Erkrankung
Umweltmediziner: „Krebs ist unser ständiger Begleiter“
Panorama / Lesedauer: 7 min

Schwäbische.de
Klaus-Dietrich Runow ist Umweltmediziner in Wolfhagen bei Kassel und behandelt seit über 25 Jahren Menschen mit chronischen Erkrankungen. Auch Krebs ist seiner Meinung nach eine chronische Erkrankung. Er betrachtet Operationen, Strahlen- und Chemotherapie nicht als der Weisheit letzter Schluss und setzt auf pflanzliche Produkte, Vitamine und Mineralstoffe, um die aus der Balance geratene Biochemie der Patienten wieder ins Lot zu bringen. Er sieht die Zukunft der Krebstherapie vor allem in der Molekularbiologie und einer angewandten Umwelt-und Ernährungsmedizin. Barbara Waldvogel hat sich mit dem 58-jährigen Mediziner unterhalten.
Ich habe lernen dürfen, dass Gene noch nicht gleich eine Krankheit machen. Es sei denn, es handelt sich um eine Erbkrankheit. Gene können zwar ein erhöhtes Risiko in sich bergen, das ist auch bewiesen, aber das heißt noch lange nicht, dass die Krankheit auch tatsächlich ausbricht. Die US-Professorin Mary-Claire King, die diese Krebsgene entdeckt hat, erwähnte einmal, dass Betroffene vor 1940 ein Risiko von 24 Prozent hatten, Krebs zu bekommen. Heute liegt das Risiko bei 80 Prozent. Es können also nicht nur die Gene sein, sondern es müssen weitere Faktoren dazukommen, die dafür sorgen, dass das zerstörerische genetische Programm in unseren Tagen schneller hochgefahren wird. King führt Bewegungsmangel und Gewichtszunahme als Hauptgründe hierfür an.
Sie haben Ihren Buchtitel „Krebs – eine Umweltkrankheit?“ mit einem Fragezeichen versehen. Soll das signalisieren, dass Sie diese These selbst infrage stellen?
Nein, ich will damit zum Nachdenken anregen. Für mich ist Krebs eine Umweltkrankheit. Sicher gibt es auch genetische Komponenten. Doch wie die Zwillingsforschung zeigt, sind zwei Drittel der Krebserkrankungen der Umwelt geschuldet. Mir geht es also weniger um das eine Drittel der genbedingten Fälle. Ich will mir den Löwenanteil anschauen. Und da stelle ich fest, dass in unserer Welt etwas explodiert. In China gibt es zum Beispiel ganze Krebsdörfer, wo die Erkrankungen im Zusammenhang mit Vergiftungen stehen.
Vorsorge wird gerade beim Thema Krebs großgeschrieben. Nach langen Jahren der Vorbereitung gibt es jetzt die nahezu flächendeckende Mammografie-Reihenuntersuchung. Damit soll bei Frauen frühzeitig eine Brustkrebserkrankung festgestellt werden. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Meiner Frau empfehle ich die Mammografie nicht. Wenn ich vermuten würde, dass sie ein erhöhtes Risiko hat, würde ich ihr zu einer Brust-Kernspintomografie raten. Mammografie halte ich für zu grob. Ich betrachte das Thema Vorsorge auch als Mythos: Wenn Krebs entdeckt wird, lässt man sich operieren, und alles scheint gut zu sein. Dann ist aber noch lange nicht alles gut. Man darf meines Erachtens den Krebs nicht nur auf ein Organ beziehen, so nach dem Motto: Brust weg, Prostata weg, alles ist gut. Nein. Es ist ein systemisches Geschehen. Es gibt sogenannte Krebs-Stammzellen. Die sieht man gar nicht. Die entziehen sich auch der Chemotherapie. Die kann man auch nicht bestrahlen. Sie sind aber da und können zu jeder Zeit explodieren.
Sie laden eine große Verantwortung auf sich, wenn Sie vor der Mammografie warnen. Wenn sich eine Frau daran hält, dann aber doch Brustkrebs bekommt, muss sie sich doch fragen, ob durch eine regelmäßige Mammografie der Tumor früher festgestellt worden wäre?
Ich beleuchte das Gebiet nur kritisch und bin da nicht der Einzige. Nach meinen Recherchen können selbst Frauenärzte die Ergebnisse nicht immer richtig auswerten. Wenn eine Aufnahme Verdichtungen zeigt, was bedeutet das? Von zehn Frauen, bei denen eine Verdichtung festgestellt wird, hat nur eine tatsächlich Krebs. Die Frauenärzte dachten aber, es sei umgekehrt. 90 Prozent hätten Krebs. Aber bei 90 Prozent gibt es einen Fehlalarm. Da geraten viele Frauen in eine Überbehandlung mit allen negativen Folgen. Hier ist Vorsicht und eher Zurückhaltung angebracht.
