Heimat neu entdecken
Ein Tag in Blaubeuren und Ehingen
Ehingen / Lesedauer: 6 min

Verena Pauer
Ich stehe in einer Kirche in einer Stadt, die ich dachte, zu kennen – und entdecke doch etwas Neues. Vorbeigefahren bin ich daran schon einige Male. Drin war ich noch nie. Deswegen überraschen mich die geschnitzten Altäre aus dunklem Holz vor der weißen Wand auch. Diese Kirche, die Liebfrauenkirche in Ehingen, ist nicht nur von außen schön.
Zeitsprung: Es ist Samstagmorgen um 9.15 Uhr und ich stehe in Ulm am Bahnhof. In zwei Minuten fährt mein Zug in Richtung Blaubeuren . Dort beginnt an dem Tag meine Reise ins unbekannte Bekannte.
Denn ich will die Region besser kennenlernen, in der ich wohne – und vor allem: anders kennenlernen. Losgelöst vom Alltag und ohne viel Planung.
Erster Stopp ist der Blautopf
9.28 Uhr – Blaubeuren also: Dort führt mich mein Weg in Richtung Blautopf – wie könnte es auch anders sein. Schließlich ist die Stadt besonders wegen der Quelle ein großer Touristenmagnet. Mit einem Kaffee in der Hand, den ich mir gerade in der Bäckerei gekauft habe, geht es die Karlstraße hinunter Richtung Touristenspot Nummer eins. Schon ein paar Mal habe ich die Quelle besucht. Nur so menschenleer wie an diesem Tag war sie noch nie. Es regnet schon den ganzen Morgen. In dem Moment kommt es mir fast real vor, dass hier eine Wassernixe leben könnte. Vor allem mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass erst elf Kilometer des Höhlensystems erforscht sind und niemand sagen kann, wie viele noch kommen werden.

Nur vereinzelt begegnen mir an dem Tag Leute in voller Wanderausstattung. Ein bisschen wandern könnte ich eigentlich auch. Auf dem Handy ist schnell ein Ziel gefunden: Das Rusenschloss liegt nicht zu weit entfernt. Eine halbe Stunde soll der Weg dorthin nur dauern. Nach mehr als zwei Kilometern und mehr als 100 Höhenmetern komme ich trotzdem etwas verschwitzt und außer Atem an der Ruine an.
Der Weg führt an einer Grotte vorbei
Es ist 10.50 Uhr und zumindest zu dem Zeitpunkt entspannt sich das Wetter etwas. Etwa zehn Minuten bleibe ich auf der Ruine auf dem Berg stehen und genieße die Aussicht. Unten im Tal ziehen die Wolkenfetzen durch. Ich sehe Wald, Wohnhäuser, Industriegebäude. Und dort hinten – teilweise von den Bäumen verdeckt – ist der Bahnhof, an dem ich vor mehr als eineinhalb Stunden ausgestiegen bin.

Dorthin soll mich jetzt die Wegmarkierung der roten Raute wieder bringen, wie mir ein Schild am Schloss sagt. Also folge ich der Markierung den Berg hinunter. Und dann tut sich zwischen den Bäumen ein Loch im Felsen auf, der Eingang zur „Kleinen Grotte“ – wobei „klein“ nun wirklich untertrieben ist. In der Höhle kommt schnell das Gefühl auf, ganz weit in die Vergangenheit gereist zu sein. Ganze zehn Minuten mache ich mich auf Erkundungstour die Felswände entlang – mein Fazit des Tages schon jetzt: hat sich gelohnt.
Es ist 11.15 Uhr und ich habe noch einiges vor. Deshalb muss ich mich von der Grotte losreißen und folge der roten Raute weiter den Berg hinab in Richtung Bahnhof.
Den Kirchturm als Ziel
Eine Stunde später steige ich in Ehingen aus dem Zug. Schon beim Überqueren der Fußgängerbrücke über die Schienen sehe ich in der Ferne den Kirchturm der Liebfrauenkirche und beschließe: Das wird mein erstes Ziel. Auf dem Weg dorthin orientiere ich mich am Kirchturm – auch wenn der zwischenzeitlich immer wieder aus meinen Gedanken verschwindet. Verdrängt wird er durch die Stadtmauer, das Museum und den Weg entlang der Schmiech, dem Fluss, der durch das Tal fließt.

