Politik
CDU–Politiker fordert ein grundlegend anderes Asylrecht
Berlin / Lesedauer: 5 min

Claudia Kling
Wenn sein Vorschlag nur ein politischer Testballon gewesen sein sollte, war Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU–Fraktion, bereits erfolgreich. Reaktionen auf seinen Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gab es zuhauf. Der CDU–Politiker aus dem Schwarzwald–Baar–Kreis hatte darin für einen Systemwechsel in der Asylpolitik plädiert. Das Recht, auf europäischem Boden einen Antrag auf Asyl zu stellen, solle abgeschafft werden. Stattdessen solle die Europäische Union jährlich ein „Kontingent von 300.000. oder 400.000 Schutzbedürftigen“ direkt aus dem Ausland aufnehmen — und auf „teilnehmende Staaten“ verteilen. „Aus dem Individualrecht auf Asyl muss eine Institutsgarantie werden“, fordert Frei. Dieser Vorstoß fand am Dienstag außerhalb der Unionsfraktion allerdings wenig Unterstützung.
FDP wirft Union Versäumnisse vor
„Der Vorschlag aus den Reihen der CDU/CSU–Fraktion ist nicht praxistauglich, sondern soll offensichtlich überdecken, dass die Asyl– und Flüchtlingspolitik der Union in einem kompletten Desaster endete“, teilte Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP–Bundestagsfraktion auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ mit. Die europäische Migrationspolitik sei unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer keinen Schritt vorangekommen, so Thomae. CDU und CSU fehle es auch heute „ganz und gar“ an einem umsetzbaren Konzept für einen praxistauglichen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik, so Thomae.
Auch aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken wurden Freis Vorschläge harsch kritisiert. „Der Vorschlag von Thorsten Frei ist realitätsfremd und geht ins Leere, da er illegale Migration nicht stoppen wird“, sagte der stellvertretende SPD–Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese. Der Grünen–Politiker Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschuss im Bundestag, bezeichnete die Pläne in der „Augsburger Allgemeinen“ als „brandgefährlich“. Bisher sei die Forderung nach Abschaffung des Rechts auf Asyl nur von Rechtsextremen vertreten worden, sagte er.
Frei bezeichnet Asylrecht als „zutiefst“ inhuman
Thorsten Frei kritisiert seinerseits, dass das derzeitige Asylrecht „zutiefst“ inhuman sei: „Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, ist chancenlos“, schreibt er. Zudem basiere das europäische Asylrecht und damit auch die deutsche Asylpraxis „auf einer Lüge“. „Wir gestalten unser Asylrecht als Individualrecht aus und sind zugleich nicht bereit, den Anspruch in unbegrenztem Umfang einzulösen, der daraus resultiert.“ Im Gegenteil: Europa tue alles dafür, „dass möglichst wenige dieses Recht in Anspruch nehmen“, schreibt er mit Verweis auf illegale Zurückweisungen von Migranten an den EU–Außengrenzen. Für ein europäisches Flüchtlingskontingent spräche darüber hinaus, dass Staaten, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, entlastet und „Sicherheitsrisiken minimiert“ werden könnten.
Auch die Entfernung spielt in seinem Vorstoß eine Rolle
Doch wie stellt sich der CDU–Politiker die praktische Umsetzung seiner Forderungen vor? Wo und wie sollten Menschen, die wie in Syrien vor einem Bürgerkrieg fliehen oder wie in Afghanistan vor der Taliban–Regierung, die Aufnahme in ein Flüchtlingskontingent beantragen? Und was passiert, wenn die Zahl von 300.000 oder 400.000 erreicht ist? Für den letzteren Fall schlägt Frei eine Priorisierung nach geografischem Abstand vor. „Käme es zu einem Massenzustrom wie derzeit im Falle der Ukraine, würde Europa für einen längeren Zeitraum kein Kontingent aus dem entfernteren Ausland mehr aufnehmen“, heißt es in dem Gastbeitrag.
Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ erläutert Frei zudem, dass man sich bei der praktischen Umsetzung der vorgeschlagenen Kontingentlösung „an den bestehenden Resettlement–Programmen, über die schon jetzt einige Hundert besonders schutzbedürftige Flüchtlinge jährlich nach Deutschland kommen, orientieren und diese entsprechend skalieren“ könnte. Solche Verfahren ließen sich auch auf europäischer Ebene organisieren. Im Rahmen dieser sogenannten Resettlement–Programme nimmt Deutschland seit 2012 jährlich ein Kontingent besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge auf. Im Jahr 2022 standen dafür insgesamt 6000 Plätze zur Verfügung.
Bei drohenden Menschenrechtsverletzungen darf nicht abgeschoben werden
Freis Vorstoß zieht auch etliche juristische Fragen nach sich — beispielsweise, ob sein Vorhaben mit dem Völkerrecht vereinbar wäre. „Die Kernfrage lautet, was mit denjenigen passiert, die nach den Vorstellungen von Herrn Frei kein Asylrecht beantragen können, aber dennoch an den EU–Außengrenzen ankommen oder irregulär über diese bis nach Deutschland einreisen“, sagt Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Diese Frage lasse Frei offen.
Wenn Geflüchtete von Deutschland in ihr Herkunftsland abgeschoben würden, auch wenn ihnen dort Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen drohten, wäre dies mit dem Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar, so Thym. Das sei jedoch etwas anderes als das individuelle Grundrecht auf Asyl. „Ob man letzteres abschaffen kann oder nicht, darüber bestehen unterschiedliche juristische Meinungen“, sagt der Jurist. Eine Grundgesetzänderung würde aber „so oder so“ nicht ausreichen. „Man müsste vor allem und vorrangig die EU–Richtlinien zum Asylrecht ändern“, erklärt Thym.
Frei geht von „hohem Maß an Zustimmung“ aus
In Brüssel wird derzeit über eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems beraten. Das Ziel ist aber nicht die Abschaffung des individuellen Asylrechts, sondern unter anderem härtere Grenzverfahren, um die irreguläre Migration zu reduzieren. Dass sein Vorschlag es schwer hat, Teil dieser Debatte über die europäische Asylpolitik zu werden, ist Thorsten Frei durchaus bewusst. „Auf diesem Weg gibt es enorme politische Hürden“, schreibt er. Auf Nachfrage ergänzt er allerdings: Er gehe von einem „hohen Maß an Zustimmung“ für seine Vorschläge aus, da die Begrenzung der illegalen Migration auf EU–Ebene offensichtlich „das Gebot der Stunde“ sei. Die Bundesregierung mit ihrer „offenen Migrationspolitik“ sei in der EU isoliert.