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Abschied

Der Mann im Hintergrund des Ministerpräsidenten

Politik / Lesedauer: 8 min

Werner Schempp aus Ravensburg ist Ministerialdirigent – Er hat fünf Ministerpräsidenten gedient, auch Winfried Kretschmann
Veröffentlicht:31.03.2017, 18:53

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So dreckige Schuhe hat Werner Schempp wohl selten gehabt. Heller Kalkstaub spritzt wie Wasser an seinen Hosenbeinen hoch und setzt sich in den Stanzlöchern seiner edlen Schuhe ab. Früher, als die vier Kinder noch bei ihm und seiner Frau zu Hause in Ulm lebten, gab es ein samstägliches Ritual: Der Vater band sich eine Brauerschürze um und putzte Schuhe – auch die der Kinder. Und dabei schaute er Sportschau. Daran denkt Werner Schempp an diesem heißen Tag Ende März, als er Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) durch den Staub folgt.

Sein Dienstherr führt eine Delegation durchs Heilige Land an. Ministerialdirigent Schempp und sein Team der Abteilung V des baden-württembergischen Staatsministeriums – zuständig für Internationale Angelegenheiten, Entwicklungszusammenarbeit und Protokoll – haben die Reise vorbereitet. Es ist Schempps letzte große Dienstreise vor dem Ruhestand.

Israel und die Palästinensischen Gebiete – für Schempp, den katholischen Oberschwaben , sind das besondere Orte. Bereits 2013 hatte er Kretschmann, der damals Bundesratspräsident war, hierher begleitet. Wie immer vor solch einer Reise sind viele Fragen mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Mit wem soll sich der Ministerpräsident treffen? Welche Gastgeschenke bringt er für welchen Gesprächspartner mit, etwa für den palästinensischen Premierminister Rami Hamdallah? Wo kommt die Delegation unter und wie kommen alle von A nach B?

Hätte Hotellehre machen können

Planung sei das eine, sagt Schempp, „die Live-Sendung das andere.“ So kann selbst er nicht immer verhindern, dass Dinge schiefgehen. Wenn etwa ein Politiker mal einen Fauxpas begeht. Wie vor einigen Jahren, als ein Delegationsteilnehmer in Asien einer Frau die Hand schüttelte, obwohl sich das nicht schickte.

Dass er einmal Hüter der Etikette für fünf baden-württembergische Ministerpräsidenten sein würde, in Stuttgart wie auch im Ausland, war nicht das Ziel des jungen Werner Schempp – obwohl er schon als Bub ein Faible für das Ästhetische und Zeremonielle pflegte. Gerne deckte er den Esstisch ein. „Ich hatte schon immer Freude am äußeren Rahmen“, erinnert sich der gebürtige Ravensburger, dessen Großvater Paul Schempp Schriftsetzer beim „Oberschwäbischen Anzeiger“ war – dem Ravensburger Vorgänger der „ Schwäbischen Zeitung “.

Er hatte sogar mal an eine Hotelfachlehre gedacht. Stattdessen ging er nach dem Abitur 1973 am Neuen Gymnasium, das heute den Namen Albert Einsteins trägt, und nach dem Wehrdienst zum Studieren nach Tübingen. Germanistik und Romanistik auf Lehramt, ein Auslandsjahr in Dijon inklusive. Französisch, Englisch und Italienisch parliert er heute so selbstverständlich, dass er in diesen Sprachen genauso scherzen und Dichter und Denker zitieren kann wie auf Deutsch. Das kam ihm oft zugute beim Umgang mit den internationalen Staatsgästen. Und dass er CDU-Mitglied ist, war seiner Karriere sicher nicht hinderlich.

In der Abteilung Protokoll des Staatsministeriums von Baden-Württemberg diente er sich hoch, war unter anderem jahrelang Protokollchef und damit täglich verantwortlich für Zeitabläufe und Logistik des Ministerpräsidenten. 2013 machte der grüne Kretschmann den schwarzen Schempp zum Abteilungsleiter. „Dass er CDUler ist, war kein Thema“, sagt Kretschmann. „Natürlich müssen die Leute loyal sein und kompetent und einsatzbereit.“ Als Protokoller hat Schempp seine Chefs sehr gut kennengelernt. Ganz der loyale Beamte sagt er: „Ich habe alle auf unterschiedliche Art geschätzt. Man kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.“

An seinem ersten Dienstherrn Lothar Späth ( CDU ) habe er sehr bewundert, dass er sich selbst kurz vor Terminen noch neue Infos gemerkt hat. Auf Späth folgte Erwin Teufel (CDU). „Sein Blick für Details war extrem“, sagt Schempp bewundernd. Ein Beispiel: Kam ihm die Portion Fleisch auf dem Teller bei einem offiziellen Essen zu klein vor, merkte er es hinterher an. Günther Oettinger (CDU) nahm ihm etwas Arbeit ab, denn Schempps dritter MP, wie man die Ministerpräsidenten im Fachsprech nennt, machte die Auswahl der Speisen und der Weine bei Staatsempfängen zur Chefsache. An Stefan Mappus (CDU) bemerkte Schempp trotz dessen kurzer Amtszeit, mit welcher Sachkenntnis er sich auf Termine vorbereitet hat – etwa auf eine Reise nach Vietnam, Singapur und Malaysia.