Die Statistik spricht für die Arbeit der Onkologen: 60 Prozent der Frauen und 53 Prozent der Männer überleben die magische Fünf-Jahresgrenze nach einer Krebserkrankung. Sind das in Ihren Augen keine Erfolge?
Ich will die Leistungen der Onkologen, der Pharmaindustrie und der technischen Industrie nicht schmälern, aber wir sollten keine falschen Hoffnungen wecken. In der Aprilausgabe der Fachzeitschrift Der Allgemeinarzt konnte man lesen, dass Krebs immer häufiger diagnostiziert wird und immer häufiger auch zum Tode führt. Der Anteil von Krebs an allen Todesfällen ist um 25 Prozent gestiegen. Und unsere Antwort auf die gewaltige Umweltverschmutzung und die Zunahme der Krebserkrankungen sind irgendwelche Chemotherapeutika und Bestrahlungsgeräte, die Milliarden kosten. Ich denke, wir müssen ganz anders mit dem Thema Krebs und Tod umgehen. Deshalb habe ich auch an den Anfang meines Buches das Thema Tod gestellt. Das blenden wir ja immer aus. So nach dem Motto: Die anderen werden krank, ich aber nicht. Doch wenn wir die Zahlen anschauen, dann ist klar, dass jeder zweite Mann und 43 Prozent aller Frauen im Laufe des Lebens mit einer Krebserkrankung rechnen müssen. Hieran werden auch die Vorsorgeuntersuchungen nicht viel ändern. Wir werden bis zum Jahr 2020 1,5 Millionen mehr Krebspatienten haben.
Liegt das nicht auch daran, dass die Bevölkerung immer älter wird?
Natürlich, wenn wir älter werden, wird das Immunsystem schwächer, und je schwächer mein Immunsystem ist, umso mehr steigt das Risiko, an Krebs zu erkranken. Diejenigen, die noch nicht krebskrank sind, können sich ja auch fragen, warum habe ich noch keinen Krebs? Denn Krebs ist unser ständiger Begleiter. Die Krebszellen müssen ständig zerstört werden. Das kann ein gesunder Körper, aber nicht ein geschwächter Organismus. Die Zahlen zeigen auch deutlich, dass die Krebspatienten immer jünger werden. Junge Menschen bekommen auch neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson, aber auch Diabetes. Das sind keine Alterserkrankungen mehr. Da sehe ich den Faktor Umwelt an vorderster Front.
Wie sieht nun Krebsvorsorge beim Umweltmediziner aus?
Ich bestimme zunächst das individuelle Krebsrisiko. Dazu gehört durchaus auch eine Abklärung der BRCA-Gene wie bei Frau Jolie. Ich will Risikofaktoren definieren und minimieren. Wenn Leute korpulent sind, gilt es abzunehmen. Denn die Kalorienzufuhr ist Krebsrisikofaktor Nummer eins. Dann geht es um Chemikalien, Strahlen, Infektionen, Entzündungen. Wer dauernd Entzündungen im Körper hat, der hat ein erhöhtes Krebsrisiko. Ich frage natürlich auch nach dem Arbeitsplatz. Gibt es dort eine Umweltbelastung? Dann schauen wir, ob wir an diesen Rädchen etwas drehen können, um die Gesamtkörperbelastung zu reduzieren und Entzündungen zu dämpfen.
Welche Mittel oder Medikamente verordnen Sie?
Zur Unterstützung gebe ich pflanzliche Mittel, aber nicht in homöopathisch verdünnter Form. Darüber hinaus gehören orthomolekulare Substanzen wie Vitamine und Mineralstoffe zu den wichtigen Säulen meiner Therapie. Das ist mein Programm der echten Vorsorge. Vorsorge heißt doch nicht, mal in den Körper hineinschauen. Ist da was? Sehe ich etwas Auffälliges? Gewebsverdichtungen und so weiter? Wenn ich Auffälligkeiten wie Gewebsverdichtungen beziehungsweise sogenannte Neubildungen (Neoplasien) sehe, dann ist es doch schon ziemlich spät. Ich bin aber zuversichtlich, dass es irgendwann einmal Vorsorgetests auf molekularbiologischer Ebene geben wird, sodass man schon am Blutbild entartete Zellen definieren und erkennen kann. Die derzeitigen Techniken halte ich zum großen Teil für nicht unbedingt zielführend, weil sich die Menschen auch bei einem negativen Ergebnis letztlich in falscher Sicherheit wiegen.
Klaus-Dietrich Runow: „Krebs. Eine Umweltkrankheit? Risiko minimieren – Therapie optimieren“. 272 Seiten. Südwest Verlag. 16,99 Euro