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Führerscheinprüfung

Wo Elektrobiker richtig Rad fahren lernen

Seefeld / Lesedauer: 6 min

In Seefeld in Tirol lernt man in speziellen Kursen, sicher auf den Berg und wieder runter zu kommen
Veröffentlicht:29.06.2018, 13:55

Von:
  • Schwäbische.de
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Der Tag der Führerscheinprüfung beginnt auf einem Parkplatz mitten in Seefeld (Tirol). Die Anwärter haben ihre schweren Gefährte mit den dicken Reifen abgestellt und stehen erwartungsvoll vor Prüfer Lorenz Hänchen, der halb so alt ist wie die meisten seiner Schützlinge. Ihren richtigen Führerschein, der sie befähigt ein Kraftfahrzeug zu steuern, haben die Teilnehmer schon seit Jahrzehnten. „35 Jahre unfallfrei“, betont einer. Aber heute sind sie gekommen, um ihren Fahrradführerschein zu machen. Genauer: Sie wollen lernen, wie man mit dem Elektro-Mountainbike die Berge hochdüst und unfallfrei wieder runterkommt.

Für Seefeld-Urlauber ist der gut vierstündige Kurs umsonst. Die Region hat die große E-Bike-Offensive ausgerufen und will mit dem Sicherheitstraining unterstreichen, dass sie die Sache ernst meint. Der kostenlose Führerschein könnte sich auf lange Sicht für alle bezahlt machen. Die Rechnung sieht so aus: Gäste, die das Rad mit dem kleinen Motor beherrschen, bauen weniger Unfälle und verursachen weniger Rettungseinsätze.

Horrorgeschichten gibt es genug

So bietet zum Beispiel auch die Polizei in Zürich Gratis-Sicherheitskurse für E-Biker an. Jeder Seefelder kennt mindestens eine E-Bike-Horrorgeschichte, die lokale Tageszeitung berichtet von unbedarften Urlaubern, die dank der elektrischen Unterstützung spielend auf 2000 Meter hohe Gipfel preschen, aber dann nicht mehr wissen, wie sie mit dem schweren Bike abfahren sollen. „Hubschrauber holt unverletzte E-Biker vom Berg.“ Schlagzeilen wie diese zählen zu den harmlosen. Auch in anderen Alpenregionen häufen sich die Unfälle, im Extremfall sogar mit Toten. E-Biker prallen gegen Steinmauern, stürzen Abhänge hinunter oder überschlagen sich bei Bremsmanövern. In Deutschland sind allein in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres 55 E-Biker bei Unfällen ums Leben gekommen.

Theorie und Praxis

Lorenz Hänchen, der Fahrlehrer und Prüfer in einem ist, erzählt zu Beginn des Kurses auch ein paar Unfallgeschichten, sagt dann: „Jetzt wisst ihr, warum der Führerschein so wichtig ist. Bei mir lernt ihr, das E-Bike zu beherrschen.“ Wie in einer Fahrschule ist erst mal alles Theorie. Jeder stellt sich neben sein Bike, Hänchen erklärt die einzelnen Komponenten von Bremsen bis Motor. Spannung kommt auf, als er die Bedienung anspricht, die aussieht wie ein Tacho. Per Knopfdruck kann man auf dem Display einstellen, wie kräftig der Motor mitarbeitet, wenn der Fahrer tritt. Turbo ist die ultimative von vier Stufen. Wer damit fährt, hat am Berg wenig Spaß, weil dem Akku schnell der Saft ausgeht.

Trainingspark für Mountainbikes

Dann endlich dürfen die Fahrschüler eine erste Runde auf dem Parkplatz drehen und folgen Hänchen in den E-Bike-Park am Gschwandtkopf, der extra für Elektro-Flitzer angelegt wurde. Baumstämme, Bodenwellen und Bretter dienen als Hindernisse. Hauptunterschied zu einem Trainingspark für gewöhnliche Bergräder: Man fährt die Schikanen nicht bergab, sondern bergauf. E-Biker müssen lernen, mit der Kraft des Motors klarzukommen. Dank der elektrischen Hilfe hat jeder genügend Schwung, um steile Anstiege zu meistern, Steilstufen zu überwinden und über Wurzeln zu rollen.

