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Schamröte

Ups, das war aber peinlich! Über den Sinn der Schamröte

Panorama / Lesedauer: 5 min

Vom Konzerthüsteln bis zum Schluckauf: Wissenschaftler erklären, warum unser Körper mitunter peinliche Signale sendet – und wie man sie möglicherweise verhindern kann
Veröffentlicht:26.02.2022, 05:00

Von:
  • Schwäbische.de
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Sie entsteht nicht nur durch peinliche Situationen, sondern macht selbst das Ganze noch einmal peinlicher: die Schamröte im Gesicht. Doch offenbar hat diese körperliche Reaktion sogar einen besonderen Sinn, sie soll dafür sorgen, dass man uns den Fauxpas eher verzeiht.

Die anzügliche Bemerkung des Kollegen, der Senffleck auf unserem Hemd, oder wenn unsere Eltern freimütig davon erzählen, dass wir noch bis zum vierten Lebensjahr in die Windel gemacht haben: Die meisten von uns werden dann rot und können nichts dagegen tun. Und wenn wir dann auch noch merken, wie uns die Hitze in den Kopf steigt, wird alles noch schlimmer, noch peinlicher.

Bis zur berüchtigten „roten Bombe“, die keine Gnade mehr kennt. Was hat sich die Evolution dabei „gedacht“? Denn das nützt doch eigentlich niemandem? Doch möglicherweise hat es – so das Ergebnis einer US-amerikanische Studie – doch einen Sinn.

Ausgangspunkt der Forscher um Chris Thorstenson vom Institute of Technology in Rochester ist die Tatsache, dass die durch erweiterte Hautblutgefäße ausgelöste Schamröte weithin sichtbar ist. Und sie kommt in der Regel ohne unser bewusstes Zutun. „Es ist schwer bis unmöglich, uns selbst zum Erröten und diese Röte wieder zum Verschwinden zu bringen“, erläutert Thorstenson.

Was im Endeffekt heißt: Wer schamrot geworden ist, lügt nicht, denn er kann es ja nicht verbergen. Es könnte sich also dabei um ein Kommunikationssignal handeln, das von der Evolution eingerichtet wurde, um für mehr Transparenz und Ehrlichkeit im menschlichen Miteinander zu sorgen.

Aufrichtige Betroffenheit wird honoriert

Zum Untermauern dieser These konfrontierten die US-Forscher ihre Probanden – allesamt Studenten der Rochester University – mit Fotos von Gesichtern, die angeblich zu Menschen gehörten, die beim Lügen erwischt worden waren. Allerdings wurden sie in unterschiedlichen Farben präsentiert: von der neutralen Blässe bis zum tiefen Rot.

Es zeigte sich, dass die Menchen mit errötenden Gesichtern als aufrichtiger, peinlicher und verzeihlicher eingeschätzt wurden, und zwar unabhängig davon, ob man alle Bilder einzeln oder aber die Gesichter mit den unterschiedlichen Farben gleichzeitig gezeigt hatte.

Was konkret heißt: Wenn jemand gelogen hat, dass sich die Balken biegen, kann er im Falle des Erwischtwerdens trotzdem auf Vergebung hoffen, wenn er nur richtig rot dabei wird. Denn das wird ihm als Ausdruck seiner aufrichtigen Betroffenheit ausgelegt.

Allerdings zeigt sich dieses Phänomen offenbar nicht nur im Zusammenhang mit Peinlichkeiten. Als das Forscherteam seinen Testpersonen eine Reihe von Fotos präsentierte, auf denen andere emotionale Signale wie skeptisches Stirnrunzeln oder Wut gezeigt wurden, hatte das Erröten denselben Effekt: Es steigerte das Gefühl der Teilnehmer für die Aufrichtigkeit der Person.

Und es steigerte ihre Bereitschaft, dem Betreffenden zu verzeihen. Der puterrot tobende Choleriker darf also ebenfalls darauf hoffen, dass man ihm seine Wutanfälle durchgehen lässt.

Wut- und schamrote Gesichter leisten also einen wichtigen Beitrag zum Erkennen und Einschätzen von Emotionen. Doch ob das, im engeren Sinne der Evolution, auch zum Überleben der Art beigetragen hat, darf man bezweifeln.

Denn dunkelhäutige Menschen werden zwar auch rot, doch bei ihnen kann man es kaum sehen – und trotzdem sind sie keineswegs ausgestorben. Vielleicht ist es ja einfach nur eine exquisite Spielerei der Evolution. Nicht umsonst sagte schon Mark Twain: „Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das rot werden kann. Oder sollte.“

Hicks! Es grüßt der Frosch in uns

Beim Schluckauf ähneln wir den Amphibien, die für ihre Unterwasser-Atmung spontan ihre Lungen verschließen müssen. Und wenn wir zu hastig trinken oder essen, kommt dieser Mechanismus - in Gestalt einer arhythmischen Kontraktion des Zwerchfells - wieder spontan zum Einsatz.

Es handelt sich also um ein Relikt aus der Frühzeit unserer Evolution. Als Therapie kommt laut einer aktuellen US-Studie das Trinken aus einem extra verengten Strohhalm infrage. Das erschwert das Ansaugen der Flüssigkeit, so dass der Zwerchfellnerv beschäftigt ist und den Schluckauf gewissermaßen vergisst. Einen ähnlichen Effekt erzielt man aber auch, indem man sich beide Ohren fest zuhält, während man ein Glas Wasser durch einen normalen Strohhalm trinkt.

Hüstelkonzert in D-Moll

Laut Berechnungen des deutschen Ökonoms Andreas Wagener wird in Theater- und Konzertsälen etwa doppelt so viel gehüstelt und geräuspert wie im normalen Alltag. Es könnte daran liegen, dass wir in solchen Situationen zum Stillsitzen verdonnert und dadurch gezwungen sind, unseren Bewegungsdrang irgendwie kompensatorisch rauszulassen - und da bietet sich eben das Hüsteln an. Wagener betont jedoch: „Die Lautstärke des Hustens wird höher, wenn die Musik unbekannter und komplizierter ist."

Es entspringe also schon einer Kompensation, aber im Sinne einer Reaktion auf Überforderung. Nur dass dadurch die Stimmbänder erst recht gereizt werden. Also besser zeitig ein Glas Wasser trinken und ein Husten-Bonbon lutschen!

Tränen lügen doch

Das emotionale Weinen auf negative Reize wie Schmerz oder Trauer kennt nur der Mensch. Es dient, wie der holländische Verhaltensforscher Asmir Gračanin herausgefunden hat, einerseits dem Abbau psychischer Spannungen; andererseits aber auch der Kommunikation: Wir signalisieren Hilflosigkeit, Schmerz oder Angst, um unsere Mitmenschen zu entsprechenden Unterstützungsaktionen zu bewegen.

Komplizierter wird es bei Tränen aus Freude oder Rührung. Sie sollen zwar – insofern ja auch positive Emotionen uns überrumpeln können – ebenfalls die psychische Balance wiederherstellen, doch von den Mitmenschen werden sie anfangs oft nicht richtig verstanden. Aber sobald diese Irritation abgeklungen ist, verführen Freuden- und Rührungstränen sogar zum Mitweinen.

Hüsteln und Räuspern lassen sich oft kaum unterdrücken . (Foto: K.Remmers/dpa/Schwäbische.de)
Hoffentlich ein Taschentuch zur Hand beim Niesen. (Foto: H. Wolfraum/dpa/Schwäbische.de)