Auszüge aus dem subjektiven Tagebuch eines gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten deutschen Soldaten. Unter Zusicherung der Anonymität spricht er offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert. Ein Donnerstag im April Auf dem Weg zurück ins Lager hatte ich an der einen oder anderen Stelle schon ein mulmiges Gefühl. Wenn man etwas Komisches am Straßenrand liegen sieht, denkt man: Jetzt knallt es. Vor allem seit den Meldungen über die Taliban-Spezialisten für IED (Improvised Explosive Device — Sprengfallen) in unserer Gegend. 9. April Ein Feldjägertrupp ist angesprengt worden. Zum Glück ist dabei niemand verletzt worden. Als erste sind danach ANA-(Afghanische Nationale Armee) Soldaten an der Stelle angekommen und wurden prompt von einer zweiten IED angesprengt. Dabei wurde ein ANA Soldat leicht verletzt. Heute sollte es eine Schweigeminute für die am Karfreitag in Isa Khel gefallenen Kameraden geben. Unmittelbar davor hörten wir die Sirene von dem Fliegeralarm. Unser erster Gedanke war: Das ist aber ein komisches Signal um die Schweigeminute zu beginnen. Dann kam direkt die Durchsage “Bunker Alarm, Bunker Alarm, Beschuss des Lagers mit Raketen”.Da war klar, die Arschlöcher haben genau gewusst, dass wir eine Schweigeminute einlegen wollten. Ich habe es 2-mal rumsen gehört. Nach 1,5 Stunden wurde Entwarnung gegeben und der Spuk war rum. Ich habe hinterher erfahren, dass es wohl 6 Raketen waren, die kurz vor dem Haupttor eingeschlagen sind. Man vermutet, dass sie eigentlich das Ehrenmal der gefallenen Soldaten treffen wollten, da sich dort ja viele Soldaten zum Gedenken gesammelt hatten. Abends wurden dann nochmal die üblichen Sauberkeits- und Kleiderordnungs-Punkte angesprochen. Ohne Datum Ich habe immer wieder Momente, bei denen ich die Zähne aufeinander beiße und mich auf den großen Knall vorbereite. Oder darauf, dass jemand eine RPG (Rocket Propelled Grenade - Panzerfaust) auf uns schießt. Kurze Zeit später, wenn irgendwelche Engstellen, Brücken oder Straßen überwunden sind, ist dann alles wieder ok und es geht weiter. Ohne Datum Wir haben die Meldung bekommen, dass alle Menschen von der Straße verschwunden sind und die kleinen Verkaufsbuden alle geschlossen werden. Kein gutes Zeichen. Zurzeit wartet man ja auch jeden Moment mit einem Angriff auf eigene Truppenteile. Nach einiger Zeit wurde gemeldet, dass die IED gefunden und geräumt wurde. Es waren zwei 20 Liter Kanister mit je 20 kg Sprengstoff.Vermutlich hat man, nachdem wir vorher dort durchgefahren waren, den einzigen Weg, den wir auf dem Rückweg benutzen können, dicht gemacht und wollte uns dann wegpusten. Ende Mai Es gab einen ganz großen IED Sweep (Minenräumung) auf der Route “Kamins”. Da sollen mindestens 2 Eier verbuddelt sein. Die Fallschirmjäger sind direkt angeschossen worden aus Richtung Isa Kehl, natürlich wieder mit RPGs. Wir haben mit MG und Panzerfäusten geantwortet. Das Highlight war dann die Ankündigung von einem Luftschlag gegen die Taliban . Das Beste war dann sogar noch, dass endlich mal Bomben gedropt wurden, wie man es gerne neudeutsch nennt. Und dann gleich zweimal zu je zwei 250 kg Bomben. Wir haben uns alle sehr über diese längst überfällige Aktion gefreut. Es sollen allerdings nur 4 Taliban getötet worden sein, aber wir schätzten, dass die Zahl wesentlich höher liegt. Sonst war der Tag eigentlich ruhig. Angeblich wollten sich die Taliban sammeln und angreifen, aber es gab nur noch vereinzeltes Feuer. Ende Mai Heute wurde der Mine Sweep nicht durch unsere Kräfte ausgeführt, sondern durch die Amerikaner mit ihrem Route Clearance Package. Das ist eine Kombination aus verschiedenen schwergepanzerten Fahrzeugen, die speziell für die Suche nach IED gebaut wurden. Das erste Fahrzeug hatte eine Art Pflug aus vielen schweren Walzen, die den ganzen Boden vor dem Fahrzeug abrollen und Sprengfallen so auslösen, ohne dass Kampfmittelräumer gefährdet werden. Dazu noch Spezialtechnik zum Aufspüren. Sie haben auch sehr schnell etwas gefunden. Dann haben sie die Fahrzeuge durchgewechselt. Ein Fahrzeug mit einem Roboterarm war nach vorne gefahren. Mit dem Arm haben sie versucht das Ei auszugraben. Dann gab es einen großen Knall. Ich dachte, es hätte die Amis jetzt zerrissen, so dicht wie sie dran waren und der Explosion nach zu urteilen. Wären wir da vorne gewesen, dann hätte es richtig böse ausgesehen. Es ist aber nichts passiert. Es hat nur den Roboterarm von dem Fahrzeug abgerissen und sonst nichts. Es sollen ungefähr 50 Kilogramm gewesen sein, die da hochgegangen sind. Juni Die Taliban haben ein Fahrzeug der Amerikanern mit einer IED gesprengt. Dabei ist ein Amerikaner gefallen, drei sind zum Teil schwer verletzt worden. Das Ganze war wieder ganz in der Nähe von unserem Lager, höchstens 15 Kilometer weg. Juni Gestern wurden wir wieder an auf der “Kamins”-Route angesprengt. Es ist aber glücklicherweise nichts passiert. Dann wurde gesagt, dass zurzeit noch acht weitere IED vermutet werden, die schon verbracht sind und nur darauf warten gezündet zu werden. Da guckt man schon mal so rum und fragt sich, wen trifft es als Nächsten? Mich? Ende Juni Beim Lagebericht wurden wieder unzählige Angriffe auf ISAF Kräfte aufgezählt. Ich höre dabei schon gar nicht mehr hin, es ist immer dasselbe: IED hier; RPGs dort und so weiter und so weiter. Das einzige was uns wieder betrifft ist; dass sie gestern nochmal zwei IED auf der Route gefunden haben, die wir auch ständig langfahren. Abends ging mal wieder das Telefon-Netz nicht und langsam kotzt es mich richtig an. Anfang Juli Heute bin ich erst gegen 15.30 Uhr aufgestanden. Ich habe so schön geträumt, dass ich gar nicht mehr aufstehen wollte. Ich glaube, ich schlafe nur deswegen so lange, weil ich einfach nur versuche, dieser Scheiß-Realität zu entfliehen.