Kantonsspital
Die Schweiz hat es in Sachen Corona schwer erwischt
Genf / Lesedauer: 3 min

Schwäbische.de
In der Schweiz hat Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga bereits die „außerordentliche Lage“ ausgerufen – und das Land in der Mitte Europas machte fast komplett dicht: Die Regierung schloss Geschäfte, mottete Skistationen ein, verriegelte Grenzen und beorderte bis zu 8000 Soldaten in den Kampf gegen die Ausbreitung der gefährlichen Atemwegserkrankung Covid-19. Sie sollen das immer stärker unter Druck geratene Gesundheitssystem stabilisieren, das zu den teuersten der Welt zählt. „Eine Mobilmachung dieser Größenordnung gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr“, sagt Verteidigungsministerin Viola Amherd.
Allerdings können die Schweizer mit ihren Notstandsregeln, wie so viele andere Europäer auch, den Vormarsch des Corona-Erregers nicht stoppen. Im Gegenteil: Die Eidgenossenschaft mit 8,5 Millionen Einwohnern schoss auf der Ländertabelle mit bestätigten Covid-19-Fällen auf einen Spitzenplatz. Am Donnerstag meldete das Bundesamt für Gesundheit 10 714 laborbestätigte Erkrankte. Pro Kopf der Bevölkerung rangiert Helvetien damit in etwa auf dem Niveau Italiens, des Landes mit der schlimmsten Corona-Krise. Mehr als 161 Infizierte starben in der Schweiz, damit liegt die Eidgenossenschaft laut der Johns-Hopkins-Universität unter den rund einem Dutzend Staaten mit den meisten Todesfällen. Und die Krise wird sich nach Befürchtungen von Krankenhäusern noch verschärfen: So warnt das Luzerner Kantonsspital am Mittwoch, dass „die Zahl der Fälle, welche hospitalisiert werden müssen, in den nächsten Tagen und Wochen stark ansteigen wird“. Das Gesundheitssystem ist jedoch nicht dafür gerüstet.
Schon zu Beginn des Notstandes wurden in Kantonen wie Waadt und Wallis diejenigen Menschen, die nicht zu Risikogruppen gehören, von Corona-Tests ausgeschlossen. Der Grund: zu wenige Testkits.
Seit Mitte März laufen das Luzerner Kantonsspital und andere Krankenhäuser im Notfallbetrieb, verbieten Besuche und bauen die Stationen um, um die Corona-Patientenströme möglichst vom restlichen Betrieb zu separieren. In vielen Spitälern herrscht lebensgefährlicher Mangel an Beatmungsgeräten, Schutzkleidung und Intensivplätzen. Angesichts der Knappheit improvisieren die ansonsten so regeltreuen Schweizer mehr und mehr. „Wir nehmen die Intensivstation im Neubau einen Monat früher als geplant in Betrieb“, sagte der Chef des Kantonsspitals Graubünden in Chur, Arnold Bachmann, der Zeitung „Südostschweiz“. Durch den gleichzeitigen Betrieb der neuen und der alten Intensivstation will das Spital die Zahl der Plätze verdoppeln: Nur: Die Maßnahme greift erst am 6. April. Und ob das Kantonsspital die nötigen Fachkräfte für die zweite Intensivstation findet, ist ungewiss. Andere Krankenhäuser suchen ebenfalls händeringend nach neuen Mitarbeitern, um die Patienten zu versorgen.
Angesichts der eskalierenden Krise werden nun die kritischen Stimmen laut: Immer mehr Bürger und Medien wie die „Neue Zürcher Zeitung“ fragen: Wer trägt für all das die Verantwortung? Der Epidemiologe Marcel Salathé aus Lausanne wirft Behörden und Politik Versagen vor. Er und andere Fachleute hätten schon im Januar vor einer rasanten Corona-Ausbreitung gewarnt, doch es sei zu langsam reagiert worden. „In den Augen vieler waren wir einfach nur Alarmisten“, sagt er. Durch das Zögern habe die Schweiz wertvolle Zeit verloren.
Doch die Versäumnisse haben laut Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) schon viel früher begonnen. Bei den Recherchen stieß das SRF auf ein Gutachten des früheren Chefs des Bundesamtes für Gesundheit, Thomas Zeltner, das die Regierung im Januar 2019 „völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit“ veröffentlicht hatte. Im Jahr 1995 hätte die Eidgenossenschaft begonnen, „sich für den Fall einer Pandemie zu rüsten“. Gemäß einem nationalen Plan sei es die Aufgabe der kantonalen Ämter gewesen, für genügend Kapazitäten in den Spitälern zu sorgen. Auch der Mehrbedarf an Medikamenten und Medizinprodukten hätte einkalkuliert werden sollen. Die ernüchternde Bilanz des SRF-Berichts: „Geschehen ist seither jedoch praktisch nichts.“