Kleiner Abstecher vorbei am Viehmarktbrunnen mit seinen Figuren – und schon biege ich in die Gasse zur Kirche ein. Vorbei an der Mauer des ehemaligen Franziskanerklosters stehe ich schließlich im Kirchhof und blicke um 12.40 Uhr zum Turm empor. In früheren Zeiten, als hier noch ein Kloster existierte, war das Gotteshaus eine beliebte Anlaufstelle für Pilger.

Krachend fällt die schwere Tür der Kirche ins Schloss und ein Mann läuft aus dem Gebäude an mir vorbei. Ich beschließe hineinzugehen. Vor der weißen Wand heben sich die dunklen Altäre mit den Bildern in der Mitte sehr deutlich ab. Auch die weißen Figuren passen sehr gut in das Gesamtbild. Im Mittelpunkt aber steht die Madonna auf dem Hochaltar, die im 15. Jahrhundert geschaffen wurde und der Multscher-Schule in Ulm entstammt.
Kleine Dinge neu entdecken
Meine nassen Schuhsohlen quietschen auf dem Steinboden, während ich an den Altären vorbeigehe. Als ich wieder vor die Tür trete, regnet es noch immer. Also ziehe ich meine Kapuze auf und gehe wieder los. Doch wohin als Nächstes? Die Treppe hinunter oder ins Grüne? Ich entscheide mich für den kleinen Park direkt bei der Kirche.
Bei einer Bäckerei auf dem Weg kaufe ich mir eine Brezel und esse im Gehen. Es ist 13 Uhr. Immer wieder sehe ich Kleinigkeiten, die mir in meinem Alltag entgehen, wie das alte Mühlrad hinter der Bäckerei, bedeckt mit Moos, den Schuppen, der überwuchert ist mit wildem Wein, oder die schön angelegten Blumenbeete an vielen unterschiedlichen Orten in der Stadt.
An denen vorbei führt mich mein Weg durch die Stadt. Ich biege mal nach links, mal nach rechts ab, gehe über den Marktplatz, auf dem die Händler gerade die Reste des Vormittags zusammenpacken. An gleich vier Brauereien komme ich auf meinem verschlungenen Weg in der Innenstadt vorbei. Nicht umsonst hat Ehingen den Zusatz „Bierkulturstadt“. Am Ende der Innenstadt muss ich mich entscheiden: Entweder gehe ich nach rechts Richtung Wolfertpark oder nach links zum Park im Groggental.
Ich gehe nach links. Schließlich liegt der auf meinem Weg Richtung Bahnhof – nach mehr als elf Kilometern zu Fuß in Blaubeuren und Ehingen möchte ich mich auf den Heimweg machen. Im Park wandert mein Blick noch einmal über die Stadt, die ich neu erlebt habe, bevor ich mich am Groggensee vorbei zum Bahnhof aufmache.
Dabei komme ich auch an der Statue des Groggentälers vorbei, eines von vielen Anzeichen dafür, welchen Stellenwert die Fasnet in der Stadt hat. Die Sagenfigur steigt immer zur Fasnet aus dem See, begleitet von vielen Schaulustigen und den Angehörigen der verschiedenen Narrenzünfte.
Während ich im Park stehe und über die Fasnet sinniere, beginnt es in Strömen zu regnen. Schnell gehe ich Richtung Bahnhof, muss nur wenige Minuten warten – und schon bin ich wieder auf dem Weg. Diesmal aber nicht in eine andere Stadt, sondern nach Hause – durchnässt, aber glücklich darüber, was ich an dem Tag in meiner Region erlebt habe.