Aber: Ein E-Bike ist mit rund 20 Kilo doppelt so schwer wie ein sportliches Mountainbike. Das Handling verändert sich, das Rad liegt satter, aber auch träger in der Spur. Wegen der extrabreiten Reifen kommen Lenkbewegungen später an. Es ist wichtig, die Kraft des Motors richtig zu dosieren, manchmal ist gar Vollgas mit angezogener Bremse nötig, damit man nicht übers Ziel hinausschießt, aber auch nicht verhungert und umkippt.

Roter Kopf unterm Helm

Unter manchem Helm glüht nach den Übungen ein roter Kopf. Und so sind die Teilnehmer diesmal froh über eine weitere Theorie-Einheit. Hänchen schnappt sich eines der Räder und erklärt, dass es sich streng genommen um ein Pedelec handelt, der Name E-Bike habe sich einfach eingebürgert. Es hat eine maximale Motorleistung von 250 Watt und unterstützt den Fahrer nur, wenn er selbst tritt. Bei 25 Stundenkilometern schaltet der Motor automatisch ab. Für derartige Räder ist kein Mofaführerschein und kein Versicherungskennzeichen nötig. Während in Österreich Kinder erst ab zwölf Jahren Pedelecs nutzen dürfen, gibt es in Deutschland keine Altersgrenze, sondern nur eine Empfehlung des Verkehrsgerichts, wonach Fahrer zumindest 14 Jahre alt sein sollten.

Während die Köpfe vorher glühten, rauchen sie nun ob der vielen Infos. Deswegen bläst Hänchen nun zur Zusatzprüfung: Bergabfahren lässt sich nicht simulieren, dafür braucht es eine echte Downhill-Strecke. Und so radelt die Gruppe für den Gipfelsturm ins Gaistal, das für Autos gesperrt ist. Am Taleingang verkündet ein Schild „WLAN free“. So kann man die Fotos von der Hohen Munde zur Linken, dem Wettersteinmassiv zur Rechten oder dem Karwendel im Rücken gleich posten.

Die steile Auffahrt auf dem breiten Schotterweg zur Rotmoosalm ist für die Führerscheinanwärter kein Problem. Nach einer Cola-Pause auf der Terrasse geht’s hinab und man merkt sofort, dass viel mehr Aufmerksamkeit nötig ist als bei einer Abfahrt mit einem normalen Rad. Durch das hohe Gewicht kommen die E-Bikes sofort auf ordentlich Tempo. Es ist wesentlich anstrengender und dauert deutlich länger, das Gefährt zum Stehen zu bringen. Hänchen mahnt zur Pause.

Bremsmanöver am Berg üben

Abfahrten am Stück runterzubrettern, ist gefährlich. Kopf und Muskeln werden müde, man macht Fehler. Außerdem laufen die Bremsen heiß, wenn man sie durchgängig in Anspruch nimmt. „Lieber immer wieder kräftig anziehen und dann loslassen. So können sich auch die Finger erholen.“ Nun machen wir eine Übung, die einer Mutprobe gleichkommt. Im moderaten Gefälle sollen wir das E-Bike nur mittels Vorderbremse zum Stehen bringen. „Ihr müsst die Angst ablegen, euch dabei zu überschlagen.“ Die Bremse vorne sei viel effektiver. „Und wer zu fest an der Rückbremse zieht, dem rutscht das Hinterrad weg.“ Die Versuche sind zaghaft, aber sie zeigen Wirkung. Als natürliche Hindernisse wie ein Almbauer im Jeep auftauchen, haben alle das korrekte Bremsmanöver drauf. Auch die zwei Kühe, die plötzlich mitten auf dem Weg stehen, bringen niemanden mehr in Schwierigkeiten. Im Tal angekommen, legen sich alle auf eine große Wiese und atmen tief durch. „E-Biken kann ganz schön anstrengend sein“, sagt Hänchen. „Die gute Nachricht ist: Ihr habt alle den Führerscheintest bestanden.“