Politik
Demokratische Grauzone
Berlin / Lesedauer: 4 min

Andreas Becker
Sie haben Namen und Bezeichnungen, die fast gleichzeitig aufhorchen und einschläfern lassen: „Sonderbeauftragte(r) der Bundesregierung für die Umsetzung der internationalen Initiative für mehr Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor“ oder „Bundesbeauftragte(r) für die Behandlung von Zahlungen an die Konversionskasse“ oder „Beauftragte(r) der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich“ ‐ die Bundesregierung besteht nicht nur aus 15 Ministerien mit zehntausenden von Mitarbeitern, sie leistet sich auch noch 42 Sonderbeauftragte.
Besonders die aktuell regierende Ampelkoalition hat offenbar Gefallen an der Einrichtung von zusätzlichen Stellen für Sonderbeauftragte und hat damit in dieser Legislaturperiode bereits ihre Vorgängerregierungen in den Schatten gestellt. Anfang des Jahres etwa wurde der Grünen-Politiker Sven Lehmann zum ersten „Queer-Beauftragten“ in der Geschichte der Bundesrepublik gemacht. Er soll sich für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt einsetzen.
Damit nicht genug: Auch eine Antirassismus-Beauftragte, einen Antiziganismus-Beauftragten sowie einen Meeresbeauftragten haben Scholz, Habeck, Lindner und Co. bereits geschaffen.
Zur Erinnerung: Im Jahr 1952 gab es einen einzigen Beauftragten. Aber die Zeiten ändern sich bekanntlich.
Fast aber bleibt beziehungsweise bleiben sollte, ist die viel gepriesene Gewaltenteilung in der bundesdeutschen Demokratie ‐ also die Trennung von Legislative (Bundestag), Exekutive (Bundesregierung) und Judikative (Rechtsprechung). Doch genau die wird offenbar durch die Sonderbeauftragten ausgehöhlt. Von den 42 Beauftragten der Bundesregierung hat derzeit knapp die Hälfte auch ein Bundestagsmandat. Außerdem sind die meisten Mitglieder der Bundesregierung und Parlamentarischen Staatssekretäre Abgeordnete.
Wenn man also alle Bundesregierungsmitglieder, fast alle parlamentarischen Staatssekretäre und alle Beauftragten zusammenzählt, die gleichzeitig noch Abgeordnete sind, können das schnell zwischen 50 und 60 Personen sein. Und die gesetzliche Mindestzahl von Abgeordneten im Bundestag sind 598. Das wären etwa zehn Prozent. „Das ist keine kleine Anzahl, die eigentlich die Bundesregierung kontrollieren sollen“, betont Verfassungsrechtlerin Karoline Haake. Auch Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel hält es für ein Problem, wenn zu viele Abgeordnete auch Beauftragte sind: „Also hier müsste eine bessere Trennung herbeigeführt werden.“
Zumal der Bundestag auf seiner offiziellen Homepage die Gewaltenteilung explizit erklärt. „Die Gewaltenteilung gehört zu den Prinzipien unserer Demokratie und ist im Grundgesetz verankert. Die staatliche Gewalt ist in mehrere Gewalten aufgeteilt: Die legislative (gesetzgebende), die exekutive (vollziehende) und die judikative (Recht sprechende) Gewalt sollen sich gegenseitig kontrollieren und staatliche Macht begrenzen“, heißt es dort. Und weiter: „Der Bundestag ist nach dem Prinzip der Gewaltenteilung die gesetzgebende Gewalt (Legislative) in Deutschland. Demgegenüber stehen die Bundesregierung als Exekutive und die Bundes- und Landesgerichte als Judikative.“
Dass das Arbeitsfeld der Sonderbeauftragten zudem eher schwammig umrissen ist, zeigt ein Blick in die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien. Demnach seien die Beauftragten der Bundesregierung bei allen Vorhaben, die ihre Aufgaben betreffen, frühzeitig zu beteiligen. Das Problem: Wie genau die Beteiligung aussehen muss und wie in dem Zusammenhang „frühzeitig“ definiert ist, wird allerdings nicht detailliert erläutert.
Kritik an der inflationären Einsetzung von Sonderbeauftragten äußert auch der Bund der Deutschen Steuerzahler. „Müssen in den Ministerien noch diverse Beauftragte und Koordinatoren für verschiedene Themenfelder angesiedelt werden? Das erschließt sich nicht immer ‐ und ist obendrein sehr teuer“, betont der Bund. „Nach Angaben der Bundesregierung Ende März 2023 summieren sich die monatlichen Vergütungen aller Beauftragten und Koordinatoren auf insgesamt mehr als 850.000 Euro. Hinzu kommen 2023 Personalausgaben von mehr als 30 Millionen Euro“, so die Interessensvereinigung der Steuerzahler.
Für die Opposition „zeigt die Liste der Beauftragten, dass es in dieser linken Ampel-Regierung mehr als genug Versorgungsposten gibt, aber leider zu wenig Fachleute“, sagt Philipp Amthor, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU-Fraktion. Der Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern weiter: „In unseren schwierigen Zeiten, in denen von allen kräftiges Sparen und Kürzen verlangt wird, darf sich die Regierung nicht immer weiter mit solchen zum Teil unnötigen Pöstchen aufplustern.“
Einen anderen Blick auf ihren Job hat Reem Alabali-Radovan. Die 33 Jahre alte SPD-Politikerin ist die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und gleichzeitig Bundestagsabgeordnete für Mecklenburg-Vorpommern. Ein Interessenskonflikt? Das glaubt Alabali-Radovan nicht. „Es gibt große Vorteile, wenn man Abgeordnete ist und gleichzeitig ein Regierungsamt innehat. Denn als Abgeordnete bin ich auch viel unterwegs bei mir im Wahlkreis in Schwerin. Und ich glaube immer wieder, dieses Feedback auch zu bekommen, wie es den Menschen vor Ort geht, aus meiner Sicht kann es nur ein Vorteil sein“, meint die Sozialdemokratin.