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Sprengsatz

Und raus sind wir

Panorama / Lesedauer: 5 min

Bei den „Live Escape Games“ müssen sich Spieler aus einem geschlossenen Raum rätseln
Veröffentlicht:23.08.2015, 15:23

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Sechs Sekunden länger, und die Terroristen hätten ihren Sprengsatz in Berlin hochgehen lassen. Auf einem Display formen sich Buchstaben zur Entwarnung: „Ihr habt die Bombe entschärft.“ Wir jubeln, klopfen uns auf die Schultern, atmen auf. In den zurückliegenden 60 Minuten sah es nicht so aus, als ob wir fünf die Aufgabe meistern.

Aber von vorne. Die Bombe ist nicht echt, die Terroristen sind ausgedacht. Sie sind Bestandteil eines sogenannten „Live Escape“-Spiels, bei dem man sich innerhalb einer vorgegebenen Zeit aus einem geschlossenen Raum hinausrätseln muss. Ihren Ursprung haben diese Spiele im Internet, wo es unzählige Varianten davon gibt. Weil sich die kniffeligen Minispielchen mit jedem Browser aufrufen lassen und man dafür nicht eigens Software installieren muss, sind sie bei der Netzgemeinde sehr beliebt (siehe Kasten).

Inzwischen haben die auch als „Exit the Room Games“ bezeichneten Rätsel ihren Weg ins reale Leben gefunden. Der Erlebnis-Internetplattform Cool Places zufolge gibt es Live Escape Games in Deutschland seit Ende 2013. Köln war die erste Stadt, in der ein Anbieter auf den Plan trat. Inzwischen sollen es rund 50 Veranstalter bundesweit sein. Hamburg, Düsseldorf, Berlin – die Liste der Spielorte liest sich dabei wie eine Übersicht der wichtigsten deutschen Großstädte. Doch ganz so weit muss man dann doch nicht fahren, wenn man im Süden Deutschlands lebt.

Seit knapp einem Jahr sind Diana und Béla Takács mit „Trap Konstanz“ in der Universitätsstadt am Bodense ansässig. „Trap“ (Englisch für Falle) ist die Abkürzung für „Time Race against Puzzles“, was übersetzt so viel wie „Puzzle-Wettlauf mit der Zeit“ bedeutet. Die beiden kommen ursprünglich aus Ungarn. In Budapest boomt die Escape-Games-Szene: „Dort gibt es ungefähr 150 Räume“, sagt Diana Takács. In Konstanz haben sie sich als Franchisenehmer der ungarischen „Trap“-Kette selbstständig gemacht. Bei regnerischem Wetter kommen mehr Besucher, beliebt sind dafür vor allem die Wochenenden. Ab 60 Euro zahlt man für eine Stunde, je nach Teilnehmerzahl. Davon leben können die Betreiber allerdings nicht, hauptberuflich arbeiten beide in der Gastronomie.

Hilfe per Walkie-Talkie

Einsperren lassen sich die unterschiedlichsten Menschen: „Kürzlich waren ein paar junge Männer zum Junggesellenabschied hier“, erzählt Diana Takács. Aber auch ältere Menschen haben offenbar Spaß am Rätseln: „Der älteste Besucher bisher war ein 80-Jähriger.“ Mindestens zu zweit sollte man sein, maximal können zehn Personen mitmachen. Bevor wir in den Raum gesperrt werden, drückt uns Diana Takács ein kleines Funkgerät in die Hand. Damit können wir um Hilfe rufen, wenn wir bei den Rätseln gar nicht weiterkommen sollten.

Die Tür schließt sich, das Rätsel beginnt. Wir jagen die Terroristen rund um den Globus, müssen dafür von Stadt zu Stadt reisen. Zu den Metropolen gehören jeweils abgeschlossene Boxen, in denen wir Schlüssel oder weitere Puzzleteile finden. Wir müssen Schlösser knacken, manchmal mit einem Schlüssel, der versteckt ist, manchmal mit einer Zahlen- oder Buchstabenkombination, die es herauszufinden gilt.

Wir stürzen uns auf die ersten Prüfungen, hängen an einer mathematischen Aufgabe mit einem Dreieck, die Zeit läuft, verdammt, wie war das nochmal mit Pythagoras und seiner Hypotenuse? Wie im Flug sind 20 Minuten vergangen, Nervosität macht sich breit, „Das schaffen wir nie“, ruft Olga, „Nicht aufgeben“, versuche ich zu motivieren. Schon kurios: Es sind eigentlich nur Holzboxen, darin liegen Puzzleteile, Zettel, ein kleiner Handspiegel an einer Stange, ein defektes Mobiltelefon. Es sind simple Zutaten, aber das Team ist elektrisiert und ehrgeizig. Wobei wir wohl ein etwas unorganisiertes Team sind: Es gibt niemanden, der die Führung übernimmt, immer wieder arbeiten wir in unterschiedlichen Konstellationen an den Rätseln. An einigen Stellen beißen wir uns so fest, dass wir über Tipps der Trap-Betreiber via Monitor oder Walkie- Talkie wirklich froh sind. Oft sind die Rätsel im Grunde einfach, aber man denkt zu viel und zu kompliziert. Dass ein Ventilator versucht, die brütende Sommerhitze zu vertreiben, macht unsere Hirnleistung wohl auch nicht besser. Bettina beginnt, eine vierstellige Buchstabenkombination in Zahlen zu übersetzen, wieviele Buchstaben hat das Alphabet nochmal? „Das ist aber ein Schloss mit Buchstabenkombi“, fällt Srdjan auf, oh genau, naja, kann passieren. Die dramatische Musik im Hintergrund bräuchten wir gar nicht, das Adrenalin wird auch so zur Genüge ausgeschüttet.

Am Ende sind wir selbst verblüfft, dass wir es geschafft haben. Und vor allem froh, dass wir nur die Verantwortung für eine fantasierte Bombenschärfung hatten.

Nur was für Nerds? Mitnichten. Live Escape Games sind geeignet für Menschen, die sich gern mit Rätseln beschäftigen. Vor elf Jahren begründete der Japaner Toshimitsu Takagi den Rummel um die Rätselspiele: Mit „Crimson Room“ schuf er die Blaupause für die netzbasierten Exit-the-Room-Spiele. Die Browsergames sind grafisch relativ simpel gehalten, das Ziel ist dabei immer das gleiche: aus einem geschlossenen Raum zu entkommen. Dazu kann man Gegenstände im Raum miteinander kombinieren, muss Denkaufgaben lösen und seinen gesunden Menschenverstand walten lassen. Oft sind die Spiele in kleine Geschichten eingebaut, die mit Thriller- oder Horrorelementen arbeiten.

Die Live-Variante kann ganz unterschiedlich gestaltet sein. So spielt man in Berlin in einem alten Bunker, in Budapest gibt es auch ägyptisch und mittelalterlich aufgemachte Räume. Die Konstanzer Trap-Betreiber bieten die Escape Games zusätzlich als mobile Variante an. Diana und Béla Takács arbeiten auch daran, das Game als Teambildungsmaßnahme für Unternehmen im Programm zu haben.

Im Internet findet man Trap Konstanz unter der Adresse: