder wegfallen.“ Diese seien in der Vergangenheit hart erkämpft worden und würden in der politischen Diskussion immer mal wieder zur Debatte gestellt, sagt Dorothee Czennia, die den Sozialverband VdK im Deutschen Behindertenrat vertritt. Wenn nun die EU-Staaten den Behindertenstatus aus anderen Ländern gegenseitig anerkennen, dürften Schutzstandards hierzulande nicht gesenkt werden, „nur weil es diese in anderen europäischen Ländern ‐ noch ‐ nicht gibt“, so Czennia.

Mobilität im Fokus

Dies steht nach Ansicht der EU-Parlamentarierin Langensiepen nicht zu befürchten, schon wegen der auf drei Monate befristeten Gültigkeit des EU-Behindertenausweises.

Das Thema Arbeitsmarkt spiele aktuell überhaupt keine Rolle, es gehe vor allem um Mobilität ‐ also die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. „Auch für Pendler greift dieser Ausweis nicht.“ Langfristig sei es zwar wünschenswert, wenn der Europäische Behindertenausweis auch für Menschen gelte, die in einem anderen Land sesshaft werden. Im Moment aber stelle sich die Lage anders dar: „Eigentlich ist das eine Art Ferienpass.“