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der arabischen Welt kippt die Stimmung

Istanbul / Lesedauer: 4 min

Im Zuges des Gaza-Krieges verlieren Amerika und Europa an Ansehen. China könnte davon profitieren.
Veröffentlicht:22.10.2023, 19:00

Von:
  • Schwäbische.de
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Hunderttausende Demonstranten sind in den vergangenen Tagen in Ländern vom Jemen bis zum Irak auf die Straße gegangen, um gegen Israel zu protestieren. Sogar in Ägypten, wo das Regime nicht-staatliche Demonstrationen nur selten toleriert, ließen die Behörden die Kundgebungen zu. Zwei Wochen nach dem Hamas-Angriff auf Israel steht fest, dass der Westen den Kampf um die Sympathien der arabischen Welt verloren hat. Die Hamas profitiert von der Wut vieler Araber auf Israel, Amerika und Europa. Niemand in der Region traue dem Westen noch über den Weg, sagen Experten. Die tektonische Verschiebung der Verhältnisse dürfte auf Jahre hinaus die Beziehungen zwischen dem Westen und dem Nahen Osten bestimmen. Davon könnte China profitieren.

Dieses Ergebnis war zu Beginn des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober nicht unbedingt zu erwarten. Arabische Staaten wie Ägypten, Jordanien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) hatten Frieden mit Israel geschlossen und nichts für die radikal-islamistische Hamas und deren Unterstützer Iran übrig. Die VAE kritisierte die Hamas nach dem 7. Oktober wegen ihrer Angriffe auf israelische Zivilisten. Doch die israelischen Luftangriffe auf Gaza und besonders die Explosion im Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza mit hunderten Todesopfern haben die Stimmung umkippen lassen. Auch die VAE schlossen sich jetzt der Kritik an Israel an.

Korb für Biden

US-Präsident Joe Biden bekam den Stimmungsumschwung selbst zu spüren. Er wollte bei seinem Kurzbesuch in Nahost nicht nur mit der israelischen Führung sprechen, sondern auch arabische Politiker treffen. Doch die gaben dem amerikanischen Präsidenten einen Korb. Die Empörung in ihren Ländern über den Tod von hunderten Zivilisten bei der Explosion im Al-Ahli-Arab-Krankenhaus war zu groß. Biden stellte sich während seines Besuches hinter die israelische Darstellung, die Klinik sei von einer palästinensischen Rakete getroffen worden ‐ doch das glaubt im Nahen Osten kaum jemand.

„In einem eigentlich pro-westlich gestimmten Land wie Jordanien schaut man fassungslos auf die Politik von USA, Europa und Deutschland, die als einseitig wahrgenommen wird und der man vorwirft, das Leid der Palästinenser nicht ausreichend anzuerkennen“, sagt Edmund Ratka, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jordanien. „Die jetzige Eskalation wird weitreichende Folgen haben und besonders innerhalb weiter Teile der arabischen Bevölkerung zu einer nachhaltigen anti-westlichen Stimmung beitragen“, sagte Ratka unserer Zeitung. „Die Menschen sind wütend, empört und hilflos ‐ das ist ein gefährlicher Cocktail, den die arabischen Regierungen berücksichtigen müssen. Je mehr Eskalation stattfindet, desto größer ist das Risiko für eine Destabilisierung dieser Länder.“

Gespräche auf Eis

Der Vertrauensverlust „wird es für den Westen schwerer machen, Verbündete in der Region auch für andere internationale Fragen zu gewinnen“, sagt Ratka voraus. Der Nahe Osten hat schon viele Krisen erlebt, doch diesmal ist die Kluft zwischen Arabern auf der einen und Israel und dem Westen auf der anderen Seite besonders tief. „Die Menschen empfinden den westlichen Diskurs als scheinheilig, um nicht zu sagen unmenschlich“, sagt Ratka. „Das erreicht dieses Mal ganz andere Ausmaße als sonst.“

Der Schaden dürfte auch dann nicht zu kitten sein, wenn die Gefechte in Gaza irgendwann einmal vorbei sind. Saudi-Arabien hat seine Gespräche mit Israel über eine Normalisierung auf Eis gelegt und seine Kontakte mit dem Iran intensiviert. Auch aus einem für diesen oder nächsten Monat vorgesehenen Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in der Türkei dürfte nichts werden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagt, die israelischen Angriffe in Gaza grenzten an Völkermord; Israel hat nach mehreren Protestdemonstrationen in türkischen Städten sicherheitshalber seine Diplomaten aus der Türkei abgezogen.

Gewinner China?

Erst vor kurzem hatten westliche und nahöstliche Staaten einen Plan zur Einrichtung eines Transport- und Datenkorridors von Indien über die VAE und Saudi-Arabien und Jordanien bis zur israelischen Mittelmeerküste vorgestellt. Der Krieg in Gaza macht dieses Projekt auf absehbare Zeit unmöglich. „Niemand in der arabischen Welt wagt es unter den derzeitigen Umständen, gute Beziehungen mit Israel zu pflegen“, sagt Osman Bahadir Dincer von der Bonner Denkfabrik Bicc. Westliche Institutionen im Nahen Osten bemerken, dass sich Gesprächspartner plötzlich abwenden. Den Kardinalfehler sieht Dincer in der Annahme, dass der „eingefrorene Konflikt“ zwischen Israel und den Palästinensern ohne Rücksicht auf palästinensische Interessen betrachtet wurde. Dabei werde dieser Konflikt schon seit Hundert Jahren vom Anspruch der Israelis und der Palästinenser auf einen eigenen Staat geprägt, sagte Dincer. „Es ist ein Krieg, der immer wieder eskaliert, aber niemals endet.“ Dennoch habe niemand auf die Palästinenser geachtet.

Gewinner des Ansehensverlustes für den Westen könnte China sein. Der Sondergesandte Beijings, Zhai Jun, sprach in den vergangenen Tagen mit dem israelischen Botschafter in China und Vertretern der Arabischen Liga und betonte dabei, die chinesische Regierung sei zu einer „positiven Rolle“ bereit. China hatte erst vor wenigen Monaten seine Ambitionen als Nahost-Macht demonstriert, indem es eine Annäherung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien vermittelte.