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Bahn–Beauftragter Theurer: „Der Deutschlandtakt wird nicht verschoben“

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Erst 2070 ist der Deutschlandtakt der Bahn voll umgesetzt - mit dieser Aussage hat der Bahn–Beauftrage Theurer für Irritation gesorgt. Im Interview nimmt er Stellung.
Veröffentlicht:05.03.2023, 17:13

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Wir der Deutschlandtakt für die Bahn mal eben um ein paar Jahrzehnte verschoben? Diesen Eindruck erweckten Ende vergangener Woche Aussagen des FDP–Politikers Michael Theurer im ZDF.

Der Bahn–Beauftragte der Bundesregierung bezeichnete die Umsetzung eines bundesweit verzahnten Fahrplans mit Fernzügen im 60–Minuten–Takt im ganzen Netz und 30–Minuten–Takt auf den Hauptachsen als „Jahrhundertprojekt“, die Umsetzung werde 50 Jahre brauchen.

Bisher stand 2030 zumindest als wichtiges Etappenziel im Raum. Im Interview erklärt Theurer, welche Vorhaben bis dahin umsetzbar sind — und warum es mit anderen etwas länger dauert.

Herr Theurer, werden die Leser der „Schwäbischen Zeitung“ den Deutschlandtakt noch erleben?

Auf jeden Fall! Der Deutschlandtakt wird ja nicht verschoben. Entsprechende Meldungen sind falsch. Im Gegenteil: Die Bundesregierung und die Ampelkoalition arbeiten daran, den Deutschlandtakt zu beschleunigen.

Wie sind Sie dann zu der Aussage gekommen, die Umsetzung des Deutschlandtaktes brauche noch 50 Jahre?

Die Realisierung des Deutschlandtakts erfolgt in Etappen, das war immer klar. Die ersten Etappen sind bereits gestartet, etwa die Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke Wendlingen–Ulm. Die nächste Etappe ist die Inbetriebnahme des digitalen Knotens Stuttgart zum Jahreswechsel 2025/26.

Damit wird in einem großen Teil des Fernverkehrsnetzes bereits der Halbstundentakt realisiert — von Köln über Frankfurt, Mannheim, Stuttgart, Ulm und Augsburg nach München und weiter nach Nürnberg. Fakt ist aber auch: Mit dem Deutschlandtakt sind strategische Investitionen verknüpft.

Bahnstrecken müssen neu entstehen oder ausgebaut werden. Um die Infrastruktur im ganzen Land für den Deutschlandtakt fit zu machen, sind weit über 100 Maßnahmen nötig. Da kann man sich ausrechnen, wie lange es dauert, um all das umzusetzen.

Und das Ergebnis lautet: 2070 ist es so weit?

So lange würde es jedenfalls nach den bisherigen Planungen der Vorgängerregierung dauern. Wir wollen das beschleunigen. Erste Schritte haben wir umgesetzt: Wir haben die Mittel für Aus– und Neubauprojekte von 1,9 Milliarden Euro auf jetzt 2,2 Milliarden Euro jährlich erhöht.

Bis 2026 steigen sie auf 2,75 Milliarden Euro und dann weiter um eine viertel Milliarde Euro pro Jahr, bis wir bei vier Milliarden Euro im Jahr kommen. Damit bringen wir den Deutschlandtakt voran.

Verkraftet es das Netz überhaupt, wenn weitere Ausbauvorhaben, zusätzlich zu den ohnehin anstehenden, vorgezogen werden?

Es gibt gar nicht genügend Kapazität bei den Bahnbaufirmen, um alle Projekte gleichzeitig zu realisieren. Schon deswegen können wir den Deutschlandtakt nur in Etappen umsetzen. Das zeigt das Beispiel der Schweiz, an der wir uns orientieren.

Die Schweizer haben sich schon vor einem halben Jahrhundert auf den Weg gemacht, heute sind sie ein Vorbild beim Zugverkehr. Wir holen das jetzt beschleunigt nach. Ein Konzept für die Etappierung wollen wir noch vor dem Sommer vorlegen. Aber es ist jetzt schon klar, dass bis 2030 wesentliche Teile des Deutschlandtaktes in Betrieb sein werden.

Im Koalitionsvertrag heißt es konkret: Bis 2030 sollen sich die Fahrgastzahlen verdoppeln und die Schiene einen Marktanteil von 25 Prozent im Güterverkehr haben. Ist das zu schaffen?

Das sind sehr ambitionierte Ziele, aber wir halten daran fest. Nur so können wir die Klimaschutzziele der Bundesregierung im Mobilitätsbereich erreichen. Kurzfristig hat sich die Situation verschärft durch die schonungslose Bestandsaufnahme, die wir in Auftrag gegeben haben.

Sie hat ergeben, dass das Netz marode und eine Generalsanierung notwendig ist. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen schaffen, unsere Ziele für 2030 zu erreichen.

Was ist, abgesehen von Geld, dafür noch nötig?

Wir haben in Deutschland sehr lange Planungs– und Genehmigungsverfahren und wollen sie durch Gesetzgebungsverfahren deutlich verkürzen. Unter anderem wollen wir im Planungsrecht verankern, dass Verkehrsträger als systemkritische Infrastruktur angesehen werden, so wie Stromleitungen auch.

Dann bekommt der Gedanke des Gemeinwohls eine größere Bedeutung, das ist in Gerichtsverfahren ein gewichtiges Argument. Zumindest bei der Schiene ist das in der Koalition auch unstrittig.

Wie stark bremsen Bürgerproteste den Ausbau der Schiene?

Wir unternehmen große Mühen, um vor Ort einen Konsens zu erzielen. Aber das kostet Zeit. Zur Wahrheit gehört, dass die Aus– und Neubaustrecken vor Ort regelmäßig großen Widerstand auslösen. Am Sonntag sind die meisten Menschen dafür, dass Güter auf die Schiene verlagert werden.

Aber wenn sie selbst betroffen sind, dann wird von Montag bis Samstag gegen Güterverkehrsstrecken demonstriert. Am Brennerzulauf ist das so, aber auch in der Lüneburger Heide, wo es um die bessere Anbindung des Hamburger Hafens geht, auch zwischen Hannover und Bielefeld. Eigentlich fast immer. Nötig ist aber ein gesamtgesellschaftlicher Konsens für die Stärkung der Schiene.