Mode
Stil und Stil-Irrtümer bei Politikern: Wenn Kleidung mehr als Mode ist
Ravensburg / Lesedauer: 10 min

Nach dem Bundestagswahlkampf des vergangenen Jahres tauchte im Netz ein Foto von vier Politikern auf: Annalena Baerbock, Robert Habeck (beide Grüne), Volker Wissing, Christian Lindner (jeweils FDP ) trafen sich – untertitelt ist das Foto mit den Worten „Spannende Zeiten“. Kleidungstechnisch präsentierten die vier sich locker in Hemd oder Polo, ganz die Vertrautheit dieses hochpolitischen Treffens der baldigen Junior-Partner betonend.
Das Foto der heutigen vier Minister der Ampel-Koalition wurde geteilt und kommentiert. Oft ging es auch um die Bekleidung der vier Personen. Mal wohlwollend, mal voller Häme: Jedenfalls ein glatter Punktsieg in der Liga der Aufmerksamkeitsökonomie für die Vier.
Mancher Politiker setzt gezielt auf Kleidung als Mittel politischer Kommunikation
Aufmerksamkeit zu schüren, das gelingt Politikern eben auch mit dem persönlichen Auftritt und ihrem Kleidungsstil. Sie wollen damit ein Image kreieren – ein Anzug, Kleid oder das Hemd zu Jeans und Turnschuhen können bei den Zuschauern Empfindungen auslösen. Gute oder schlechte, das hängt nicht nur vom Standpunkt ab.
Manch ein Politiker setzt Kleidung ganz gezielt als Mittel politischer Kommunikation ein. Auch in Deutschland - wo die Menschen kein besonders inniges Verhältnis zur Kleidung haben. Sagt jedenfalls einer, der sich damit ausgiebig beschäftigt.

Bernhard Roetzel ist Verfasser mehrerer Stilratgeber, Kolumnist und Herausgeber eines Stilmagazins:
In Deutschland ist das Stilniveau niedrig, vor allem im Vergleich mit Frankreich oder Italien.
Hierzulande störe das keinen, im Gegenteil.
Zu elegant gekleidete Menschen würden oft mit Skepsis betrachtet werden, sagt Roetzel. Beliebter sei da eher ein Auftritt wie seinerzeit der des Finanzministers Hans Eichel – „bieder, ein bisschen wie von Mutti angezogen“. Dunkler Anzug, gestreiftes Hemd, oft ein wenig zu groß und sackförmig.
Früher war der Anzug Pflicht, heute gibt es den „Casual Friday“ in Unternehmen
Ein Spiegelbild des deutschen Stilwillens, oder Unwillens, sind auch die Politiker. Der Stilexperte erklärt: „Karl-Theodor zu Guttenberg war ein Politiker, dem man trotz seiner taillierten Anzüge zunächst vertraute. Was sich prompt als Fehler erwiesen hat.“ Der so elegant und dynamisch erscheinende Verteidigungsminister stolperte über seine eigene Doktorarbeit, die sich in bestimmten Teilen als Plagiat erwies.
Früher einmal, vor 20 oder 25 Jahren noch, galten auch in Deutschland inoffizielle Kleidungsvorschriften im beruflichen und sozialen Kontext. Wer etwa als Anwalt in einer großen Kanzlei arbeitete, hatte einem strikten Leitfaden zu folgen: Dunkler Anzug, weißes Hemd, ordentlich gebundene Krawatte und schwarze Schuhe – bloß keine Brauntöne, wie sie heute beliebt sind. Freitag geht heute sogar mal in Jeans oder mit offenem Hemdkragen.
Dieser „Casual Friday“ der Wirtschaftswelt hat auch in der Politik Einzug gehalten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im grauen Pullover, Außenministerin Baerbock in farbenfrohen und modischen Kleidern, Wirtschaftsminister Habeck ohne Krawatte und mit offenem Hemd – die heutige Politikergeneration setzt konsequent den Weg fort, den einstige Grüne wie Joschka Fischer (in weißen Turnschuhen im Parlament trieb er Volk und Kollegen zur Weißglut) oder Claudia Roth (Kleidung knallig wie ein Bonbon ist seit jeher ihr Markenzeichen) ebneten.
Politiker sind immer noch auf den Anzug als Berufskleidung angewiesen
Kleidung ist viel mehr als der Ausweis eines bestimmten Berufsstandes. Sie kann das Selbstwertgefühl steigern, einen Schutzmantel schaffen, Identität verkörpern, Gefühle und Assoziationen hervorrufen. Und in der Politik Würde und Seriosität vermitteln, zumindest in den meisten Situationen. Debatten im Bundestag sehen daher immer noch danach aus, als hätten sich die Teilnehmer vorher alle aus einer Uniformkammer bedient.
