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Digitales Gesundheitswesen

Lauterbach will elektronische Patientenakte auf den Weg bringen

Berlin / Lesedauer: 5 min

Medikamente, Befunde, Arztberichte: Bereits ab 2024 sollen Ärzte Zugriff auf digitalisierte Informationen bekommen. Was hinter dem Vorhaben steckt.
Veröffentlicht:10.03.2023, 05:00

Von:
  • Claudia Kling
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Der Ruf des Rohrkrepierers haftet der elektronischen Patientenakte (ePA) nicht ohne Grund an. Seit zwei Jahrzehnten wird daran herumgedoktert, seit 2021 müssen Krankenkassen ihren Versicherten per App einen Zugang zu ihrer ePA anbieten. Aber das Interesse daran ist marginal. Bislang hat nur ein Prozent der 73 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland eine elektronische Patientenakte.

Und selbst die würden nicht genutzt, räumte Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Donnerstag in Berlin ein. Doch jetzt legt der SPD–Minister bei der Digitalisierung im Gesundheitsbereich den Turbo ein.

Bis 2025 sollen 80 Prozent der Versicherten eine ePA haben, zudem soll die medizinische Forschung Zugriff auf viel mehr Patientendaten bekommen. Wie das funktionieren soll? Hier die wichtigsten Antworten.

Elektronische Patientenakte — was soll das sein und was gehört hinein?

In der ePA soll von 2024 an das zusammengeführt werden, was nach Ansicht des Gesundheitsministers zusammengehört: Medikationspläne, Röntgenbilder, Blutwerte, Impfausweise, Arztbriefe und ähnliches. All diese Daten würden dann nicht mehr in der einen oder anderen Praxis gespeichert, sondern wären für alle behandelnden Ärzte zugänglich und ganz ohne Zettelwirtschaft.

Die Daten müssen vor Missbrauch geschützt werden, sie müssen aber in helfende Hände gelangen dürfen

Michael Hallek

Lauterbach verspricht sich davon mehrerlei: Die medizinische Versorgung der Patienten soll sich verbessern, zudem sollen überflüssige Mehrfachuntersuchungen vermieden werden. Auch das Risiko, dass Patienten Medikamente verordnet werden, die sich eigentlich nicht vertragen, ließe sich reduzieren. Der praktische Nutzen all dessen sei nicht zu unterschätzen, sagte Lauterbach.

Wie soll die Forschung von der ePA profitieren?

Wissenschaftler und auch Unternehmen sollen Zugriff auf Daten beantragen können, die bislang in „getrennten Silos“ liegen, wie es der Gesundheitsminister formuliert. Diese Daten werden in pseudonymisierter Form weitergegeben, so, dass kein Rückschluss auf den einzelnen Patienten möglich ist.

Der Krebsmediziner Michael Hallek, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, warnte davor, Deutschland werde in der Forschung noch weiter zurückfallen, wenn die vorhandenen Daten nicht besser genutzt werden.

„Die Daten müssen vor Missbrauch geschützt werden, sie müssen aber in helfende Hände gelangen dürfen“, so Hallek. Zum Zwecke der besseren Datennutzung soll eine zentrale Stelle eingerichtet werden, wo Forschung und Industrie Anträge auf Datenzugang stellen können. Die rechtliche Basis dafür soll das Gesundheitsdatennutzungsgesetz sein, das in wenigen Wochen vorliegen soll.

Muss künftig jeder Versicherte eine ePA haben?

Nein. Aber er wird eine haben, wenn er nicht explizit dagegen Widerspruch einlegt. Dieses Opt–Out–Verfahren ist Teil des neuen Digitalgesetzes, das laut Lauterbach ebenfalls zeitnah fertig sein soll. Bislang war es genau andersrum: Wer eine ePA nutzen wollte, musste diese bei seiner Krankenversicherung beantragen.

Das hat allerdings so schlecht funktioniert, dass sich bei allen Beteiligten im Gesundheitswesen „Defätismus“ breit gemacht habe, wie Lauterbach und Hallek mitteilten. Wenn die ePA funktionieren würde, könnten dadurch 200.000 Leistungserbringer — Ärzte, Zahnärzte, Apotheken, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen — besser vernetzt werden.

Was müssen Versicherte machen, die ihre Daten einsehen wollen?

Die brauchen auch künftig ein Smartphone oder ein Tablet, um sich die entsprechende App ihrer Krankenversicherung herunterladen zu können. Wer diese Möglichkeit nicht hat, kann seine Daten folglich auch nicht einsehen. Aber eine elektronische Patientenakte wird er dennoch haben. Denn die entsteht unabhängig von der App, sobald der Patient einen Arzt besucht, sich entsprechend per Krankenversicherungskarte und einer persönlichen Nummer (PIN) identifiziert — und eben nicht widerspricht.

Wie das Widerspruchsverfahren funktionieren soll, blieb am Donnerstag offen. Es werde „unbürokratisch werden“, versprach Lauterbach. Dass viele Versicherte die ePA ablehnen, erwartet er mit Blick auf das Nachbarland Österreich nicht. Dort seien es gerade einmal drei Prozent der Versicherten.

Wer ist dafür zuständig, dass die ePA befüllt wird?

Es sei eine Möglichkeit, dass der Arzt das macht, sagte der Gesundheitsminister. Aber es sei „noch nicht komplett durchdacht, wer da helfen kann“. Die Hausärzte sollten nicht überlastet werden, so Lauterbach. Letztlich entscheidet jedoch der Patient, welche Daten in seine ePA kommen. Er kann darüber bestimmen, was wie lange gespeichert beziehungsweise gelöscht werden soll.

Es liegt auch in seiner Hand, verschiedene Zugriffe für Ärzte festzulegen — beispielsweise, dass ein behandelnder Arzt zwar Daten in der ePA ablegen, sie aber nicht einsehen darf. In der Praxis, im eigentlichen Wortsinn, könnte das kompliziert werden, wenn Patienten so verfahren. Alte Patientendaten in die ePA einzupflegen, beispielsweise von früheren Krankenhausaufenthalten, hat für den Gesundheitsminister erst einmal keine Priorität.

Welche Rolle spielt der Datenschutz bei der ePA?

Eine sehr wichtige, schließlich geht es um hochsensible Patientendaten, die nicht in die Hand von Kriminellen, aber auch Unternehmen gelangen sollten. Die Daten werden zentral außerhalb der Praxen abgespeichert, in einem gesicherten, geschlossenen Netzwerk. Zu diesem Zwecke soll die Gesellschaft für Telematik, die es bereits gibt, zu einer Digitalagentur in der Trägerschaft des Bundes weiterentwickelt werden.

Ärzte und Psychotherapeuten hatten in den vergangenen Jahren kritisiert, dass die Speicherung von Patientendaten außerhalb der eigenen Praxisräume zu unsicher sei — auch wegen potenzieller Hackerangriffe. Hallek betonte, dass die geplanten Gesetze einen besseren Datenschutz als jetzt zur Folge hätten. Denn „in Kleinstlösungen“ beispielsweise in Krankenhäusern seien die Daten derzeit nicht optimal geschützt, so der Krebsforscher.