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Ampel–Parteien beschließen umstrittene Schrumpfkur für den Bundestag

Berlin / Lesedauer: 4 min

Die Wahlrechtsreform im Detail. Welche Folgen die beschlossene Verkleinerung des Parlaments haben kann.
Veröffentlicht:17.03.2023, 19:37

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Einen Augenblick lang sah es so aus, als sei das Tischtuch zwischen den Ampel–Fraktionen und der Union doch nicht vollends zerschnitten. Nach dem Ende der lautstarken Debatte über die Reform des Wahlrechts ging SPD–Fraktionschef Rolf Mützenich auf seinen CDU–Kollegen Friedrich Merz zu, um mit ihm, so der Anschein, etwas versöhnlichere Worte zu wechseln. Merz hatte kurz zuvor dafür plädiert, die für heute geplante Abstimmung zu verschieben, um doch noch zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Ohne Erfolg. Die Ampel–Fraktionen wollten keine weitere Vertagung und beschlossen ein neues Wahlrecht. Welche Konsequenzen die Reform haben wird? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.

Wie wird sich das Bundestagswahlrecht verändern?

Grob gesagt, wird die Erststimme künftig weniger wert sein, die Zweitstimme im Gegenzug aufgewertet. Konkret sieht die Reform vor, dass nur noch so viele direkt gewählte Kandidaten in den Bundestag einziehen, wie einer Partei nach ihrem Zweitstimmenanteil zustehen. Überhangmandate wird es künftig nicht mehr geben. Folglich braucht es auch keine Ausgleichsmandate mehr. Auf diese Weise kann die Zahl der Sitze im Bundestag auf 630 gedeckelt werden — derzeit sind es 736. Eine andere entscheidende Veränderung kam erst in den vergangenen Tagen in den Gesetzentwurf hinein: die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel. Sie war bislang die rechtliche Basis dafür, dass Parteien, die an der Fünfprozenthürde gescheitert sind, dennoch in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten waren, wenn sie mindestens drei Direktmandate holten.

Warum führt die Wahlrechtsreform zu einer Annäherung von Union und Linken?

Weil die Pläne für die Linkspartei und die CSU die gravierendsten Auswirkungen haben könnten. Ohne Grundmandatsklausel säße die Linke nicht mehr im Parlament, weil sie bei der vergangenen Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde gescheitert ist — sie kam aber auf drei Direktmandate. Die CSU fühlt sich doppelt unfair behandelt: Die Partei profitiert wegen ihrer Erststimmenerfolge bislang enorm von den Überhangmandaten. Künftig wären die Kandidaten mit den schlechtesten Erststimmenergebnissen nicht mehr mit im Bundestag vertreten, da die CSU traditionell über die Wahlkreise mehr Mandate holt, als ihr Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Dazu kommt die — weniger laut ausgesprochene — Befürchtung, an der Fünfprozenthürde zu scheitern. Dann könnte es passieren, dass die Christsozialen in Bayern alle Wahlkreise holen, aber dennoch nicht im Parlament vertreten sind.

Und jetzt? Geben sich Union und Linke geschlagen?

Nein. CDU, CSU und Linke halten die Reform für verfassungswidrig und wollen sie daher vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Jan Korte, Erster parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, hatte in der Debatte Mühe, seine Wut unter Kontrolle zu halten. „Ich wünsche Ihnen politisch alles Schlechte, wir werden uns in Karlsruhe sehen“, sagte er zu den Abgeordneten der Ampel–Parteien. „Mit dem, was Sie heute machen, überlassen Sie der AfD den Osten“, so Korte. CSU–Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem „Akt der Respektlosigkeit“ gegenüber den Wählern, der Opposition und der Demokratie an sich. Merz kündigte zudem an, „jede Gelegenheit zu nutzen“, um die jetzt beschlossene Reform des Wahlrechts wieder zu ändern.

Was wird jetzt als Nächstes passieren?

Jetzt geht es Richtung Karlsruhe. Auch Bayern werde gegen die Wahlrechtsreform gerichtlich vorgehen, sagte Dobrindt nach der Abstimmung. Außerdem strebt die Unionsfraktion eine abstrakte Normenkontrollklage an, um vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, ob die am Freitag beschlossene Reform verfassungsgemäß ist. Dafür braucht es ein Viertel der Abgeordneten im Bundestag — dieses Viertel hat die CDU/CSU–Fraktion. Er gehe davon aus, dass sich alle dieser Normenkontrollklage anschließen, so Dobrindt.

Warum waren die Ampel–Parteien nicht mehr kompromissbereit?

Sie werfen der Union, insbesondere der CSU vor, aus Eigeninteresse eine Verkleinerung des Bundestags seit „zehn Jahren“ blockiert zu haben, wie es Grünen–Fraktionschefin Britta Haßelmann formulierte. Selbst Bundestagspräsidenten wie Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble (beide CDU) seien mit ihren Appellen an der Unionsfraktion gescheitert. SPD–Fraktionschef Rolf Mützenich wies darauf hin, dass es auch in den vergangenen drei Wochen „intensive Gespräche“ gegeben habe, die aber zu keinem Konsens geführt hätten. „Es tut mir leid, aber die Koalition muss dieses klare Wahlrecht schaffen“, sagte er zum Schluss.