Sind männliche Politiker auf den Anzug beschränkt, haben Politikerinnen ein wenig mehr Auswahl – wenn es nach dem Stilexperten Roetzel geht: Hosenanzug, Bluse oder Top mit schlichtem Ausschnitt, selten Kostüm oder Pumps. Die Kleidung gehört zum politischen Spiel der Aufmerksamkeitsökonomie.
Ein weiterer stilbewusster Politiker, der ehemalige Außenminister Heiko Maas, sei zuerst für seine modischen, extra engen Anzüge gelobt worden, erklärt Stilexperte Roetzel. Doch schließlich habe es Spott gehagelt. Eleganz, ganz besonders bei Politikern, werde im besten Fall belächelt, häufiger aber als Untugend gebrandmarkt. Dabei sei der Anzug, mitsamt Hemd, Krawatte und schwarzen Schuhen, nun einmal die Berufskleidung der Politiker.
Was beim ukrainischen Präsidenten Selenskyj authentisch wirkt, sorgt bei Emmanuel Macron für Kritik
Zumindest gilt das in Friedenszeiten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war einst auch Anzugsträger. Dann kam der Krieg. Und mit ihm hielten T-Shirts in Sandtönen oder Flecktarn, Cargo-Hosen und Soldatenstiefel Einzug in die Garderobe des Mannes, der seit Kriegsbeginn standhaft in Kiew ausharrt. Laut Stilexperten Rotzel absolut authentisch und angemessen.
Vielleicht war es dieser Stil, von dem sich der französische Präsident Emmanuel Macron – bekannt als Liebhaber modisch geschnittener Anzüge – inspirieren ließ, als er jüngst in einem Kapuzenpullover der französischen Luftstreitkräfte seinen Amtsgeschäften nachging.

Die Reaktionen darauf waren gespalten. Die einen interpretierten das Outfit als Solidarisierung mit der Ukraine, Kritiker warfen Macron vor, auf Kosten des kriegsgebeutelten Landes Punkte beim Wähler machen zu wollen.
Allerdings, schränkt Roetzel ein, hätten Politiker sich verschiedenen Situationen immer kleidungstechnisch angepasst. „Bei Auftritten vor Gewerkschaften legten Politiker auch in den 1970er-Jahren die Krawatte ab. Und Helmut Kohl trug bei dem entscheidenden Treffen zur Deutschen Wiedervereinigung eine Strickjacke – wie stets, diente die Kleidung auch in diesem Fall einem Zweck.“
Durch die Strickjacke habe der Kanzler ein heimeliges Gefühl, eine Vertrautheit unter den beiden Mächtigen schaffen wollen.
Der weiße Sneaker ist dem Stilexperten ein Graus
Um Vertrautheit geht es auch jüngeren Politikergenerationen. Was bei Joschka Fischer noch ein Tabubruch war (die Turnschuhe!), ist unter jungen Menschen, und solchen die es gerne wären, seit Jahren fester Bestandteil der Garderobe.
Der weiße Turnschuh. Ob zur Abendgarderobe oder „smart“ kombiniert mit Sakko und Stoffhose im Arbeitsalltag – die Schuhe sind überall. Was für Stilexperten Roetzel ein Graus ist, tragen junge Politiker wie der FDP-Staatssekretär Benjamin Strasser aus Weingarten mit Stolz.
Der weiße Schuh als Symbol für Kreativität und Start-up-Mentalität ist nicht aus der Welt zu kriegen. Das hat schließlich auch die Nachwuchsorganisation von CDU und CSU erkannt: Auf ihrem Deutschlandtag im Herbst 21 verschenkten Mitglieder weiße Sneaker. Selbst das konnte dem Hype um die Schuhe kein Ende bereiten.
Unter Politikern und Machthabern hat sich spätestens im 19. Jahrhundert die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich auch mit dem Äußeren Politik machen lässt. Die Historikerin Claudia Gatzka forscht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, unter anderem zur politischen Kommunikation und Repräsentation.
„Symbole sind seit der Antike, seit es Politik gibt, Teil davon“, sagt Gatzka, „sie richten sich an mein Gegenüber, sie kommunizieren. Kleidung kann ein Symbol sein. So, wie wir heute Kommunikation verstehen, richtet sich diese an ein großes Publikum, an einen Massenmarkt.“
Dresscodes im Arbeitsumfeld können wie eine Rüstung wirken
Mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. sei ab 1890 ein Machthaber auf der Bildfläche erschienen, der das Spiel mit den Medien beherrscht habe – ein Medienkaiser. Zum öffentlichen Auftritt im Sinne der Propaganda gehörte entsprechende Kleidung.
