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Weihnachtsbäckerei

So schmeckt Weihnachten

Panorama / Lesedauer: 5 min

Holger Düll ist einer der Nürnberger Bäcker, die Lebkuchen noch in Handarbeit herstellen
Veröffentlicht:30.11.2013, 13:50

Von:
  • Schwäbische.de
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So stellt man sich die Weihnachtsbäckerei bei den Wichtelmännern vor. In die verwinkelten Räume dringt kein Strahl Sonnenlicht, Männer und Frauen mit weißen Hosen und weißen T-Shirts wieseln hin und her, ab und zu brummt eine altertümliche Knetmaschine. Und es duftet herrlich nach warmen Keksen und Schokolade, nach Zimt und Nelken und ein paar anderen Gewürzen.

In dem geschäftigen Durcheinander sitzt als ruhender Pol ein Mann Ende 40 mit gutmütiger Miene und dem wachen Blick für alles. Lebküchner Holger Düll behält das ineinandergreifende Räderwerk aus 15 Konditoren und Bäckern fest im Auge. Er dirigiert, beantwortet Fragen und lässt dabei keinen Augenblick von seiner Arbeit ab. Stück für Stück legt er eine Oblate von zehn Zentimetern Durchmesser auf einen Drehteller, sticht mit einem Handspachtel eine Portion von der klebrigen, braunen Masse ab, die sich auf dem Tisch türmt, und streicht sie mit kurzen Handgriffen zu einem kleinen Hügel: „Der hält den Lebkuchen saftig.“ Am Ende glättet er ein wenig nach und hebt den Rohling auf ein Blech. Wieder und wieder und wieder.

Lebkuchen auch im Juli

Holger Düll betreibt eine ganz normale Bäckerei im Nürnberger Stadtteil Schoppershof, dazu zwei Geschäfte in der Innenstadt. Neben Brot, Brezeln und Blätterteiggebäck hat er auch Lebkuchen das ganze Jahr über im Angebot. Touristen aus aller Welt erwarten, dass die wichtigsten Nürnberger Souvenirs auch im Juli zu haben sind.

Aber im September, wenn sich die ersten Blätter verfärben, zieht in der Backstube das Tempo ordentlich an: Die Saison für Lebkuchen beginnt. Zum Advent hin verlassen täglich 5000 bis 6000 Lebkuchen die enge Backstube. Das klingt viel, ist aber bescheiden, wenn man es mit dem Ausstoß des Marktführers vergleicht: Bei Lebkuchen Schmidt schieben sich in Spitzenzeiten bis zu drei Millionen Stück über die blitzblanken Backstraßen – pro Tag. Der Unterschied: Bei Düll wird jedes Stück von Hand gemacht.

Ein Nürnberger Elisenlebkuchen muss innerhalb der Stadtgrenzen von Nürnberg gebacken worden sein. Er darf höchstens zehn Prozent Mehl und muss mindestens 25 Prozent Edel-Ölsamen enthalten: Haselnüsse, Walnüsse oder Mandeln. Dazu kommen Eiweiß, Honig, Zucker, Marzipan, Aprikosenmarmelade, Zitronat und Orangeat. Und natürlich die Gewürze. „Zimt, Muskatnuss, Kardamom – und den Rest sag i net.“ Holger Düll grinst lausbübisch. Wie alle Inhaber von Traditionsbetrieben hat er auf diese Frage gewartet.

Gut gehütetes Geheimnis

Ja, es gibt das berühmte Familiengeheimnis, das schon seit drei Generationen weitergegeben wird. Und es ist immer die gleiche Masse, die Holger Düll während der Saison anrührt. Dass das Endprodukt trotzdem unterschiedlich schmeckt, verdankt es seinem Überzug: Ein Guss aus Zucker oder Rotweinpunsch oder aus einer der sieben Sorten Schokolade.

Auch wenn der Lebkuchen inzwischen untrennbar mit der Stadt Nürnberg verbunden ist – erfunden wurde er hier nicht. Gebäck mit Honig und Gewürzen gab es schon im alten Ägypten. Im Mittelalter waren es die Klöster, die Honig- und Pfefferkuchen herstellten. Dass die Lebkuchenbäckerei gerade in Nürnberg einen solchen Aufschwung nahm, verdankt sie vor allem der Lage der Stadt. In den Wäldern rundum gab es jede Menge Honig – „des Kaisers und des Reiches Bienenkorb“ nannte man die Region. Und über die Handelsstraße von Venedig kamen geheimnisvolle Gewürze aus dem Orient. Aus dem einstigen Handwerk wurde schließlich eine florierende Industrie.

In der Backstube von Holger Düll hat jeder Geselle und jeder Azubi seinen Aufgabenbereich. Einer legt Mandeln auf Lebkuchen, Stück für Stück für Stück. Ein anderer pinselt Rohlinge mit rosa Zuckerguss ein. Konditormeister Klaus Ohr, zwei Tische weiter, hat den Traumberuf aller Leckermäuler: Mit beiden Händen taucht er Lebkuchen in eine Schüssel mit schwarzer Kuvertüre – eine knifflige Arbeit, denn schon ein kleiner Temperaturunterschied kann dazu führen, dass die Schokolade Streifen bildet.

In ganz Europa berühmt

Es erfordert eine erprobte Logistik, um auf so engem Raum alle Arbeitsschritte zu koordinieren. Frisch bestrichene Oblaten trocknen 24 Stunden lang. An den Öfen, die schon seit 75 Jahren an der gleichen Stelle stehen, wacht seit 20 Jahren Herbert Hüttinger, Bäcker seit 1964. Er hat die 16 Bleche im Blick – Spekulatius, Zimtsterne, Lebkuchen – und weiß fast instinktiv, wann sich die Ränder dunkler färben. Lebkuchen, die Zuckerguss erhalten, werden bepinselt, solange sie heiß sind. Künftige Schokolebkuchen dagegen müssen erst erkalten, ehe man sie eintaucht. Und dann werden sie verpackt, in jene silbernen und goldenen Dosen mit Dürer-, Schnee- und Burg-Motiven, die Nürnberger Lebkuchen in ganz Europa berühmt gemacht haben.

Drei große Firmen decken heute einen Großteil des Marktes ab: Lebkuchen Schmidt, Lebkuchen Weiss und Lebkuchen Schumann. Daneben gibt es 30 bis 40 kleinere Bäcker, die Lebkuchen von Hand herstellen. Und jeder tüftelt immer an irgendeiner neuen Mischung.

Holger Düll bleibt Traditionalist. Immerhin: Auf Überzüge aus Cappuccino-, Erdbeer- und Bienenhonigschokolade hat er sich schon eingelassen. Es gibt „Mini-Elisen“ von vier und den Einpfünder „Königselise“ von 19 Zentimetern Durchmesser. Doch welche Variante man auch wählt, schon beim ersten Biss in die saftig-feuchte Masse erschließt sich das ganze weihnachtliche Geschmacksuniversum: Aus dem körnigen Fundament der Haselnüsse steigen die wilden Aromen von Nelken und Zimt, angereichert um das fruchtige der süßen Aprikosen. Die gewöhnungsbedürftige Bitterkeit des Zitronats wetteifert schließlich mit der gefälligeren der schwarzen Schokolade, beide aber werden aufs Wunderbarste ausbalanciert durch die warme, dunkle Süße des Honigs: Jetzt darf es Weihnachten werden – und nicht schon im Juli.