Panorama
Wie wertvoll Weideland für die Natur sein kann
Frankfurt / Lesedauer: 5 min

Schwäbische.de
Beim Stichwort „Landwirtschaft“ denken viele Menschen vor allem an Felder, auf denen Weizen, Mais oder Reis wachsen. Dabei sind gut dreiviertel der Agrarflächen auf der Welt Weideland — und damit ein Ökosystem, das auch die Wissenschaft bisher nicht allzu fest im Blick hatte. Genau das ändern gerade Fernando Maestre von der Universität Alicante im Osten Spaniens und ein vielköpfiges Team aus aller Welt: In der Zeitschrift „Science“ haben sie vor Kurzem erste Ergebnisse einer riesigen Studie auf sechs Kontinenten vorgestellt, in der sie den Einfluss von unterschiedlich starker Beweidung auf die Ökosysteme und deren Dienstleistungen für die Menschen vom Wasserhaushalt bis zur Bodenfruchtbarkeit unter die Lupe nehmen.
In 98 Versuchsgebieten in eher trockenen und für Weideland daher typischen Regionen in 25 Ländern hat das Team jeweils drei oder vier Versuchsflächen mit je 45 Metern Länge und Breite abgesteckt, auf denen unterschiedlich viele Tiere weideten. Auf diesen Arealen wurde die Vielfalt der Gewächse und Pflanzenfresser über der Erde, sowie die Menge und Diversität der Mikroorganismen im Boden genauso bestimmt wie wichtige andere Faktoren: Wie gut wird der Wasserhaushalt reguliert? Wieviel Kohlenstoff wird im Boden eingelagert und kann daher als Treibhausgas nicht mehr das Klima aufheizen? Wie gut werden Pflanzenreste abgebaut? Wie stark ist die Erosion? Wie fruchtbar ist der Boden? Wie viel Pflanzen–Biomasse wächst auf diesen Flächen? Wieviel Futter liefern die Areale und wie ist dessen Qualität? Wieviel Holz wächst dort, das die Menschen als Baumaterial und zum Verfeuern verwenden können?
Der Einfluss der Beweidung auf diese Dienstleistungen der Ökosysteme hängt offensichtlich stark vom Klima, vom Boden und der Artenvielfalt ab. Frisst viel Vieh — von Schafen bis zu Rindern — in kühlen Regionen wie auf den Grasländern Patagoniens im Süden von Südamerika, in dem viele Arten leben, dann können sich die Dienstleistungen der Ökosysteme sogar verbessern, zeigt die Studie. Ganz anders sieht es dagegen bei einer solchen starken Beweidung in wärmeren Gefilden mit geringer Artenvielfalt aus: Dort wurde im Boden weniger Kohlenstoff eingelagert, totes Pflanzenmaterial wurde schlechter abgebaut und bei einzelnen starken Regenfällen wurde mehr Boden weg geschwemmt.
Das wiederum passiert nicht nur auf den Versuchsflächen des Teams um Fernando Maestre, sondern überall in solchen Regionen. Der Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) Christof Schenck sieht das in den zentralen ZGF–Projektgebieten wie der Serengeti, in der diese Naturschutz–Organisation bereits seit den 1960er–Jahren aktiv ist. „Wenn die Tragfähigkeit der Böden überschritten wird, weil zu viele Rinder dort weiden, steht das Wasser nach starken Regenfällen auf dem Boden, statt einzusickern“, schildert der Zoologe die Verhältnisse. „Im Serengeti–Nationalpark gleich daneben ist der Boden dagegen weniger verdichtet und die Niederschläge versickern besser“. Direkt an der Grenze zum Nationalpark kann man also die Unterschiede zwischen überweideten Flächen und der Natur direkt beobachten.
Werden die Gebiete dagegen weniger stark beweidet, leiden das Ökosystem und die Artenvielfalt deutlich weniger. „Das klappt vor allem dann, wenn die Menschen ihr Vieh nachts vor Raubtieren schützen und einsperren“, sagt Christof Schenck, der an der Studie des Teams um Fernando Maestre nicht beteiligt war. Zu viel Vieh hat dagegen auch andernorts im tropischen Afrika negative Auswirkungen: „In überweideten Gebieten im Hochland von Äthiopien ist die Erosion deutlich größer, und es wird erheblich mehr Boden weggeschwemmt“, erklärt der ZGF–Geschäftsführer.
Diese Erosion hängt auch stark von der Menge der Bakterien und Pilze im Boden ab: „Je größer die Biomasse solcher Mikroorganismen ist, umso gesünder ist der Boden, umso besser werden die Nährstoffe im System festgehalten und umso geringer ist die Erosion“, schildert Nico Eisenhauer die Zusammenhänge. Aus diesem Grund haben der Bodenökologe vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle–Jena–Leipzig und von der Universität Leipzig und seine Gruppe in der Studie von Fernando Maestre auch die Biomasse der Mikroorganismen im Boden der einzelnen Untersuchungsflächen gemessen.
Der iDiv–Forscher weist auch auf einen fatalen Zusammenhang hin: „Im Klimawandel breiten sich die Trockengebiete weiter aus, in dem Vieh gehalten wird“, erklärt Nico Eisenhauer. „Und gleichzeitig wächst in vielen dieser Regionen die Bevölkerung weiter.“ Die Überweidung könnte in Zukunft also weiter zunehmen. „Diese Situation könnte eine hohe Vielfalt von Pflanzen und Nutztieren in Raum und Zeit ein wenig mildern“, schlägt der Bodenökologe vor.
Wächst die Artenvielfalt auf den Weideflächen, wird meist auch die Bodenökologie besser und stabilisiert so das gesamte System ein wenig. „Eine solche Vielfalt erreicht man auch, wenn zum Beispiel in einem Jahr Rinder auf einer Fläche weiden und im nächsten Jahr dort Ziegen ihre Nahrung suchen“, nennt Nico Eisenhauer ein Beispiel solcher Vielfalt.
Trotzdem aber erhöht der Klimawandel nicht nur den Druck auf die Ökosysteme vor allem im globalen Süden, sondern vor allem auch auf die Menschen die dort leben und Vieh halten.