„Sie alle hatten ein Faible fürs Protokoll“, sagt Schempp. Kretschmann erst recht. In diesen Tagen frühstückt er mit Kretschmann in den Hotels in Tel Aviv und Ost-Jerusalem. Beim Cappuccino lässt sich der MP auf die Ereignisse des Tages vorbereiten, oder „briefen“, wie es neudeutsch heißt. So weiß Kretschmann auch an diesem Tag Ende März, was ihn nach dem Marsch durch den Staub in der Westbank erwartet: Das Zelt der Völker – ein Ort, an dem der verfahrene Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erlebbar wird.

Bewegter Besucher

Das Zelt der Völker ist ein Friedensprojekt und zugleich eine Farm auf einem Hügel – dem einzigen Hügel in dieser Gegend nahe Bethlehem, der nicht von einer israelischen Siedlung besetzt ist. Beharrlich bewirtschaftet der palästinensische Christ Daoud Nasser die Farm seiner Familie, beherbergt das ganze Jahr über Freiwillige aus der ganzen Welt, die mitarbeiten. Es gibt Freundeskreise im Ausland für diesen Ort der Begegnung, der nach dem Motto lebt: Wir weigern uns, Feinde zu sein. Und das, obwohl der florierende Siedlungsbau ringsum das Zelt der Völker immer mehr einschließt und abschottet. Da die einzige Straße dorthin schon vor Jahren blockiert wurde, bleibt nur der Weg zu Fuß durch den Staub zu diesem besonderen Ort.

Trotz der Vorbereitung ist Kretschmann tief bewegt von seinen Eindrücken. Schempp merkt es, und er tut das, was er in den vergangenen Jahren auf 60 oder mehr solcher großer Reisen immer wieder getan hat: Er improvisiert. „Mir machet des“, haucht er dem MP mit oberschwäbischem Zungenschlag ins Ohr. Kretschmann nickt zufrieden. Mit „des“ meint Schempp eine Spende an das Projekt Zelt der Völker. Er wird die Überweisung veranlassen, sobald er ins Stuttgarter Staatsministerium zurückgekehrt ist.

Natürlich ist Schempp nicht allein. Er habe ein sehr fähiges Team, wie er betont. Dennoch ist seine Nähe zum MP offensichtlich. Er ist es, der Kretschmann in der Eingangshalle der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem eine Kippa, eine jüdische Kopfbedeckung, am Hinterkopf befestigt – und sie seinem sichtlich bewegten MP nach dem Besuch wieder abnimmt. Bei Schempp wirkt es nicht unterwürfig, sondern spielerisch-scherzhaft, wenn er sich ein weißes Tuch über den Arm wirft, um seinem Dienstherrn abends in der Hotelbar ein Bier zu servieren.

In den 30 Jahren seines Protokoller-Lebens hat Schempp mehr als 100Empfänge unter anderem für Staatsgäste organisiert. Unvergessen bleibt ihm der Besuch des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow 1988, kurz vor der Öffnung des Eisernen Vorhangs. „Seine Frau Raissa Gorbatschowa wollte unbedingt eine typisch deutsche Familie besuchen“, wurde ihm vom sowjetischen Protokoll übermittelt. Kinderreich sollte die sein, nicht zu wohlhabend und in einer nicht zu schönen Wohnung wohnen. Eine passende Stuttgarter Familie wurde gefunden und Schempp ging zwei Tage zuvor zum Vespern vorbei. „Ich wurde als Freund der Familie eingeführt, denn die Kinder durften ja nicht wissen, was da passieren wird.“ Nicht, dass die es in der Schule ausplauderten. Gorbatschowa scheint zufrieden gewesen zu sein, als sie zwei Tage später zum Kaffee bei der Familie saß.

Am meisten umgetrieben haber ihn die Organisation der Trauerfeier nach dem Flugzeugunglück bei Überlingen, sagt Schempp. Zwei Maschinen waren am 1. Juli 2002 bei Owingen kollidiert und abgestürzt. 71 Menschen starben, darunter 49Kinder. „Der Ministerpräsident Teufel sagte damals: ,Herr Schempp, Sie machen das schon.’“ In wenigen Tagen stellte Schempp das Programm zusammen. Dazu gehörte etwa, dass Schulkinder aus Überlingen während der Trauerfeier im Kursaal für jedes verunglückte Kind eine Rose in ein kleines Väschen steckten. „Das war hart“, sagt Schempp.

Das wandelnde Gedächtnis

Er hat viele solcher Geschichten gesammelt im Laufe der Jahrzehnte. Kretschmann nennt ihn deshalb auch „das wandelnde Gedächtnis. Er kennt jeden Fettnapf, in den meine Vorgänger getreten sind. Er wird im Staatsministerium fehlen.“

Auch als „Zentrum des Humors“ gilt er in der Regierungszentrale des Landes Baden-Württemberg. Am letzten Abend im Hotel Ambassador in Ost-Jerusalem erhebt Werner Schempp sein Weinglas. Das Ende seiner letzten Dienstreise naht. Scherzend-tiefsinnig blickt er in die Runde, beschreibt für jede der vertretenen Gruppen, was sie für ihn in den vergangenen 30 Jahren bedeutet habe – die Abgeordneten, die Sicherheitsbeamten, die Journalisten, seine Kollegen von der Ministerialbürokratie, Kretschmann. Im Wort Ministerialbeamter stecke das lateinische Wort ministrare, sagt Schempp, der ehemalige Ministrant aus Oberschwaben. „Das heißt 'dienen’. So hab ich meine Aufgabe immer verstanden.“