In Wilhelms Fall waren das Prunkrüstungen oder Uniformen, die sein Ideal einer militärisch geprägten Gesellschaft verkörperten. „Er erreichte damit seine Zielgruppen bei den Kaisertreuen und Militärangehörigen, da ließ sich der Spott der politischen Gegner leichter ertragen.“
Diese Analyse dürfte bei Politikern und Kampagnenführern wohl bis heute ungeteilte Zustimmung finden. Kleidung ist also stoffgewordene Soziologie.
Nicht umsonst nutzte man sie früher zur Einordnung der Menschen in verschiedene Gesellschaftsschichten. Bestimmte Dresscodes im Arbeitsumfeld wirken wie eine Rüstung: Seht mich an und wisst, wohin ich gehöre, welchen Status ich habe, wer hinter mir steht.
Die deutschen Wähler wollen ihre Politiker nicht zu elegant gekleidet sehen
Uniformen und andere an das Militär angelehnte Kleidung, erklärt Historikerin Gatzka, hätten sich in der deutschen Politik bis zum Ende der NS-Zeit als probates Mittel der politischen Kommunikation und Symbolik gehalten.
„Die para- oder pseudomilitärische Kleidung von Organisationen in der Weimarer Republik und der NS-Diktatur symbolisiert innere Geschlossenheit und Schlagkräftigkeit der Mitglieder. Den Effekt dieser Form der politischen Kommunikation im Alltagsraum der Bürgerinnen und Bürger kann man gar nicht hoch genug einschätzen.“
In der jungen Bundesrepublik wurden Uniformen solcher Art 1953 im Versammlungsgesetz ausdrücklich verboten. Es folgte die Rückkehr zur Bürgerlichkeit: Der dunkle Anzug wurde zum Rüstzeug männlicher Politiker, Frauen mussten sich an eine strenge Etikette halten – alles andere als ein züchtiges Kostüm oder Kleid wurde nicht gern gesehen.
Bloß zu formal durfte es, zumindest bei den Männern, dann auch nicht sein. „Die deutsche Mittelschichtsgesellschaft fühlte sich eher angezogen, wenn Politiker nicht zu elegant gekleidet waren. Das suggerierte eine gewisse Volksnähe.“
Politikerinnen können Mode und Urteilen über das Äußerliche kaum ausweichen
Laut Historikerin Gatzka lockerten sich die engen Kleidungsvorgaben hierzulande erst in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Claudia GatzkaDie Jugend entdeckte zu dieser Zeit, dass man subjektive politische Haltungen auch durch Kleidung oder Styling ausdrücken kann.
Nun durften auch Frauen etwas mehr Haut oder Farbe zeigen, ohne gleich auf die politische Hinterbank verbannt zu werden. „Mode ist ein Thema für Politikerinnen, dem sie nicht ausweichen können – Frauen können schlicht nicht nicht körperlich kommunizieren in der Politik.“
Selbst Angela Merkel, deren Blazer, trotz der großen Farbauswahl, betont nüchtern daherkamen, nutzte ihre Kleidung als Kommunikationsmittel: An mir prallt ihr ab, eure Kritik an meinem Äußeren ficht mich nicht an, ich stehe über den Dingen.
Olaf Scholz setzt auch mal auf den Pullover als Kommunikationsmittel
Ganz anders Olaf Scholz in jüngster Zeit. Mit einem Auftritt im legeren Pullover während einer Flugreise sorgte er gewollt für Aufsehen. „Der Kanzler sucht Mittel, um dem Image der Sprödigkeit zu entkommen“, erklärt die Historikerin, „und mit dem Pullover auch mal Zugänglichkeit demonstrieren – das war ein sehr gezielter Einsatz von Kleidung als Kommunikationsmittel.“
Ob dem Kanzler das gelungen ist, sei dahingestellt. Jedenfalls dominierte er einige Stunden so manche Schlagzeile im Internet – eine wichtige Währung der modernen politischen Kommunikation.
Das Spiel mit den Schlagzeilen beherrscht auch Markus Söder, CSU-Ministerpräsident und während des vergangenen Bundestagswahlkampfes Dorn im Fleische der CDU.
Kleidungsstile wirken auf jeden Betrachter anders
Einmal im Jahr schwingt Söder die ganz große Publicity-Keule. Zur „Fastnacht in Franken“ taucht er seit vielen Jahren meist verkleidet statt gekleidet auf: 2013 als Marilyn Monroe, 2014 – bereits legendär – als grünes Monster Shrek aus dem gleichnamigen Film, 2018 als prachtbärtiger Prinzregent Luitpold von Bayern (als klar war, er wird demnächst Ministerpräsident). Fragen, was er mit seiner Kostümierung aussagen wolle, wich Söder stets grinsend aus.
Für ihn, aber auch alle anderen mehr oder weniger gut gekleideten oder verkleideten Politiker und Politikerinnen, gilt daher: Wie Kleidung wirkt, liegt letztlich im Auge des Betrachters.