Katholische Kirche

40 Millionen Euro für Missbrauchsopfer – Manche warten aber weiter

Bonn / Lesedauer: 4 min

Eine stattliche Summe, die die Kirche da in die Hand genommen hat. Rechnet man das aber runter, bleibt für Einzelne nicht so viel. 
Veröffentlicht:03.02.2023, 17:57

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Betroffenen von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche sind bisher mehr als 40 Millionen Euro als Anerkennungsleistung für erlittenes Leid zugesprochen worden. Die von den katholischen Bischöfen eingerichtete Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) teilte am Freitag in Bonn mit, dass im Durchschnitt rund 22.150 Euro auf jeden Antrag entfielen. 2021 waren knapp 13 Millionen Euro bewilligt worden, 2022 waren es etwa 28 Millionen.

Klaus Nadler aus Weingarten ist eines der Missbrauchsopfer. Der heute 74-Jährige war in den 50er- und 60er-Jahren in Freiburg missbraucht worden, erhielt 15.000 Euro Anerkennungsleistung und eine monatliche Rente von 350 Euro. „Die 40 Millionen Euro bezahlt die katholische Kirche doch aus der Portokasse“, lautet seine spontane Reaktion, als er am Freitag die neuen Zahlen erfährt.

Auffallend: das Erzbistum Freiburg

Das Erzbistum Freiburg mit seinen 1,7 Millionen Katholiken, aus dem Nadler stammt, sticht in dem Bericht der UKA besonders hervor: Über die Anträge von 130 Betroffenen aus dem Südwesten hatte die Kommission zu entscheiden und bewilligte in den Jahren 2021 und 2022 3,01 Millionen Euro.

71 Anträge wurden für das gleich große Bistum Rottenburg-Stuttgart gezählt, hier lag die Zahlungshöhe 2012 und 2022 insgesamt bei 1,48 Millionen Euro. Für das Bistum Augsburg mit 1,2 Millionen Katholiken wurden im gleichen Zeitraum 67 Anträge entschieden und insgesamt eine Summe von rund 1,5 Millionen Euro festgesetzt.

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Am Freitag erläutert die Vorsitzende der Kommission, Margarete Reske, dass die Zahl der Anträge und die Höhe der Summen keinen Rückschluss auf die Gesamtzahl der Missbrauchsfälle zulasse.

Einige Bistümer riefen stärker als andere Betroffene dazu aufsich zu melden. Wenn im Erzbistum Freiburg soll das Missbrauchsgutachten im Frühjahr vorgestellt wird, dürften sich daher noch mehr Betroffene an die UKA wenden.

Opfer erhalten durchschnittlich 22.000 Euro

In der Pressekonferenz geht es um Geld, um unterschiedliche Maßstäbe: Während beispielsweise Kläger in der Diözese Camden im US-Bundesstaat New Jersey mit durchschnittlich 290.000 US-Dollar rechnen können, sind die Leistungen in Deutschland deutlich niedriger: durchschnittlich 22.000 Euro. Die Kommission orientiere sich bei ihren Entscheidungen am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zuerkannten Schmerzensgelder, sagt Reske.

Und diese sind übersichtlich. Die Anerkennungsleistungen liegen mehrheitlich zwischen 1.000 und 50.000 Euro. 143 Mal wurden seit 2021 auch Leistungen über 50.000 Euro festgesetzt. In 18 Fällen wurden im vergangenen Jahr Summen über 100.000 Euro ausgezahlt. Seit 2021 war das insgesamt 24 Mal der Fall.

Etwa 80 Prozent waren Männer, wobei sich unter den besonderen Härtefällen, in denen mehr als 100.000 Euro zuerkannt wurden, oft Frauen befanden. Leistungen über 50.000 Euro können nur mit Zustimmung der kirchlichen Institutionen ausgezahlt werden, sagt Reske. Schwierigkeiten mit der Kirche gebe es nicht.

Lange Wartezeiten

Dafür aber klagen viele Betroffene wie Klaus Nadler über quälend lange Wartezeiten auf Entscheidungen aus Bonn: „Nach einem Zeitungsbericht in der Schwäbischen Zeitung ist im August 2022 ein neues Gutachten erstellt worden“, sagt Nadler,

aber immer noch ist meine Beschwerde nicht bearbeitet worden.

In einem Schreiben von Mitte Dezember, das der Schwäbischen Zeitung vorliegt, heißt es: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es jedoch nicht möglich, Ihnen ein konkretes Datum zu benennen, an dem Ihr Antrag bearbeitet sein wird.“

Dass besonders für ältere Betroffene die Wartezeit auf Entscheidungen zum Problem wird, ist der Kommission bewusst. Denn die Mehrheit der Taten sei in den 1960er und 70er Jahren erfolgt, in der Mehrheit der Fälle habe Missbrauch über mehrere Jahre stattgefunden. Die Kinder seien bei der ersten Tat meist zwischen 10 und 12 Jahre alt gewesen.

Mithin sind die meisten der Betroffenen heute zwischen 60 und 80 Jahre alt, viele sind traumatisiert und leben in prekären Verhältnissen. Um schneller entscheiden zu können, sei die Zahl der Mitarbeiter erhöht worden, sagt die Vorsitzende: „Zum Stichtag 31. Dezember 2022 sind von 2112 eingegangenen Anträgen 1839 entschieden oder auf andere Art abgeschlossen worden.“ Doch Nadlers Antrag ist nicht unter diesen 87 Prozent.

Die derzeit noch offenen Anträge könnten in diesem Jahr abgearbeitet werden, erklärt Reske. Ob damit die Arbeit der UKA beendet sei, könne sie nicht sagen: Die Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Anerkennungsentscheidung bestehe.

Und es gibt Betroffene wie Klaus Nadler, die mit zusätzlichen Informationen eine neue Entscheidung beantragen können. Die Zahlen bei dieser Antragsart würden wohl weiter zunehmen, heißt es aus Bonn, während Nadler in Weingarten weiter wartet: „Alles andere als eine positive Entscheidung wäre eine Beleidigung.“