Stress

Stress erhöht die Schlaganfall-Gefahr

Ingolstadt / Lesedauer: 6 min

Psychische Belastung kann laut Neurologe Armin Grau zu hohem Blutdruck führen – Die genauen Zusammenhänge sind noch unklar
Veröffentlicht:28.06.2022, 05:00

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Lag es am Übergewicht? An ungesunder Ernährung? Oder doch am Dauerstress am Arbeitsplatz? Wer einen Schlaganfall überstanden hat, macht sich nachträglich viele Gedanken. Welche Ursachen die Krankheit aber wirklich hatte, lässt sich oft nicht eindeutig feststellen. Meist kommen mehrere Faktoren zusammen, dabei kann Stress durchaus eine Rolle spielen. Der Neurologe Professor Armin Grau aus Ludwigshafen erklärt, was aus Studien zu Risikofaktoren bekannt ist. Der 63-Jährige (Bild: oh) ist seit 2003 Chefarzt für Neurologie am Klinikum Ludwigshafen .

Stimmt es, dass Stress einen Schlaganfall auslösen kann?

Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass sehr starke psychische Anspannung tatsächlich mit einem gesteigerten Risiko für einen Schlaganfall einhergehen kann. Man muss sich aber klarmachen, dass die Risikoerhöhung, die sich dadurch ergibt, im Vergleich zu anderen Risikofaktoren nicht besonders groß ist. Metaanalysen, also Übersichtsarbeiten, die andere Studien zusammenfassen, haben ein um etwa ein Drittel erhöhtes Risiko ergeben.

Das ist nicht wenig.

Es kommt darauf an, womit man es vergleicht. Bluthochdruck ist zum Beispiel ein deutlich mächtigerer Faktor und Vorhofflimmern erst recht.

Welche Art von Stress ist besonders gefährlich – Überforderung am Arbeitsplatz, Beziehungskrisen, Geldsorgen?

Das weiß man nicht so genau. Die Metaanalyse hat generellen Stress und Arbeitsstress zusammengefasst. Sie hat keine Einzelanalysen gemacht. Man unterscheidet ja zwischen positivem Stress, also Stress, der stimulierend wirkt und mit Befriedigung verbunden ist , und Stress, den wir als belastend empfinden. Mutmaßlich ist es nur der letztere, der die Risiken erhöht.

Muss auch ein gesunder Mensch mit einem Anfall rechnen, wenn er längere Zeit großen Stress hatte?

In der Regel ist es so, dass Stress zu anderen Risikofaktoren, die in ihrer Summe meist viel bedeutsamer sind, hinzukommt. Das sind vor allem hoher Blutdruck, Diabetes, hoher Cholesterinspiegel, Rauchen und Vorhofflimmern. Aber wir haben manchmal auch jüngere Menschen, bei denen man keine klassischen Risikofaktoren und Entstehungsmechanismen findet. Die Frage ist in solchen Fällen: Warum haben diese Menschen gerade einen Schlaganfall bekommen, warum nicht eine andere Erkrankung? Wer dauernd unter Hochspannung steht, hat ja generell erhöhte Krankheitsrisiken. Da ist es die ärztliche Aufgabe zu schauen, ob es nicht doch – vielleicht seltene – Faktoren gibt, die zusätzlich zum Stress dazu führen, dass das Gehirn von einer Durchblutungsstörung betroffen ist.

Warum spielt Stress überhaupt eine Rolle?

Das ist nicht vollständig geklärt. Stress bedeutet auch eine Erhöhung des Blutdrucks, sei es kontinuierlich oder kurzzeitig in einer besonders stressigen Situation. Dadurch kann auch das Schlaganfallrisiko steigen. Ansonsten sind Psyche und Körper allgemein eng miteinander verbunden. Da gibt es eine Reihe von Mechanismen, die wir heute noch nicht alle verstehen.

Angeblich können auch tragische Nachrichten einen Schlaganfall auslösen.

Auch das ist untersucht worden. Man spricht hier von „stressful life events“, also sehr belastenden Lebensereignissen. Manche Studien haben eine Verbindung entdeckt, andere nicht. Eine Metaanalyse hat hier insgesamt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang gefunden. Das ist in der Wissenschaft also eine immer noch unbeantwortete Frage mit widersprüchlichen Ergebnissen. Aber im Einzelfall ist das möglich.

Was kann einen Schlaganfall sonst noch auslösen?

Grundsätzlich muss man zwischen Risiko- und Triggerfaktoren unterscheiden. Risikofaktoren sind solche, die kontinuierlich oder über längere Zeit vorhanden sind, also Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht. Die Frage ist aber, warum der Schlaganfall genau zu einem bestimmten Zeitpunkt entsteht. Viele Studien haben sich daher mit den unmittelbaren Auslösern, den Triggerfaktoren, beschäftigt. Das sind zum Beispiel kürzlich durchgemachte Infektionen, Operationen und Unfälle.

Spielen Infektionen eine große Rolle?

Ja. Man weiß, dass das Schlaganfallrisiko in den ersten vier Wochen nach einer Infektion ganz klar erhöht ist. Da spielen vor allem Atemwegsinfekte eine Rolle, aber auch Harnwegsinfekte und andere Infektionsherde im Körper. Jede Infektion löst eine Entzündungsreaktion aus, und diese geht mit einer Aktivierung des Gerinnungssystems einher. Dadurch ergibt sich für eine kürzere Zeit eine erhöhte Thromboseneignung. Man weiß auch, dass nichtinfektiöse Entzündungserkrankungen und Autoimmunerkrankungen, die mit einer Entzündung einhergehen, zu einem erhöhten Schlaganfallrisiko führen.

Auch Covid-19 gehört dazu?

Absolut. Covid spielt hier genau die gleiche Rolle wie andere Infektionen auch. Dass es einen Zusammenhang zwischen Infektionen und Schlaganfall gibt, ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Da haben zum Beispiel Leute wie Sigmund Freud, bevor er Psychiater wurde, darüber gearbeitet. Später ist der Zusammenhang in Vergessenheit geraten, seit den 1980er-Jahren aber wieder erforscht worden.

Schützt eine Grippeimpfung vor Schlaganfällen?

Das ist ein spannendes Thema. Viele Studien haben zeigen können, dass eine Grippeschutzimpfung das Schlaganfallrisiko mindert. In der Wissenschaft ist aber umstritten, ob das ein echter, das heißt ursächlicher Effekt oder eine indirekte Folge ist. Menschen, die gesundheitsbewusster sind, werden nämlich auch häufiger geimpft. Daher könnte das geringere Schlaganfallrisiko auch auf der gesünderen Lebensweise beruhen. Das ist ein noch nicht ausreichend gelöstes Rätsel. Ich bin gespannt, wie das wird, wenn man Patienten mit und ohne Covid-19-Impfung hinsichtlich des Schlaganfallrisikos untersucht. Das wird noch eine spannende Sache.

Das ist wichtig

- Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität stärkt das Herz-Kreislaufsystem. Empfehlenswert sind unter anderem Wandern, Joggen, Schwimmen und Rad fahren. Wer längere Zeit keinen Sport getrieben oder chronische Erkrankungen hat, sollte sich vorher ärztlich beraten lassen.

- Ernährung: Viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukte, dafür relativ wenig Kochsalz, Zucker, tierisches Fett und rotes Fleisch: Wer seine Ernährung nach diesen Grundsätzen ausrichtet, macht schon das meiste richtig. Dadurch lassen sich Cholesterin-, Blutzucker- und Blutdruckwerte beeinflussen.

- Nicht Rauchen: Raucher haben ein stark erhöhtes Schlaganfall-Risiko. Wer es schafft, auf Zigaretten und Co. zu verzichten, kann es deutlich mindern: Fünf Jahre nach dem Rauchstopp sinkt das Risiko auf das eines Nicht-Rauchers. Auch bei Alkohol sollte man sich zurückhalten.

- Stressvermeidung: Entspannungstechniken und Bewegung helfen dabei, Anspannung zu reduzieren. Dazu können Yoga, Meditation oder Progressive Muskelentspannung beitragen.

- Gesundheits-Check-ups: Ab 35 Jahren können sich gesetzlich Versicherte alle drei Jahre ärztlich durchchecken lassen. Die Untersuchung umfasst unter anderem einen Blut- und Urintest. Es geht darum, Gesundheitsrisiken sowie die häufigsten Krankheiten (z.B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme) möglichst früh zu erkennen.

- Blutdruck beobachten: Wer zu hohem Blutdruck neigt, sollte ihn regelmäßig zu Hause messen. Ein Blutdruck-Tagebuch kann dabei helfen, die Werte zu vergleichen.